Sein neues Ziel: Oberbürgermeister von Augsburg werden
Slalomkanute Hannes Aigner hat seine Karriere beendet, die laufende WM in Australien verfolgt er bereits als Zuschauer. Wettkämpfer will der 36-Jährige aber bleiben - in der Wirtschaft mit seinem Start-up „Wichtelbox“ und in der Politik seiner Heimatstadt.

29.09.2025

Sie hätten der letzte Höhepunkt seiner großartigen internationalen Karriere werden sollen. Doch anstatt im Wildwasserstadion von Penrith, bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney (Australien) Austragungsort der Kanuslalom-Wettbewerbe, durch den 320 Meter langen Kanal zu manövrieren, wird Hannes Aigner wegen einer Verletzung die Weltmeisterschaften, die am vergangenen Sonntag begannen und bis zum 4. Oktober dauern, am Livestream verfolgen. „Angesichts der Zeitverschiebung von acht Stunden weiß ich noch nicht genau, welche Rennen ich live sehen werde. Aber ich freue mich darauf, von daheim mitzufiebern. Ich weiß ja, unter welchem Druck die Athletinnen und Athleten gerade stehen, und es ist okay für mich, das nur aus der Ferne zu verfolgen, anstatt diesen Druck selber zu verspüren“, sagt er.
Der 36-Jährige, das wird im Gespräch rasch deutlich, hat sich abgefunden mit der Tatsache, dass er sich nicht als internationaler Wettkämpfer von seinem geliebten Kanusport verabschieden kann. Das selbst gewählte Karriereende, das er in der vergangenen Woche offiziell bekannt gegeben hatte, fühlt sich richtig an für den langjährigen Team-Deutschland-Athleten, der seine größten Erfolge mit den bei den Olympischen Spielen 2012 in London und 2021 in Tokio gewonnenen Bronzemedaillen im Kajak-Einer feiern durfte. Beim Weltcupfinale Anfang September im Eiskanal seiner Heimatstadt Augsburg hatte er noch das komplette Rennprogramm bestritten. „Damals stand noch nicht fest, dass ich meine Karriere beenden würde. Natürlich hätte ich mich gern gebührend von den Fans und der Konkurrenz verabschiedet, aber im Nachhinein bin ich dankbar dafür, mein letztes Rennen vor heimischem Publikum bestritten zu haben“, sagt er.
Seine Stelle als Sportsoldat läuft zum Jahresende aus
Die Entscheidung, sich aus dem Leistungssport zurückzuziehen, hat Hannes Aigner selbstverständlich nicht ad hoc getroffen. Dazu ist er ein viel zu bedächtiger Mensch; einer, der sich schon seit längerer Zeit Gedanken darüber gemacht hatte, womit er die Lücke füllen könnte, die der endgültige Ausstieg aus dem zu einem wichtigen Lebensinhalt gewordenen Kanu reißen würde. „Mir ist bewusst, dass es nicht einfach werden wird, etwas zu finden, das mir so viel Freude macht und mich gleichzeitig so herausfordert und beruflich erfüllt wie der Leistungssport“, sagt er. Aber nachdem ihm der Deutsche Kanu-Verband (DKV) mitgeteilt hatte, dass seine Stelle in der Sportfördergruppe der Bundeswehr unabhängig vom WM-Ergebnis zum Jahresende gestrichen werden würde, war ihm klar, dass er seine Karriere nicht fortführen kann.
„Leistungssport macht man ganz oder gar nicht, und es würde einfach keinen Sinn ergeben, wenn ich ohne die finanzielle Absicherung als Sportsoldat weiter alles in den Sport investieren würde“, sagt der Vater zweier drei und sechs Jahre alter Söhne. Körperlich traue er sich zwar durchaus noch zu, mit der Weltelite mitzuhalten. „Aber noch einmal drei Jahre bis zu den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles durchzuziehen, mit ausgeprägter Reisetätigkeit und ohne finanzielle Sicherheit, das wollte ich mir und der Familie nicht mehr antun.“ Also weihte er, bevor er die Nachricht in die Öffentlichkeit hinaustrug, wichtige Wegbegleiter wie die Familie, Freunde, Verein, Verband und Sponsoren in seine Entscheidung ein. „Das Echo, das ich bekommen habe, war durchweg positiv. Natürlich bedauern viele, dass ich nicht mehr für Deutschland antrete, aber das Verständnis für den Schritt ist groß.“
Klein dagegen ist die Sorge darum, Hannes Aigner könnte künftig unter Langeweile leiden müssen. Schließlich hat der gebürtige Augsburger ein gewaltiges neues Ziel vor Augen. Am 8. März kommenden Jahres möchte er bei der Kommunalwahl gegen Amtsinhaberin Eva Weber (CSU) antreten, um Oberbürgermeister der mit gut 300.000 Einwohnern drittgrößten Stadt Bayerns zu werden. Es ist sein nächster großer Wettkampf, den er im Team der Freien Wähler bestreiten wird. Ein politisch interessierter Mensch sei er schon lange, ein politisches Amt wäre Neuland für ihn. „Selbstverständlich habe ich großen Respekt vor dieser Aufgabe. Aber ich lebe schon sehr lange in Augsburg, bin nah an den Menschen und habe einige Ideen dafür, wie wir die Stadt voranbringen können“, sagt er. Dabei sehe er keineswegs den Sport als sein wichtigstes Fachgebiet. „Dank unserer Kinder beschäftige ich mich auch mit wichtigen Themen wie Kindergarten, Schule und Familie“, sagt er.
Dazu kommt, dass der studierte Betriebswirtschaftler, der über den DOSB ein Stipendium an der WHU-Managementschule erhalten hatte, durchaus auf Wirtschaftskompetenz verweisen kann. Mit seiner Ehefrau Elena hat Hannes Aigner im vergangenen Jahr das Start-up „Wichtelbox“ gegründet, das Zubehör rund um das Thema Advents- und Weihnachtswichteln anbietet. Aktuell beginnt die Hochphase ihres Kerngeschäfts, das bis Ende November abgeschlossen sein wird. „Danach liegt die Priorität ganz klar auf dem Wahlkampf. Ich muss sehen, wie ich das künftig anständig unter einen Hut bringe. Aber ich bin sehr froh, dass ich die Erfahrungen mit einem eigenen Unternehmen sammeln kann“, sagt er.
Immer wieder stelle er zudem fest, wie wertvoll die Erlebnisse im Hochleistungssport für die eigene Persönlichkeitsbildung gewesen sind. „In erster Linie sind Durchhaltevermögen und Disziplin zwei Werte, die ich im Sport gelernt habe und die mir jetzt und sicherlich auch im neuen Lebensabschnitt sehr viel Kraft geben. Dass man mit harter Arbeit auch aussichtslos erscheinende Ziele erreichen kann, ist etwas, das ich gern an die jüngeren Generationen weitergebe“, sagt er. Sich auf Schlüsselmomente festzulegen, die für immer in seinem Herzen bleiben, fällt ihm jedoch schwer. „Da gab es doch zu viele, um einzelne davon hervorzuheben. Die vielen Reisen möchte ich keinesfalls missen, das Leben im Ausland, um sich auf Wettkämpfe vorzubereiten. Das waren sicherlich prägende Erfahrungen“, sagt er.
Ob er sich nicht eine Anschlussverwendung im Sport habe vorstellen können, ist Hannes Aigner in den vergangenen Tagen häufiger gefragt worden. Die Antwort hat er mit seiner politischen Kandidatur gegeben. „Wenn man das Reisen deutlich beschränken möchte, bleiben in der Sportblase kaum Alternativen“, sagt er. „Ich werde jedoch in meinem Heimatverein Augsburger KV aktives Mitglied bleiben und kann mir auch vorstellen, dort irgendwann ein Amt zu übernehmen.“ Auch seine Kinder zu unterstützen, sollten diese sportliche Laufbahnen einschlagen, sei eine ansprechende Option. „Ich will aber nicht deren Trainer werden, das führt oftmals zu Differenzen. Sie sollen sich frei entwickeln können.“
Hannes Aigner glaubt an das Potenzial im deutschen Team
Fest steht, dass er gern als Zuschauer zu internationalen Wettkämpfen reisen wird. Für die aktuellen Titelkämpfe wünscht er dem deutschen Team, das zusätzlich auch auf den Canadier-Silbergewinner von London 2012, Sideris Tasiadis (35/Augsburg), verzichten muss, dass der Abwärtstrend gestoppt wird. Bei der WM 2023 gab es keine Medaille, es war die schlechteste Bilanz der deutschen Kanuslalom-Historie. „Ich glaube, dass das Potenzial im Team da ist, aber der internationale Leistungsdruck ist sehr hoch, deshalb dürfen wir auch nicht zu viel erwarten“, sagt er. Ob die Strategie des DKV richtig war, anders als viele andere Topnationen die Vorbereitung nicht in Australien, sondern auf La Réunion im Indischen Ozean zu absolvieren, müsse sich noch herausstellen.
Dass Tokio-Olympiasiegerin Ricarda Funk (33/Bad Kreuznach) im Frühjahr auf eigene Kosten mehrere Wochen auf der WM-Strecke trainiert hatte, hält Hannes Aigner „sportlich für die richtige Entscheidung, aber es zeigt, wie viel noch zu tun ist, um die Förderung unserer Spitzenathletinnen und -athleten zu optimieren. So etwas auf eigene Kosten machen zu müssen, ist eigentlich ein Unding, das können sich nur wenige leisten“, sagt er. Man hört aus solchen Sätzen bereits den Mann heraus, der sich nun auf politischer Ebene in das Wildwasser werfen möchte. Hannes Aigner läuft sich warm für das Leben nach dem Leistungssport, und wie es scheint, ist er bereits gut vorbereitet. Wenn nun noch der Wichtelbox-Verkauf durch die Decke geht, wird der Abschiedsschmerz bald vergessen sein.