„Lisas Literatur-Likes“: Ein Buch, das eine angenehme Spannung erzeugt
Lisa Mayer (29), Bronzegewinnerin bei Olympia in Paris mit der 4x100-Meter-Sprintstaffel, gibt in ihrer Kolumne Literaturtipps und empfiehlt in Teil vier den Roman „Der Markisenmann“ von Jan Weiler.

25.05.2025

Warum dieser Autor und dieses Buch?
Ich bin schon häufiger in der Buchhandlung an Jan Weilers siebtem Roman „Der Markisenmann“ (2022) vorbeigelaufen. Cooles Cover, interessanter, wenn auch komischer Titel. Immer wieder hatte ich ihn in den Händen, nie habe ich ihn jedoch mitgenommen. Und dann habe ich ihn geschenkt bekommen. Welch ein Glück!
Übrigens: Hätte Jan Weiler ihn unter seinem ursprünglichen Titel „Der Sommer mit meinem Vater“ veröffentlicht, weiß ich nicht, ob er mich angesprochen hätte. Klingt nach ZDF Traumschiff 2.0 ;-))
Worum geht es?
Die 15-jährige Kim muss die Sommerferien unfreiwillig bei ihrem Vater verbringen. Einem Mann, den sie überhaupt nicht kennt, da er die Familie, als Kim zwei Jahre alt war, verlassen hat. Ihre Mutter hat nie von ihm erzählt. Unzählige Gedanken hat Kim sich über ihren Vater gemacht, und doch kommt keine Vorstellung dem Mann, dem sie eines Tages im Ruhrgebiet gegenübersteht auch nur nahe. Ronald Papen ist ein unscheinbarer Mann, lebt in einer Lagerhalle, ohne Frau und Kinder, ohne Prunk, dafür gemeinsam mit über 4000 DDR-Markisen, die er zu verkaufen versucht. Kim will sofort die Flucht ergreifen. Und bleibt doch. Am Ende der Ferien hatten beide den Sommer ihres Lebens, in dem sie nicht nur viel über den anderen, sondern auch über sich selbst gelernt haben.
Womit punktet das Buch besonders?
Die Vater-Tochter-Beziehung oder eben auch Nicht-Beziehung hat mich sehr bewegt und zum Nachdenken angeregt. Während der gemeinsamen Sommerferien wirken die beiden häufig so nah und sind sich doch immer noch so fern. Denn das, was Familie ausmacht, kann innerhalb so kurzer Zeit nicht aufgeholt werden. Dazu befindet sich Kim mitten in der Pubertät und hat noch mit ganz anderen Problemen des Erwachsenwerdens zu kämpfen. Die Art, wie Vater und Tochter miteinander kommunizieren, fand ich großartig. Beide respektieren die Grenzen des anderen, und trotzdem ist es gerade Kim, die auf der Suche nach ihrer eigenen Identität, das Recht einfordert, mehr über ihren Vater und seine Vergangenheit und damit auch sich selbst erfahren zu dürfen. Mich hat am Ende des Romans außerdem der historische Bezug zum Großwerden in der DDR und zur Flucht noch vor der Grenzöffnung sehr begeistert.
Wie war das Lesegefühl?
Jan Weilers Schreibstil ist lebhaft und humorvoll und hat trotzdem eine einfühlsame, ernste Tiefe. Manch Charakter wirkt vielleicht auf den ersten Blick klischeehaft angehaucht, bei genauerem Hinschauen sind sie aber unglaublich gut und facettenreich ausgearbeitet. Dadurch kann der Leser schnell Sympathien und Antipathien entwickeln. Wobei es Weiler am Ende sogar gelingt, dass selbst der vermeintlich böse Stiefvater, mit dem sie aufgewachsen ist, in einem anderen, fast bemitleidenswerten Licht erscheint. Ganz abgesehen von der unglaublich witzigen und kreativen Art, wie Vater und Tochter die DDR-Markisen an der Haustür unter die Leute bringen, erzeugt das Geheimnis um die Umstände des Verschwindens von Ronald Papen aus Kims Leben eine angenehme Spannung, die mich immerfort getrieben hat, weiterlesen zu wollen.
War der Umfang angemessen?
Der 336-Seiten-Roman war absolut kurzweilig, ohne langweilende Längen. Es war schön, dass das Geheimnis um Ronald Papens Vergangenheit am Ende noch viel Raum bekommen hat und sehr detailreich aufgelöst wurde. Der Roman ist aus Kims Perspektive viele Jahre nach dem gemeinsamen Sommer geschrieben. Mich hat es daher gefreut, dass auch Kims Werdegang nochmal aufgegriffen und erzählt wird. Damit bleiben dem Leser kaum offenen Fragen. Was zugleich wohl auch bedeutet, dass es definitiv keine Fortsetzung dieser Geschichte geben wird.
Werde ich den Autor und/oder die Thematik weiter verfolgen?
Ich hatte noch nichts von Jan Weiler gelesen, obwohl er einige populäre Bücher veröffentlicht hat. Nachdem ich jetzt weiß, wie er schreibt, kann ich mir durchaus vorstellen, weitere Erfahrungen mit seiner Arbeit zu machen.