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„Noch einmal alles herausholen, was möglich ist“

Fabienne Königstein scheidet am Samstag aus ihren Ämtern im DOSB aus, weil sie sich auf ihre Karriere im Marathon konzentrieren will. Über eine Athletin, die schon häufiger von der Norm abgewichen ist – und daraus sehr viel gelernt hat.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

01.12.2025

Eine Frau zeigt ein Banner
Beim Berlin-Marathon Ende September lief Fabienne Königstein mit einer Zeit von 2:22:17 Stunden auf Rang drei der deutschen Rekordliste.

Normalerweise läuft es doch so: Eine Leistungssportlerin spürt, dass sich ihre aktive Karriere dem Ende zuneigt. Sie überlegt, was der nächste Lebensabschnitt bereithalten könnte, und kommt zu dem Schluss, nun Zeit für ein Engagement in der Sportpolitik zu haben. Sie tritt also im Wettkampfbetrieb kürzer, übernimmt ein Amt, um erste Erfahrungen zu sammeln, und wenn es gut läuft, wird daraus eine Berufung, idealerweise sogar ein Beruf.

An diesem Sonnabend werden die Delegierten auf der Mitgliederversammlung des DOSB im Kap Europa in Frankfurt am Main eine Athletin verabschieden, die den umgekehrten Weg geht. Fabienne Königstein, seit 2021 als Vertreterin der Athlet*innenkommission Mitglied im DOSB-Präsidium, gibt ihr sportpolitisches Amt auf, um sich in den kommenden Jahren voll auf ihre Ziele im Langstreckenlauf zu konzentrieren. Die 33-Jährige will, nachdem sie Ende September beim Berlin-Marathon in 2:22:17 Stunden die drittbeste je von einer Deutschen gelaufenen Zeit in die Rekordliste brannte, „noch einmal alles herausholen, was möglich ist. Und dazu gehört, dass ich meinen Fokus komplett auf den Sport lege“, sagt sie.

Ein ungewöhnlicher Schritt ist das, aber er passt zu der Athletin, die zum 1. Januar von der MTG Mannheim zu Hannover 96 ins Laufteam Niedersachsen wechselt und in ihrem Leben schon häufiger von der Norm abgewichen ist. Nach einem Einser-Abitur am Ottheinrich-Gymnasium in Wiesloch und einem einjährigen Sportstipendiat in den USA studierte sie Molekularbiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum der Universität Heidelberg, schloss den Bachelor mit 1,1 und den Master mit 1,2 ab. Doch anstatt eine Karriere in der Wissenschaft anzustreben, entschied sie sich, zum Leidwesen ihrer Eltern und Großeltern, für ihren Sport. „Es war eine Herzensentscheidung“, sagt sie, „Labor macht mich einfach nicht glücklich. Gib mir ein Lehrbuch, das finde ich spannend. Aber nach einem Tag im Labor habe ich komplett schlechte Laune. Ich sehe meine Zukunft in der Sportwelt.“

Rückblick mit einer Mischung aus Stolz und Dankbarkeit

Zunächst sah es jedoch so aus, als wolle diese Sportwelt mit der gebürtigen Heidelbergerin nichts zu tun haben. Ständige Verletzungen zermürbten sie. 2019 erzwang ein Ermüdungsbruch im Fersenbein mehrere Monate Pause. 2020, nach Abschluss ihres Studiums, begann sie, sich mit sportpolitischen und in erster Linie frauenspezifischen Themen zu befassen, „weil ich spürte, dass ich abseits des Trainings eine Beschäftigung zum Ausgleich brauchte und dem Sport, der mir sehr viel gegeben hat, etwas zurückgeben wollte.“ Und als sie im August 2021 wegen eines Sehnenabrisses im Oberschenkel, der operativ behoben werden musste, erneut für ein halbes Jahr zur Untätigkeit gezwungen war, entschied sie sich für eine Kandidatur um einen Platz im Präsidium des Vereins Athleten Deutschland. Sie hatte Erfolg, wurde gewählt und damit, weil dem Wunsch vieler Athlet*innen folgend beide Gremien personengleich besetzt werden sollten, auch Mitglied der Athlet*innenkommission des DOSB.

Ein Problem sieht Fabienne Königstein in der Doppelfunktion nicht, weder rückblickend noch in die Zukunft gerichtet. „Es geht in beiden Gremien um das vorrangige Ziel, die Bedingungen für Athletinnen und Athleten zu verbessern. Wenn allen klar ist, dass sie ihre Rollen den Bedürfnissen der beiden Institutionen anpassen müssen, sehe ich es eher als Vorteil an, dass die Interessenvertretung mit einer Stimme sprechen kann“, sagt sie. Die Ressentiments, die zwischen manchen Funktionsträger*innen auf beiden Seiten herrschen, könne sie weder nachvollziehen noch gutheißen. „Ich würde mir wünschen, dass man in Sportdeutschland stolz darauf ist, so starke Athletinnen und Athleten zu haben, die im engen Austausch untereinander stehen. Das, was Athleten Deutschland auszeichnet, nämlich hauptamtlich zu arbeiten und finanzielle Mittel zu haben, mit denen sich wirksam arbeiten lässt, kann eine ehrenamtliche Athlet*innenkommission im DOSB gar nicht leisten. Es ist schade, dass wir es nach wie vor nicht geschafft haben, klar zu definieren, wer welche Aufgaben übernimmt“, sagt sie.

Es ist eine Mischung aus Stolz und Dankbarkeit, mit der Fabienne Königstein auf ihr Wirken im DOSB zurückschaut. „Im aktuellen Koalitionsvertrag sind einige der Themen enthalten, für die ich mich stark gemacht habe, auch wenn ich meinen persönlichen Einfluss weder richtig einschätzen kann noch überbetonen möchte“, sagt sie. Als DOSB-Präsidiumsmitglied sei ihr wichtig gewesen, sich nicht nur für „Athletenthemen“ einzusetzen, sondern die Bandbreite der Sportpolitik zu erfassen. Für ihre persönliche Entwicklung sei die Zeit deshalb besonders lehrreich gewesen. Aus einer Musterschülerin, die sich schwer getan hat, Minderheitsmeinungen zu äußern und zu vertreten, sei ein Mensch geworden, der sich traut, für seine Meinung einzustehen und auch für die Meinungen anderer zu kämpfen. „Das Wichtigste, was ich gelernt habe: Wie mühsam und gleichzeitig wichtig es ist, Kompromisse zu schließen. Man wird niemals alle zufriedenstellen, aber man kann Lösungen finden, die alle mittragen können.“

  • Fabienne Königstein

    Mental hat mir meine Tochter enorm geholfen, durch sie habe ich gelernt, nicht an alles so verbissen heranzugehen, sondern dankbar für die Zeiten zu sein, die ich nur für mich nutzen kann. Das ist ein Privileg, das ich früher nicht so gesehen habe.

    Fabienne Königstein
    Marathonläuferin und Präsidiumsmitglied
    Deutscher Olympischer Sportbund

    Diese auf dem Themenfeld der Spitzensportreform noch nicht gefunden zu haben, empfindet die Deutsche Meisterin von 2018 als größte Ernüchterung ihrer Amtszeit. „Ich wünschte, wir wären dort schon einige Schritte weitergekommen. Leider sind die Athletinnen und Athleten nicht so eng eingebunden worden, wie es dem Themenkomplex angemessen wäre. In der Kommunikation heißt es zwar immer, dass wir im Mittelpunkt stehen sollten, aber umgesetzt wird das leider zu selten. Wir werden grundsätzlich oft zu spät eingebunden, können dann nur absegnen, aber nicht mitbestimmen“, sagt sie. In ihrer Idealvorstellung gäbe es eine Liste an Themen, bei denen festgeschrieben ist, dass die Sportler*innen ein Mitbestimmungsrecht haben, bei anderen reichte ein Mitspracherecht. „Klar ist für mich, dass es hier eine deutliche Verbesserung braucht.“

    Optimierungspotenzial für die kommenden Jahre sieht sie auf diversen Feldern. Da wäre die Implementierung des Sportfördergesetzes, das nach dem Aus der Ampelregierung im Herbst vergangenen Jahres zunächst auf Eis gelegt wurde und nun nach einem von der neuen Koalition unabgestimmt vorgelegten Entwurf Konfliktpotenzial birgt. Die soziale Absicherung von Athlet*innen sei genauso wichtig wie eine bessere Vergütung von Trainer*innen und die Zahlung eines Inflationsausgleichs. Persönlich interessiert sie die Ausgestaltung des Mutterschutzes besonders. „Ich habe mir definitiv vorgenommen, mich über alle relevanten Themen weiter zu informieren und Ansprechpartnerin zu bleiben, wenn mein Rat gewünscht wird“, sagt sie.

    Wie schwer es ihr fallen wird, sich nicht mehr regelmäßig auch mit Taten einzubringen, kann Fabienne Königstein noch nicht einschätzen. Als Herausforderungs-Junkie, der sie ist, kann sie Stillstand nicht gut ertragen, und den für komplexe Projekte notwendigen langen Atem hat sie nicht nur in ihrem Sport oft genug nachgewiesen. Dennoch glaubt sie, dass ihr die Priorisierung zugunsten der Marathon-Karriere gut tun wird. Auch weil sie dank ihrer im Sommer 2022 geborenen Tochter Skadi gelernt hat, sich nicht ständig vom Streben nach Perfektion antreiben zu lassen. „Mental hat mir meine Tochter enorm geholfen, durch sie habe ich gelernt, nicht an alles so verbissen heranzugehen, sondern dankbar für die Zeiten zu sein, die ich nur für mich nutzen kann. Das ist ein Privileg, das ich früher nicht so gesehen habe“, sagt sie.

    Rückkehr in die Sportpolitik hält sie für durchaus denkbar

    Und wenn man es nüchtern betrachtet, ist der Spagat zwischen dem Vollzeitjob, Mutter zu sein, und dem brutal harten Trainingsalltag einer Marathon-Spitzenkraft auch Herausforderung genug. Nachdem ihr Mann Karsten, der auch ihr Trainer ist, in den ersten Jahren dank Elternzeit und Teilzeitjob als Honorararzt viel Erziehungsarbeit leisten konnte, ist er mittlerweile in Vollzeit als Kinderarzt und Sportmediziner an der Uniklinik in Magdeburg angestellt, vor zwei Monaten ist die Familie aus der Region Karlsruhe nach Sachsen-Anhalt gezogen. „Es ist sicherlich nicht einfach, Marathon als Leistungssport mit der Rolle als Mutter unter einen Hut zu bekommen. Aber ich möchte das schaffen und freue mich darauf“, sagt sie.

    Wohin es sie sportlich noch tragen kann, bleibt abzuwarten. „Mein größtes Problem ist meine Verletzungsanfälligkeit“, sagt sie. Nach dem Berlin-Marathon quälten sie Hüftprobleme, die sie im November zwei Wochen lang in Kenia, wo sie regelmäßig Trainingslager abhält, von einheimischen Physiotherapeuten kurieren ließ. „Ich hoffe, dass ich jetzt mehr Zeit in die Regeneration investieren kann und dadurch weniger verletzt sein werde“, sagt sie. Wenn das gelänge, dann ist im kommenden Jahr im August die EM in Birmingham (England) ihr Ziel und langfristig die Qualifikation für Olympia 2028 in Los Angeles.

    Gelingt es nicht, dann hat Fabienne Königstein immerhin die Gewissheit, dass ihr der Weg zurück in die Sportpolitik geebnet bleibt. „Ohne den Druck, am nächsten Tag wieder Training zu haben, hätte ich dann auch die Zeit, in späten Stunden an der Bar bei den politischen Entscheidungen dabei zu sein. Auf Menschen zuzugehen und sie für wichtige Themen zu begeistern, das kann ich mir für die Zeit nach der aktiven Karriere sehr gut vorstellen“, sagt sie. Klingt ganz so, als müsse es kein Abschied für immer sein am Samstag.

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