Lisas Literatur-Likes: Ein Buch, das meinen Wissensdurst geweckt hat
Lisa Mayer (29), Bronzegewinnerin bei Olympia in Paris mit der 4x100-Meter-Sprintstaffel, gibt in ihrer Kolumne Literaturtipps und empfiehlt diesmal „Die Erfindung der Flügel“ von Sue Monk Kidd.

28.10.2025

Warum dieser Autor und dieses Buch?
Beim Stöbern in der Buchhandlung bin ich auf den Roman „Die Erfindung der Flügel“ von Sue Monk Kidd gestoßen. Ich hatte vorher noch nichts von der amerikanischen Schriftstellerin gehört oder gelesen. Oprah Winfreys Stimme zum Buch - „Ein wunderbarer Roman für jeden, der seine eigene Stimme finden will. Es ist unmöglich, dieses Buch zu lesen, ohne danach anders über sich selbst und die eigene Rolle in der Welt zu denken“ - hat mich emotional direkt angesprochen. Außerdem war ich neugierig, einen Roman zum Thema Sklaverei zu lesen.
Worum geht es?
Der Roman spielt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Charleston (USA) und erzählt aus dem Leben der zwei Protagonistinnen Sarah und Handful. Es geht um Freiheit, Selbstbestimmung und Unterdrückung. Sarah ist die Tochter wohlhabender Gutsbesitzer und bekommt zu ihrem elften Geburtstag ein spezielles Geschenk: Die schwarze zehnjährige Hetty, genannt Handful, die ihr als Dienstmädchen zur Seite stehen soll. Sarah erkennt dies instinktiv als Ungerechtigkeit an und versucht daraufhin, Handful aus der Sklaverei zu befreien. Sie scheitert jedoch immer wieder an den strengen Gesetzen und der Macht ihrer Familie. Ihr Widerstand wird jedoch immer stärker, bis sie schließlich ihre Heimat verlässt, um für die Abschaffung der Sklaverei und Frauenrechte zu kämpfen. Handful erlebt währenddessen in aller Härte die Grausamkeit der Sklaverei, doch ihr Wille und der Traum von Freiheit bleiben ungebrochen. Mut findet sie immer wieder in den Geschichten ihrer Mutter von Menschen mit Flügeln, die früher einmal fliegen konnten.
Womit punktet das Buch besonders?
Die Mischung aus historischen Fakten und literarischer Fiktion haben diesen Roman sehr besonders gemacht. Die Autorin hat sich nicht nur von einer der ersten amerikanischen Frauenrechtlerinnen, Sarah Moore Grimké (1792 - 1873), inspirieren lassen, sondern sich zur Aufgabe gemacht, dieser Frau und ihrem Leben mehr Sichtbarkeit zu geben. Dementsprechend sind alle prägenden Ereignisse und Erlebnisse aus Grimkés Leben in den Roman eingeflossen, so auch die Tatsache, dass sie eine Kammerzofe namens Hetty bekommen hat. Über dieses Zusammenleben gibt es jedoch keine Überlieferungen. Somit ist die Geschichte Handfuls komplett fiktiv. Monk Kidd wollte unbedingt auch die Perspektive einer versklavten Frau einfließen lassen. Die Geschichte der beiden ist mitreißend und emotional erzählt.
Wie war das Lesegefühl?
Ich will ehrlich sein: Ich habe mehrere Anläufe gebraucht, um so richtig in einen „Lese-Flow“ zu kommen. Einmal dort angekommen, konnte ich das Buch jedoch nicht mehr weglegen, Sarahs und Handfuls Geschichte hat mich gefesselt und bewegt. Warum ich mich zu Beginn so schwergetan habe, kann ich gar nicht genau sagen. Ich weiß aber, dass ich extrem froh bin, drangeblieben zu sein. Heute ist das Buch eins meiner absoluten Lieblingsbücher, das ich immer, wenn ich nach meinen „Top 5“ gefragt werde, aufzähle. Es ist mir nicht nur durch die literarische Geschichte und wegen der historischen Bedeutung in Erinnerung geblieben, auch der besondere Schreibstil Monk Kidds hat dazu beigetragen. Er ist detailreich, emotional, zugänglich und mit vielen Metaphern versehen. Sarahs Kapitel wirken eher gebildet und reflektiert, Handfuls hingegen etwas einfacher, dafür emotionaler. Dieser leicht voneinander abweichende Schreibstil der beiden Ich-Perspektiven erzeugt eine hohe Authentizität der Protagonistinnen.
War der Umfang angemessen?
Der Roman umfasst fast 500 Seiten, was nicht wenig ist. Dennoch erachte ich die Länge als angemessen, sogar notwendig. Es werden mehrere Jahrzehnte im Leben der Protagonistinnen dargestellt, und in Hinblick auf die historische Grundlage bietet dieser Umfang erst den nötigen Raum für die richtige Balance zwischen realen Fakten und emotionaler Fiktion. Außerdem schreitet die Handlung ohne zähe Längen voran, was den Lesefluss unterstützt.
Werde ich die Autorin und/oder die Thematik weiterverfolgen?
Die behandelten Themen sind von extremer Wichtigkeit im Kontext der historischen Aufarbeitung. Solche literarischen Werke mit historischer Vorlage schaffen das Bewusstsein für bestimmte Ereignisse und Geschehnisse und rücken diese ins Blickfeld, sodass mein Wissensdurst geweckt wird, mich weitergehend damit auseinander zu setzen. So habe ich es auch beim Thema Sklaverei gemacht. Auch werde ich bestimmt einen anderen Roman von Sue Monk Kidd lesen, da mir ihr Schreibstil gefallen hat.