"Kein zwingender Zeitdruck in Sachen Olympische Spiele 2008"
Klaus Riegert, Mitglied des Deutschen Bundestages und sportpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion nimmt im Interview Stellung zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking.

25.04.2008

DOSB PRESSE: Herr Riegert, es gab in den vergangenen Wochen heftige Diskussionen um die kommenden Olympischen Spiele in Peking und auch Kritik am DOSB und am IOC. Ihre Meinung dazu?
RIEGERT: Insgesamt gesehen halte ich die Kritik am IOC und auch am DOSB für überzogen. Wir stehen aktuell, jetzt Mitte April, nicht unter zwingendem Zeitdruck. Die Olympischen Spiele finden im August statt. Es ist also noch genügend Raum, viele der angesprochenen Fragen im Detail zu klären. Unser sportpolitisches Zeitfenster in Berlin ist: Der Sportausschuss wird auf seiner nächsten Sitzung am 23. April konkret ein Bündel an Fragen an den DOSB stellen, die aktuell die Gemüter erregen – übrigens nicht nur in Deutschland, sondern in großen Teilen der Welt. Wie ist Regel 51 der IOC-Charta auszulegen? Meinungsäußerungen zu politischen oder soziokulturellen Fragen sind natürlich nach der Charta erlaubt. Aber was ist, wenn Athleten Sympathie-Armbändchen bei den Wettkämpfen tragen? An welchen Orten dürfen sich Top-Sportler ein T-Shirt mit einer plakativen Botschaft überziehen? DOSB-Generaldirektor Dr. Michael Vesper wird bestimmt all diese Fragen beantworten können.
DOSB PRESSE: Es wird darüber gesprochen, wie sich Athletinnen und Athleten in Peking möglicherweise verhalten sollen und können. Wie ist Ihre Einstellung zu diesem Themenkomplex?
RIEGERT: Wir haben derzeit noch keinen zwingenden Handlungsbedarf. Es werden im Frühsommer Info-Broschüren, richtige Pakete übrigens, verteilt; es wird Schulungen, Seminare und Gespräche zum aktuellen Stand der Dinge geben. Das wird auf hochprofessionellem Niveau ablaufen. Die
olympischen Tagungen in Peking in der vorvergangenen Woche haben bestimmt rechtsfeste Erkenntnisse zu allen aufgeworfenen Fragen gebracht. Jedoch: Wenn wir ständig vom mündigen Athleten sprechen, müssen wir akzeptieren, dass es auch Sportlerinnen und Sportler geben wird, die keine politische Botschaft verbreiten wollen.
Ich denke, sehr wenige deutsche Olympiastarter werden sich am Frankfurter Flughafen ein Protest-T-Shirt überstreifen, um damit am Airport von Peking für TV-Kameras die richtigen Bilder zu liefern. Jeder Olympia-Starter hat doch zunächst einmal im Sinn, sich auf seine olympischen Wettbewerbe einzustellen. Er hat einen sportlichen Ehrgeiz und will bestens vorbereitet in seinen Wettkämpfen die optimale Leistung erbringen. Das ist doch das Hauptmotiv aller Teilnehmer.
DOSB PRESSE: Sehen wir es positiv: Von Boykott der Spiele ist keine Rede.
RIEGERT: 205 Nationale Olympische Komitees haben signalisiert, dass sie an den Olympischen Sommerspielen teilnehmen wollen. Das bedeutet nicht, dass der weltweite Sport die drängenden Fragen der Politik und der Menschenrechte in China ausblendet. Selbstverständlich muss man den chinesischen Führern unmissverständlich klarmachen, dass ihr Umgang mit den Tibetern, aber auch mit anderen Ethnien, mit religiösen Gruppen und mit Menschenrechtlern von uns nicht geteilt wird. Wir haben ganz pointiert eine andere Auffassung, die von den universellen Werten des Christentums und der Aufklärung getragen werden.
DOSB PRESSE: Und wie sollten Olympiastarter dies herüberbringen?
RIEGERT: Sie stellen die Frage falsch. Es gibt doch keine Logik, dass jeder Sportler in Peking dort auch protestieren muss. Wenn ein Athlet in der Olympiastadt keine Stellungnahme abgeben will, aus welchen Gründen auch immer, gehört er doch nicht zu den schlechten und unmoralischen Menschen. Andersherum hat aber jeder das Recht, ein Statement zu formulieren.
Ich will, ganz plastisch gesehen, einen Rückblick in unsere deutsch-deutsche Geschichte ansprechen: Es war richtig, niemals die DDR als souveränen Staat anzuerkennen. Andererseits wäre es nicht die richtige Strategie gewesen, wenig Kontakte zu pflegen. Nein! Besuchskontakte zwischen Deutschland-West und Deutschland-Ost haben doch den Bazillus der Freiheit in die DDR gebracht. Deshalb haben wir auch ständig für die Ausweitung des deutsch-deutschen Sportkalenders gekämpft. Das Fazit daraus: Es müssen so viele Menschen wie möglich aus der westlichen Welt nach China reisen, um mit der Bevölkerung dort zu reden und um ihr unsere Denkweise, unser kulturelles Empfinden und unsere demokratische Tradition zu vermitteln.
DOSB PRESSE: Wertet man aber nicht eine kommunistische Diktatur auf?
RIEGERT: Ganz pragmatisch gesehen: Wir müssen eine weltpolitische Elle anlegen. Ohne die Olympischen Spiele wäre den Tibetern und anderen Verfolgten und Diskriminierten in der Volksrepublik China auf keinen Fall diese hohe Aufmerksamkeit zuteil geworden. Sie hätten gar nicht die Chance gehabt, ihre Interessen so umfassend und global in der modernen, beschleunigten Mediengesellschaft zu vermitteln. Die weltweite Diskussion der letzten Wochen zeigt doch, dass sich die Weltgemeinschaft mit den Verhältnissen in China kritisch auseinandersetzt. Und das ist doch gut so, und dies kommt auch bei den Machthabern dort an. Das IOC hat jetzt in Hintergrundgesprächen klargemacht, wie es zu der Betroffenheit der Menschen gekommen ist und was sie mit ihren Freiheits-Postulaten meinen. Olympia ist der große Türöffner, und das sind natürlich auch die Paralympics. Es gibt in China mehr behinderte Menschen, als wir in der Bundesrepublik Einwohner haben. Sie wurden bisher diskriminiert und unterdrückt. Für die Paralympics trainieren jetzt chinesische Behindertensportler in Sportschulen. Das Forum auf der Weltbühne hat eine Veränderung ihrer Lage in China erreicht, und das ist nicht hoch genug einzuschätzen. Das wäre nie und nimmer ohne Olympia und ohne die Paralympics geschehen.
DOSB PRESSE: Sie haben sich kritisch dagegen ausgesprochen, dass der DOSB-Ehrenpräsident Manfred von Richthofen am 9. April als eingeladener Sachverständiger im Sportausschuss aufgetreten ist. Warum?
RIEGERT: Es war nicht gut, dass sich der Ehrenpräsident des DOSB kritisch über das aktuelle Präsidium geäußert hat. Herr von Richthofen hat das öffentliche Forum des Sportausschusses genutzt. Seine Kritikpunkte hätte er doch vorab intern mit den Mitgliedern des DOSB-Präsidiums besprechen können, meine ich. Wenn der DOSB-Präsident und der Generaldirektor in Peking sind, ist das doch ein Fakt, der zu akzeptieren ist. Nach der Geschäftsordnung hatte der Ausschussvorsitzende die Möglichkeit, Herrn von Richthofen einzuladen; dies war jedoch nicht vorab mit den Obleuten der Fraktionen abgestimmt worden. Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten zunächst einmal mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium diskutiert, um dann für die zweite Runde am 23. April in einem größeren und geöffneten Forum mit dem DOSB zu sprechen und aus erster Hand Infos aus dem IOC zu bekommen.