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Podiumsdiskussion mit dem DFB-Präsidenten in Berlin über das Thema Integration durch Fußball

DFB-Präsident Theo Zwanziger war Gast einer Podiumsdiskussion zum Thema "Integration durch Fußball - ein Erfolgsrezept oder nur ein schöner Schein" in Berlin mit anschließendem Integrationsfest des Berliner Fußball-Verbandes.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

28.10.2009

„Wenn Mädchen mit dem Kopftuch spielen wollen, dann lassen wir sie doch mit dem Kopftuch spielen. So lange das unseren Regeln nicht widerspricht, sehe ich keine Probleme und empfinde es auch nicht als religiösen Protest oder gar Provokation“, erklärte Zwanziger. Brisanz hatte das Thema natürlich durch die Aussagen von Theo Sarrazin erhalten. Der ehemalige Berliner Finanzsenator und Vorstand der Bundesbank, hatte mit kritischen Interview-Äußerungen über die Integration von Ausländern für Aufsehen gesorgt.

Fußball sei doch ein klassisches Migrantenspiel, meinte der Freiburger Professor Dr. Diethelm Blecking, einer von fünf Gesprächsteilnehmern, und las eine lange Liste von Namen vor, wo deutlich ein Migrationshintergrund zu erkennen war. Sie begann bei Abramczyk und endete bei Zorc. Die Kernaussage des Wissenschaftlers gipfelte schließlich darin: „Fußball ist ein Spiel, an dem alle Schichten teilnehmen können. Man kann auch Tore schießen, ohne die Sprache zu kennen.“ Dass jüngst in der U 21-Auswahl neun von elf Spielern in der Startaufstellung ausländischen Wurzeln besaßen, muss zwar nicht als Regel gelten, sollte aber auch nicht verwundern. Immerhin leben rund 15 Millionen Menschen mit unterschiedlicher kultureller Herkunft in Deutschland.

Dass der Sport bei deren Eingliederung in die Gesellschaft eine große Rolle spielt und als nationale Aufgabe zu betrachten sei, darüber waren sich alle in der Runde einig, so Bernd Schultz und Mehmet Matur, der Präsident beziehungsweise Integrationsbeauftragte des Berliner Fußball-Verbandes, und von der Politik der Berliner FDP-Sportsprecher Sebastian Czaja, die neben Zwanziger und Blecking über Chancen, Maßnahmen und Wege debattierten, wie am besten die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen seien.

„Wenn wir vernünftig und respektvoll miteinander umgehen, ist schon viel geholfen“, erklärte der DFB-Präsident, der in dieser Beziehung den einzelnen Landesverbänden ein gutes Zeugnis ausstellte, besonders dem Berliner, wo die Probleme vielleicht häufiger als anderswo auftreten. „Und sollte bei den 80.000 Spielen, die jedes Wochenende bei uns stattfinden, mal etwas an Fehlverhalten passieren, dann sollte man aber auch berücksichtigen, dass auf den anderen 79.999 Plätzen alles glatt und normal verlaufen sei, womit ich Ausschreitungen keineswegs akzeptiere und für gerechte Strafen durch unsere Sportgerichte bin.“ Und dann sprach er von der Kraft des Fußballs, der Menschen näher bringt.

Mehmet Matur ist zwar ebenfalls fest davon überzeugt, wenngleich er manchmal auch Nachdenkliches erlebt. So führte er ein Beispiel an, das ihn doch sehr berührte und in Berlin durchaus keine Seltenheit darstellt. Bei einem Spiel einer C-Jugendmannschaft, in der sowohl Deutsche als auch Türken standen und gut miteinander harmonierten, war das bei den Eltern am Spielfeldrand durchaus nicht der Fall. Durch zehn bis 20 Meter getrennt hielten sich die beiden Gruppen auf, obwohl ihre Kinder gemeinsam dem Ball hinterher jagten.

Bernd Schultz gab zu, dass so etwas vorkommt und sein Verband in dieser Beziehung noch viel Arbeit vor sich habe, zumal leider zu wenig Menschen mit Migrationshintergrund sich bereit erklären, in Vereinen oder im Verband eine Funktion zu übernehmen, was bisher höchstens zu fünf Prozent der Fall ist. Einer der Gründe mag darin liegen, dass vornehmlich bei der ersten Einwanderer-Generation, noch immer sprachliche Barrieren existieren. „Unser Ziel muss es sein, gerade hier motivierend zu wirken und sie in unser System zu integrieren, was wir durch bestimmte Projekte bereist versuchen. Aber das bedarf wohl eines längeren Prozesses.“

Für Czaja stellte sich deshalb die Frage, ob die Haushaltspolitiker das Geld immer richtig beziehungsweise zielgerichtet einsetzen. „Wäre es nicht wesentlicher sinnvoller, einer kommunalen Freizeiteinrichtung etwas weniger zukommen zu lassen und dafür die vorhandenen Mittel dem Sport zur Verfügung zu stellen, der doch die wahre Integrationsarbeit leistet?“, fragte er. Der Beifall zeigte, dass der FDP-Mann damit ins Schwarze getroffen hatte.

Dem stimmte Zwanziger absolut zu, meinte allerdings, dass „inzwischen auch unsere Politiker begriffen haben, welche Möglichkeiten der Sport als Einstiegsstelle für Menschen unterschiedlicher Herkunft und kultureller Bereiche bietet und wo sich das Zusammenwachsen am ehesten sich verwirklichen lässt. Was auch bei unserer Nationalmannschaft deutlich zu sehen ist. Mich freut, wenn junge Menschen mit Migrationshintergrund für Deutschland spielen wollen“.

Unwirsch reagierte der DFB-Boss allerdings auf einen Zwischenruf, dass bei Länderspielen die Podolskis, Özils und Khediras niemals die Nationalhymne mitsingen. „Ich gebe zu, dass ich in dieser Beziehung viele Briefe erhalten habe. Doch kann überhaupt jeder bei uns die Nationalhymne? Man sollte aber auch bedenken, dass es sich um junge Menschen handelt, die ohnehin schon in ein starres Konzept eingebunden sind, vor dem Spiel Autogramme, nach dem Spiel Interviews geben sollen, ferner darauf zu achten haben, dass sie immer richtig gekleidet sind und sich in der Öffentlichkeit entsprechend verhalten. Schließlich wollen sich manche vor dem Anpfiff auch ganz speziell konzentrieren. Deshalb nehme ich es keinem übel, wenn er nicht mitsingt. Wichtig ist, dass er gut Fußball spielt.“

Im Anschluss an die Diskussion fand das 4. Integrationsfest des Berliner Fußball-Verbandes unter dem Motto „Gemeinsam spielen - gemeinsam feiern“ statt, wo auch die Gewinner des diesjährigen Integrationspreises durch Theo Zwanziger ausgezeichnet wurden. Auf dem ersten Platz landete der BSV Al-Dersimspor, der sich seit Jahren für die Rechte von Frauen mit Migrationshintergrund einsetzt. Das wurde besonders deutlich, als die in der Verbandsliga Berlinerinnen im Jahr 2006 nach Teheran flogen und dort ein Freundschaftsspiel gegen die iranischen Frauen-Nationalmannschaft (2:2) bestritten. Wobei beide Teams in langen Hosen und mit Kopftüchern antraten. Das vielbeachtete Ereignis gab inzwischen auch den Stoff für einen Dokumentarfilm her.

Die 4.000 Euro, die für den ersten Platz ausgelobt waren, will der 800 Mitglieder starke Kreuzberger Verein als Basis für sein 2010 geplantes internationales Frauen-Turnier einsetzten, zu dem acht Mannschaften eingeladen werden, die es aus religiösen, politischen oder finanziellen Gründen schwer haben, zu der Veranstaltung nach Berlin anzureisen. Noch größere Pläne bestehen für das WM-Jahr 2011, wo 16 Teams aus allen Kontinenten teilnehmen sollen.

Zu den weiteren ausgezeichneten Klubs des Berliner Integrationspreises gehörten der FSV Hansa 07 und der FC Internationale, der sich auf dem Gebiet der Drogen-Prävention einen Namen gemacht hat. Schließlich gab es auch noch einen Sonderehrenpreis für den LFC Berlin, der sich besonders im Blindenfußball engagiert. Auch das ist Integrationsarbeit.

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