Sein Abschiedswunsch an den deutschen Sport: Bleibt beisammen!
Am 31. Juli endet das siebenmonatige Intermezzo von Volker Bouffier als Vorstand mit besonderen Aufgaben im DOSB. Im Fazitgespräch erläutert der 73-Jährige, was er aus dieser Zeit gelernt hat, was er dem Sport rät und wie er sich künftig einbringen will.

29.07.2025

Das Wort Vermächtnis hört er nicht gern, zumindest nicht im Zusammenhang mit seinem Wirken. „Als Notar weiß ich, dass ein Vermächtnis bedeutet, einem Menschen oder einer Gruppe etwas zu hinterlassen, das eine Pflicht zum Handeln voraussetzt, und das möchte ich dem DOSB nicht zumuten“, sagt Volker Bouffier. Wenn der 73-Jährige Ende Juli nach sieben Monaten als Vorstand mit besonderen Aufgaben aus dem Dachverband des deutschen Sports ausscheidet, möchte er anderen überlassen, ein Urteil über sein Intermezzo zu fällen. „Für meinen Teil kann ich sagen, dass es sehr interessante Monate waren, in denen ich einiges gelernt und mitgenommen habe.“
Thomas Weikert kann das uneingeschränkt zurückgeben. „Ich glaube, dass viele im DOSB einiges von Volker Bouffier gelernt haben. Er hat uns in einer Zeit unterstützt, in der wir seine Hilfe sehr gut gebrauchen konnten. Vor allem mit seinem großen Netzwerk in der Politik hat er dem deutschen Sport in den vergangenen sieben Monaten große Dienste geleistet. Dafür gebührt ihm unser herzlicher Dank“, sagt der DOSB-Präsident. Ihm habe vor allem imponiert, mit welcher Verve sich Bouffier in die neue Aufgabe eingebracht hat.
Als im Dezember, nachdem sich der DOSB und sein damaliger Vorstandsvorsitzender Torsten Burmester wegen dessen Ambitionen auf das Amt des Oberbürgermeisters von Köln getrennt hatten, die Anfrage kam, ob er für eine Übergangsphase helfen könne, war es sein Pflichtgefühl, das den langjährigen Ministerpräsidenten Hessens kaum zögern ließ. „Der DOSB war in einer sehr schwierigen Lage, und da ich dem Sport schon immer sehr zugeneigt war, wollte ich gern helfen. Nicht, weil ich unbedingt einen weiteren Orden bekommen wollte, sondern weil ich davon überzeugt bin, dass der Sport ein faszinierendes Element für den Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft darstellt“, sagt er.
Von der Vielfalt des DOSB war Volker Bouffier überrascht
Erwartungen habe er keine gehabt, wohl aber eine Außensicht auf die größte Bürgerbewegung des Landes mit ihren mehr als 28 Millionen Mitgliedschaften in rund 86.000 Vereinen. Nun, nach sieben Monaten Innenansicht, könne er beurteilen, wie facettenreich die Aufgabenpalette im organisierten Sport ist. „Mich hat ehrlich überrascht und beeindruckt, welche Vielfalt der DOSB aufweist, wie viele Expertinnen und Experten es für die unterschiedlichen Fachbereiche gibt. Ich hatte zwar einen allgemeinen Überblick, aber in dieser Tiefe war mir nicht bewusst, was für ein extremer Kessel Buntes der deutsche Sport ist“, sagt er. Und lässt einen Satz folgen, der in seiner Analysetiefe typisch ist für die Art, mit der Volker Bouffier komplexe Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen versteht. „Der DOSB ist ein Riese, der bei näherer Betrachtung zum Scheinriesen wird.“
Wie er das meint? „Der DOSB hat 102 Mitgliedsorganisationen und ist Dachverband für mehr als 28 Millionen Mitgliedschaften. Aber anders als in einem großen Unternehmen hat er nicht die Möglichkeit durchzuregieren, weil es die Autonomie der Verbände nicht erlaubt, Entscheidungen zu treffen, die für alle gültig sind. Das macht die Arbeit manchmal schwer, und umso wichtiger ist es, Gemeinsamkeit zu schaffen und eine große Idee zu skizzieren.“ Mit einer Stimme zu sprechen, um gehört zu werden - das ist ein Satz, den Volker Bouffier dem DOSB ins Stammbuch geschrieben hat. Im Wissen, welch hehres Ziel das angesichts der Diversität der Mitgliedsorganisationen ist. In der Zentrale in Frankfurt sei das, auch wenn er gelegentliche Spannungen zwischen den Entscheidungsgremien wahrgenommen habe, „zum großen Teil der Fall, ich habe das Gefühl, dass hier alle in die gleiche Richtung marschieren.“
Um seinen Beitrag dazu zu leisten, war Volker Bouffier von Beginn seiner Amtszeit an bemüht, klare Prioritäten zu setzen. „Es ging mir nicht darum, Strukturen zu verändern, denn das schafft man in so kurzer Zeit nicht. Mir war wichtig, mich auf die Dinge zu fokussieren, die in der ersten Jahreshälfte entscheidend waren. Die Kunst besteht darin, den Kern klar zu halten“, sagt er. Aus seiner Erfahrung heraus, dass Kernbotschaften nur dann verfangen, wenn sie klar und komprimiert vorgetragen werden, straffte er als erste Amtshandlung die zehn auf der Mitgliederversammlung im Dezember verabschiedeten Kernforderungen des DOSB an die Politik auf drei Hauptziele: Bewerbung um Olympische Spiele, die Sportmilliarde für die Modernisierung der Infrastruktur und die Implementierung einer Staatsministerin oder eines Staatsministers für Sport im Kanzleramt.
Auch wenn um die Durchfinanzierung der Sportmilliarde aktuell noch hart gerungen wird: Dass alle drei Kernforderungen tatsächlich Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden haben, ist zwar einer gewaltigen Gesamtanstrengung des Sports geschuldet, aber zu einem guten Teil auch der Beharrlichkeit Volker Bouffiers zu verdanken, der innerhalb seines Netzwerks - das beileibe nicht nur CDU-Parteifreunde umfasst - unzählige Gespräche führte, um für den Sport zu lobbyieren. Natürlich helfe es, mit dem Bundeskanzler und diversen Ministerpräsidenten per Du zu sein, sagt er. „Aber am Ende muss bei allen Gesprächspartnern das Gefühl vorherrschen, dass das, was sie unterstützen sollen, Substanz hat. Ich bin deshalb sehr glücklich darüber, dass wir als organisierter Sport zusammengestanden haben und unsere Forderungen erhört wurden. Darauf lässt sich aufbauen“, sagt er.
Wer Volker Bouffier in den vergangenen Monaten bei der Arbeit zuschauen konnte, sei es in internen Runden oder in der Öffentlichkeit, kann verstehen, warum er sich über so viele Jahre erfolgreich im Haifischbecken Politik behauptet hat. Der gebürtige Gießener kann Menschen für sich gewinnen, weil es ihm gelingt, Probleme zu benennen und gleichzeitig Lösungen anzubieten. Er behandelt niemanden von oben herab, tritt aber trotzdem stets bestimmt und manchmal auch bestimmend auf. Ihn umgibt die Aura eines Staatsmannes; dass er im DOSB als Einziger im Büro rauchte, ohne dass irgendjemand sich getraut hätte, dies offen zu kritisieren, hatte stets etwas Helmut-Schmidt-haftes an sich.
Seine Reden hält er frei. Wer ihm häufiger zuhörte, wird gewisse Formulierungen wie „Im Sport behandeln wir Unterlegene nicht mit dem Baseballschläger“ oder „In vielen Dörfern gibt es keinen Laden und keine Kneipe mehr, aber die Freiwillige Feuerwehr und den Sportverein gibt es immer“ nicht mehr vergessen, auch die „Mühen der Ebene“ sind im DOSB zum geflügelten Wort geworden. Aber dank seiner Schlagfertigkeit und der Fähigkeit, sich auf sein Publikum einzulassen, schafft es der frühere Basketballer, die Zuhörenden in seinen Bann zu ziehen. Wenn er spricht, hört man zu, und das meist sogar gern.
Bouffier ist überzeugt davon, dass der DOSB bestimmter auftreten muss
Manchmal jedoch tut es auch weh. Dann, wenn Volker Bouffier mit scharfen Worten Kritik übt an Dingen, die ihm missfallen. Das Alphatier in ihm bricht sich immer dann Bahn, wenn er das Gefühl hat, richtig zu liegen und nicht ausreichend Gehör zu finden. „Dann macht mal“, sagt er dann - und lässt unmissverständlich durchscheinen, dass er nicht glaubt, dass das was werden kann, wenn es nicht seiner Überzeugung nach umgesetzt wird. Vor allem ist er überzeugt davon, dass der DOSB bestimmter auftreten müsse. „Der Sport kann der Gesellschaft mehr geben als jede andere Organisation. Aber diesem Stellenwert wird oftmals nicht genug Rechnung getragen, und wir müssen uns trauen, die Dinge, die wir benötigen, um unsere Rolle angemessen auszufüllen, auch nachhaltig einzufordern“, sagt er.
Dass er „wir“ sagt, ist nicht gekünstelt. Nach sieben Monaten im DOSB hat Volker Bouffier ein Zugehörigkeitsgefühl zum Sport entwickelt, das über eine „normale“ Arbeitsbeziehung deutlich hinausgeht. „Ich hatte sehr viele Begegnungen, die mich menschlich bereichert haben und aus denen ich viel lernen konnte“, sagt er. Als Traditionalist seien manche Entwicklungen für ihn schwierig nachzuvollziehen, er sehe aber grundsätzlich eher Chancen als Probleme. „Mit dem Thema E-Sport zum Beispiel tue ich mich persönlich schwer, damit hatte ich mich vor der Zeit im DOSB nicht beschäftigt. Aber ich sehe die Möglichkeiten, die sich dadurch eröffnen, also müssen wir uns auch darum kümmern.“
Als am 30. Juni Otto Fricke als neuer Vorstandsvorsitzender des DOSB vorgestellt wurde, war bei vielen Beobachtenden die Wahrnehmung die, dass der FDP-Politiker Volker Bouffier nachfolgen würde. „Mir ist wichtig zu betonen, dass ich mich nicht als Vorstandschef, sondern als Teil des Vorstandsteams betrachtet habe“, sagt er. Fricke halte er für eine gute Wahl, „er ist ein sehr offener, interessierter und versierter Mann, der sich als Generalmanager für den Sport versteht und hier kräftig anpacken will.“ Ob es der DOSB-Führung, wie es Kritiker*innen gern bemängeln, an leistungssportlicher Expertise fehle, weil Fricke keine Erfahrung im Sport vorweisen könne, wolle er nicht beurteilen. „Natürlich hätte ein verdienter Topathlet oder eine erfolgreiche Topathletin auf dem Vorstandsvorsitz eine gewisse Strahlkraft nach außen, die dem DOSB bisweilen fehlt. Aber ob das eine qualitative Aufwertung wäre, sei dahingestellt“, sagt er.
Auf die Frage, was er als Abschiedsgeschenk für den Sport sofort umsetzen würde, wenn er einen Wunsch frei hätte, muss Volker Bouffier nicht überlegen. „Ich habe oft von einem Goldenen Plan gesprochen, den der Sport braucht. Eine neue Bewegung aufzusetzen, wie es vor den Olympischen Spielen 1972 mit ,Trimm dich‘ gelungen ist, wäre eine Herzensangelegenheit, weil ich überzeugt davon bin, dass unser Land so etwas dringend nötig hat.“ Seine Hoffnung sei, dass eine erfolgreiche Olympiabewerbung eine solche Bewegung ermögliche. „Deshalb ist mein Rat und mein Wunsch an den deutschen Sport: Bleibt beisammen, stellt das Gemeinsame vor die Individualinteressen, dann könnt ihr Großes erreichen!“
In welcher Form er dabei mithelfen wird, ist offen. Fakt ist, dass keinerlei Anschlussvereinbarung besteht, auch wenn entsprechende Gerüchte über einen Beratervertrag längst die Runde machten. Dennoch ist Volker Bouffier bereit, seine Expertise auch künftig zur Verfügung zu stellen. „Ich werde nie ungefragt und schon gar nicht öffentlich Ratschläge erteilen, aber wer Rat braucht, wird ihn bekommen. An meiner Grundüberzeugung, wie wichtig der Sport für unsere Gesellschaft ist, wird sich nichts ändern“, sagt er.
Sorge vor Langeweile, die sich mit dem Ausscheiden aus dem DOSB breit machen könnte, hat Volker Bouffier nicht. Seine diversen Mandate in Aufsichtsräten und Kuratorien wird er fortführen, ansonsten aber möchte er eher kürzertreten. „Ich habe verschiedene Anfragen für neue Tätigkeiten, aber ich möchte keine regelmäßigen festen Verpflichtungen mehr eingehen. Der DOSB war eine Ausnahme, die mich sehr geehrt hat“, sagt er. Im August steht zunächst eine Hüftoperation an, um die chronischen Schmerzen zu lindern - und auch, um wieder und möglichst noch lange aktiv bleiben zu können. „Ich möchte im kommenden Jahr mit meiner Frau wieder eine Radtour machen. In diesem Jahr habe ich es noch kein einziges Mal geschafft, Rad zu fahren“, sagt er.
Sport soll in seinem Leben bis zum Schluss eine wichtige Rolle spielen. Im DOSB ist seine Rolle dagegen ausgespielt. Und auch wenn er als Ratgeber weiterhin zur Verfügung steht: Volker Bouffier wird fehlen.