Mit neuem Fokus: Ballhaus-Zwillinge kämpfen um WM-Medaillen
Die Judo-Schwestern Seija und Mascha Ballhaus starten in dieser Woche gemeinsam in die WM in Budapest. Ihr wichtigstes Ziel aber ist, 2028 in Los Angeles Seite an Seite um Olympiamedaillen zu kämpfen. Dafür haben sie ihre Einstellung verändert.

10.06.2025

Im vergangenen Winter, als Wettkampf- und Trainingsbetrieb ruhten und sie endlich ein bisschen Muße fanden, haben Seija und Mascha Ballhaus eine To-do-Liste aufgestellt. Sich darüber klar zu werden, wohin ihr sportlicher Weg sie führen soll in den kommenden Jahren, war den Zwillingen ein wichtiges Anliegen. „Wir wollen bis zu den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles alles herausholen, was wir können. Dafür haben wir uns einen Plan gemacht, um so zielgerichtet wie möglich zu arbeiten“, sagt Mascha, während ihre eine Minute ältere Schwester zur Unterstützung vehement nickt. Es sind Momente wie diese, in denen deutlich wird, wie ernst es ihnen ist mit ihrem Sport. Aber auch, wie sehr sie es genießen, ihren Weg gemeinsam bestreiten zu dürfen.
Mascha und Seija sitzen für das Interview mit dem DOSB auf dem Bett, das sie sich in der Sportschule Kienbaum teilen. Die unmittelbare Wettkampfvorbereitung auf die Judo-WM, die an diesem Freitag in Ungarns Hauptstadt Budapest beginnt, hat sie ins Berliner Umland geführt, in eine der Herzkammern des deutschen Sports. Sie genießen Trainingslager, weil sie in München, wo sie am Bundesstützpunkt trainieren, seit einigen Jahren getrennt voneinander leben. Weil sie aber seit ihrer Geburt fast alles teilen außer ihre Lebenspartner, gibt es die Ballhaus-Twins sportlich nur im Doppelpack. Entsprechend glücklich sind sie darüber, in Ungarn beide für das deutsche Team nominiert zu sein. Mascha tritt im 52-Kilogramm-Limit an, Seija in der Gewichtsklasse bis 57 Kilo. Das gesamte deutsche Aufgebot findet ihr hier.
Es ist die dritte WM im Erwachsenenbereich, die sie gemeinsam angehen, aber in diesem Jahr ist etwas anders. „Bislang sind wir zur WM eher mit der Einstellung gefahren, dass wir unser Bestes geben und mal schauen wollten, wofür es reicht“, sagt Seija, „es war cool, dabei zu sein, aber realistisch gesehen gab es immer Gegnerinnen, die stärker einzuschätzen waren.“ In diesem Jahr reist sie allerdings als Europameisterin an, nachdem sie Ende April in Podgorica (Montenegro) ihren ersten großen Einzeltitel feiern durfte. Und auch Mascha, die im Mai beim Grand-Slam-Turnier in Astana (Kasachstan) Gold holte, zählt zum Favoritenkreis. „Wir reisen beide mit dem klaren Mindset nach Budapest, um die Medaillen mitzukämpfen. Wir wissen jetzt, dass wir im Erwachsenenbereich angekommen sind, dass wir zur Spitze gehören und an einem guten Tag jede Gegnerin schlagen können“, sagt Mascha.
Dieser Stimmungsumschwung hat mehrere Ursachen. Zum einen sind die Schwestern, nachdem es in der Folge der Olympischen Spiele von Paris den üblichen Umbruch im Team gegeben hat, nicht mehr die Küken im deutschen Judo. „Wir haben mehr Erfahrung gesammelt und gehen dank unserer Erfolge mit mehr Selbstbewusstsein in die Wettkämpfe“, sagt Seija. Eine Führungsrolle haben die beiden zwar noch nicht inne, „dafür sind wir auch zu zurückhaltend, da sind andere besser geeignet“, sagt Mascha. Insbesondere die zweifache Weltmeisterin Anna-Maria Wagner, die zum Saisonende ihre Karriere beendet und in Budapest schon nicht mehr am Start ist, wird ihnen fehlen. „Sie war immer für uns da, man konnte sie immer um Rat fragen“, sagt Mascha, „aber wir versuchen, sie ein bisschen zu ersetzen und für die Jüngeren im Team als Ansprechpartnerinnen bereit zu stehen.“
Zum anderen, und das ist der wichtigere Part, haben Mascha und Seija die Spiele von Paris als eine Zäsur für ihre Karrieren deklariert. „Bis Paris war alles nur auf Olympia ausgerichtet, es gab kein anderes Thema. Danach haben wir beide den Reset-Knopf gedrückt und uns gesagt: Jetzt starten wir noch einmal voll durch“, sagt Seija, die die Qualifikation für Paris knapp verpasst hatte und Pauline Starke den Vortritt lassen musste. Als Trainingspartnerin durfte sie ihre Schwester, die ihre Olympiapremiere auf Rang sieben abschloss, aber begleiten, so dass sie auch das Abenteuer Paris gemeinsam bestreiten konnten. „Natürlich war ich anfangs sehr enttäuscht, dass ich es nicht ins Team geschafft hatte. Aber mir war sofort klar, dass ich Mascha so gut wie möglich unterstützen wollte, und am Ende hatte ich richtig Spaß“, sagt sie.
Insbesondere der gemeinsame Auftritt im ZDF im Anschluss an Maschas Wettkampftag habe ihnen die Faszination Olympia vor Augen geführt. „Wir hatten so etwas noch nie gemacht und waren entsprechend aufgeregt. Und es war wirklich verrückt, wie viele Leute uns gesehen haben. Unsere Eltern sind von alten Freunden, die sich viele Jahre nicht gemeldet hatten, angesprochen worden. Ich bin danach sogar auf dem Flughafen erkannt worden. So etwas kannten wir aus der Randsportart Judo vorher nicht“, sagt Mascha, die mit ihrem Abschneiden zwar zunächst unglücklich war, mittlerweile aber ihren Frieden damit geschlossen hat. „Natürlich hätte ich gern mehr erreicht. Aber ich bin im Nachhinein total stolz auf mich, dass ich meine Nerven im Zaum halten und die Spiele richtig genießen konnte. Und dass Seija dabei war, obwohl es für sie eine schwierige Zeit war, hat mir sehr geholfen und viel bedeutet.“
2028 in Los Angeles, das steht ganz oben auf ihrer To-do-Liste, soll das Ziel, gemeinsam im deutschen Team um Medaillen zu kämpfen, unbedingt erreicht werden. „Diesen Traum haben wir, seit wir beim TSV Glinde mit dem Judo begonnen haben, und wir werden ihn uns in drei Jahren erfüllen“, sagen beide. Spätestens mit dem EM-Titel, sagt Mascha, strahle ihre Schwester eine Ruhe aus, die sie bislang nicht von ihr kannte. „Ich sehe seit zwei Jahren fast täglich im gemeinsamen Training, welches Potenzial sie hat. Manchmal konnte sie es im Wettkampf nicht abrufen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis der Knoten platzt. Jetzt bin ich sehr glücklich zu sehen, dass sie voll an sich glaubt und sich zutraut, auch die großen Namen zu besiegen. Sie wartet jetzt mehr auf den richtigen Moment, hat eine andere Ruhe und Übersicht in ihren Aktionen.“
Seija dagegen glaubt festgestellt zu haben, dass ihre Schwester einen stärkeren Fokus auf das Wesentliche legt als bislang. „Früher war es manchmal so, dass Mascha sich hängen ließ, wenn sie einen Kampf verloren hatte, obwohl sie noch im Wettbewerb war. Sie hat sich unnötig Druck gemacht und dadurch selbst geschadet. Jetzt gelingt es ihr viel besser, Negatives abzuhaken und auch an einem nicht so guten Tag mit einer Medaille von der Matte zu gehen“, sagt sie.
Ihr Umfeld in München haben die gebürtigen Hamburgerinnen, die in der Bundesliga gemeinsam für den JSV Speyer antreten, noch ein Stück mehr professionalisiert. Nachdem ihre langjährige Trainerin Erika Miranda in ihre Heimat Brasilien zurückgekehrt ist, arbeiten sie nun mit ihrem damaligen Juniorinnen-Bundestrainer Lorenz Trautmann. „Neue Anreize sind gut für den Kopf und bringen frischen Wind“, sagt Seija, die ihre Ausbildung bei der bayrischen Landespolizei im Januar abgeschlossen hat und sich nun voll auf ihren Sport konzentrieren kann. Gleiches gilt für Mascha, die Ernährungswissenschaften studiert, aber als Sportsoldatin ebenfalls den vollen Fokus auf die Leistungssportkarriere legen kann. „Diese Unterstützung durch Bundeswehr und Polizei ist extrem wichtig, es ist toll, dass es diese Förderstellen gibt“, sagen beide.
Um etwas zurückzugeben, wird Mascha Ende Juni auch noch bei der Militär-WM in Warendorf starten, während ihre Schwester die obligatorischen vier Wochen Polizeidienst ableistet. Anschließend jedoch geht es mit voller Kraft auf den Weg Richtung Los Angeles. Und auch über 2028 hinaus haben die Ballhaus-Zwillinge schon Pläne. Die deutsche Bewerbung um die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele im Zeitraum 2036 bis 2044 kommt zwar für eine aktive Beteiligung zu spät, „aber wir können uns beide vorstellen, weiter im Sport zu bleiben und in anderer Funktion Olympische Heimspiele zu erleben“, sagen sie. Wichtig ist ihnen, auch diesen Weg gemeinsam zu bestreiten. Klar ist: Für die nächste To-do-Liste im Winter 2028/29 werden Seija und Mascha problemlos neue Ziele finden.

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