Lernen, um zu lehren
Sprich sie an, gib ihnen zu tun: Seit seiner Gründung arbeitet der SV Goethe Mainz mit eigenwilligen bis gewaltbereiten Jugendlichen – und legt dabei den großen Unterschied zwischen Teilhabe und Teilnahme offen. (Teil 5)

30.06.2014

Mainz bleibt Mainz, aber hier singt und lacht es eher selten. Jedenfalls selten so richtig unbeschwert. Immerhin lacht es häufiger als früher. Denn da musste die Neustadt, wie dieses Quartier mit dem knappen Raum – besonders Freiraum – und den vielen jungen, auch ökonomisch bedrängten Menschen, noch ohne Goethe auskommen. Und damit ohne die einbindende Kraft von Doreen Becker, Ece Bas und all den anderen in diesem Sportverein.
Neue Serie - alle 2 Wochen
Von Rügen bis Reutlingen, von Kiel bis Nürnberg. Von Basketball über Gorodki bis Tanztheater. Von der kulturellen Öffnung Einzelner bis zu jener von Großvereinen. Et cetera, denn Vielfalt ist das Stichwort, wenn das Programm „Integration durch Sport“ ab sofort und an dieser Stelle zeigt, wie es eigentlich funktioniert, so ganz genau und rein praktisch. Das folgende Projektporträt ist der Beginn einer Serie auf www.integration-durch-sport.de: Alle zwei Wochen stellen wir insgesamt 16 Initiativen vor, für jedes Bundesland eines: Geschichten, von denen keine der anderen ähnelt und die doch ein großes Ganzes ergeben. Nämlich ein Mosaik von Möglichkeiten, wie der Sport Verbindungen zwischen Kulturen schaffen und wachsen lassen kann.
SV Goethe also. Eine Sportorganisation mit sozialem Anspruch. Oder eine soziale Organisation mit sportlichem Anspruch? Wer will das trennen, die Gründungsgeschichte tut es schon mal nicht: Ende der 90er Jahre suchte eine herkunftsbunte Gruppe von Basketballkids eine Alternative zur Strukturlosigkeit des Spiels auf Straßen und Plätzen. Sie kannten sich aus der nahen Goethe-Schule und hatten ihre früheren Vereine wegen auffälligen Verhaltens verlassen müssen. Als sie bei einem Mitternachts-Turnier Doreen Becker kennenlernten, im Amt für Kinder und Familie der Stadt beschäftigte Streetworkerin, wurde aus dem Wunsch nach Struktur erst Chance, dann Wirklichkeit. Mit Unterstützung Beckers und des Programms „Integration durch Sport“ (IdS) in Rheinland-Pfalz entstand 1999 der nach der Schule benannte Verein.
Und mit ihm neuer Bewegungsraum für die oft abgehängten und demzufolge abhängenden Jugendlichen im Stadtteil. Basketball ist heute das breiteste Angebot des SV – und das einzige, das etwas kostet. Hinzu kommen unter anderem Fußball, Hip Hop oder „Sport für muslimische Mädchen“, aber auch Hausaufgabenhilfe, Ferienbetreuung und eine Saftbar bei Stadtfesten, Stichwort Suchtprävention. Plus diverse integrative Projekte, die der Verein stets mit pädagogischem Konzept und Kooperationspartnern angeht, darunter regelmäßig IdS und das Jugendamt der Stadt.
Sprich sie an, hol sie rein, gib ihnen Vertrauen und zu tun: Der SV Goethe setzt das Prinzip von Aktion und Teilhabe so konsequent um wie wenige soziale und erst recht sportliche Einrichtungen. „Wir wollen einer passiven, planlosen Freizeitbeschäftigung der Kinder und Jugendlichen vorbeugen“, sagt Doreen Becker. Hier heißt Integration nicht aufnehmen, sondern aufgreifen – nämlich die Bedürfnisse der Zielgruppe – und einbinden. Viele der anfangs eigenwilligen Gründungsmitglieder wurden Basketballtrainer, einige sind heute in verantwortlicher Funktion. Vorbilder, Brückenbauer für die Nachkommenden.
Lernen, um – später – zu lehren, das läuft nicht von allein. „Alle unsere Honorarkräfte mit pädagogischer Funktion werden von einer Diplom-Pädagogin und Familientherapeutin angeleitet“, sagt die Vereinsvorsitzende Ursula Chatfield. Sie verweist auf weiteres Fachpersonal, etwa zwei Mediatorinnen, mit denen die Jugendlichen die Theorie übend anwenden. „Sie wissen, wie man Konflilkte gewaltfrei lösen kann, aber das im Alltag umzusetzen, fällt vielen schwer“, erklärt Chatfield. Dieser Alltag ist die nächste Stufe: In einem 2009 gestarteten Projekt hat der SV Goethe mit 14- bis 18-Jährigen Ideen der Freizeitgestaltung gesammelt und daraus Module entwickelt. Nun stehen sogenannte „G-Worker“, begleitet von Betreuern des Vereins, zweimal in der Woche auf dem Goetheplatz, um Kindern Spiel- und Sportgeräte auszugeben und zu erklären. Und um Kompetenzen zu vertiefen, die ihnen schulisch und beruflich weiterhelfen können.
Auch ein sozialpädagogisch wirkender Verein will Ergebnisse seiner Arbeit sehen. Für diese Ergebnisse steht der Name von Ece Bas, eingangs erwähnt. In kindlichen Jahren eine Top-Schwimmerin, kam sie als Teenie zum Hip-Hop und trat bei Rock da Jam auf, seit 2004 unter Beteiligung des SV Goethe veranstalteter Wettbewerb für junge Break- und Streetdancer. Später wurde sie Deutsche Meisterin und Streetdance-Referentin bei der Sportjugend Rheinland-Pfalz. Und sie wurde Mitorganisatorin von Rock da Jam sowie Übungsleiterin beim SV Goethe – Stichwort Vorbild. Seit 2008, da war sie 16, lässt Ece Bas dreimal wöchentlich junge Damen aus aller Herren Länder tanzen, die bei sportlichen wie sozialen Anlässen auftreten. Dem Mainzer Stadtmagazin „Sensor“ erklärte die Trägerin des DOSB-Gleichstellungspreises 2010 mal ihre pädagogische Liniel: „Wer schlechte Noten schreibt, darf nicht mehr zum Training, aber viele sind durch das Tanzen gleichzeitig besser in der Schule geworden.“ Wenn das keine Werbung für den Verein ist.
(Quelle: DOSB)