Siebener-Rugby: Wie Deutschland sich zu Olympia durchkämpfen will
Beim EM-Turnier in Hamburg war zu beobachten, wie die Zukunft des Sports aussehen könnte. Der neue Sportdirektor Steffen Große erläutert, welche Pläne es gibt, wo er noch Defizite sieht und worin das Potenzial des Rugbys begründet liegt.

30.06.2025

Es sind nicht nur triumphale Siege oder bittere Niederlagen, die im Sport zu Tränen rühren. Manchmal reicht dafür eine Auswechslung. Als Bastian van der Bosch am Sonntagnachmittag bei der EM im Siebener-Rugby in Hamburg im Spiel um Platz fünf gegen Belgien den Platz verließ, erhoben sich nicht nur die 2800 Fans im Sportpark Steinwiesenweg von ihren Sitzplätzen. Mitspieler und auch Gegner applaudierten dem deutschen Rekordnationalspieler, der mit dem EM-Turnier seine internationale Karriere im Alter von 34 Jahren beendete. Dass es für die Auswahl von Bundestrainer Clemens von Grumbkow dank eines Versuchs von Makonnen Amekuedi (SC Frankfurt 1880) zu einem 19:14-Sieg nach Verlängerung reichte, war kaum mehr als ein schöner Nebeneffekt. Gefeiert wurde vor allem der Routinier von der RG Heidelberg.
Die Auswechslung van der Boschs indes setzte ein Zeichen, das als Fingerzeig in die Zukunft zu deuten war. Für ihn kam Max Zahner ins Spiel. Der 19-Jährige vom Heidelberger RK hatte Mitte Juni beim ersten Turnier der zweigeteilten EM in Makarska (Kroatien) zum ersten Mal für die deutsche Top-Auswahl in der olympischen Rugby-Variante gespielt und konnte auch in Hamburg durch beherzte Auftritte auf sich aufmerksam machen. „Mit einer Legende wie Basti spielen zu dürfen und in seinem letzten Spiel für ihn eingewechselt zu werden, das ist eine riesige Ehre für mich“, sagte der Schüler, der im kommenden Jahr sein Abitur macht. Max Zahner zählt zu einer Gruppe an jungen Spielern, die für die im Neuaufbau befindliche Auswahl des nationalen Verbands Rugby Deutschland das Grundgerüst der kommenden Jahre bilden soll mit dem Ziel, sich erstmals für die Olympischen Spiele zu qualifizieren, die seit 2016 die Siebener-Variante im Programm haben.
Beide Teams haben einen geringen Altersschnitt
„Für Olympische Spiele braucht es zwölf bis 14 Leute auf ähnlichem Weltklasseniveau. Diese Tiefe haben wir aktuell weder bei den Männern und noch weniger bei den Frauen“, sagte Steffen Große. Der 61-Jährige, der seit 1980 in diversen herausgehobenen Positionen im Spitzensport - und dort insbesondere in der Leichtathletik und im Triathlon - gearbeitet hat, ist seit 1. Juni Sportdirektor bei Rugby Deutschland. Er hat erkannt, dass das in Deutschland zweifelsohne vorhandene Potenzial an Talenten noch zielgerichteter gefördert werden muss. „Unseren Nachwuchs nachhaltig an das Niveau der Weltspitze heranzuführen, daran werden wir in den kommenden Jahren arbeiten. Von daher ist es gut, dass beide Teams vom Altersschnitt gesehen relativ jung sind und man mit ihnen den Weg bis zu den Olympischen Spielen 2032 in Australien gehen kann“, sagte der gebürtige Thüringer.
Entsprechend überraschte es kaum, dass Bundestrainer von Grumbkow trotz des mit zwei fünften Plätzen in Makarska und Hamburg verpassten Ziels, in der Gesamtwertung Rang drei zu erreichen, ein positives Fazit zog. „Angesichts der zahlreichen Ausfälle von Leistungsträgern war es uns wichtig, jungen Spielern wichtige Erfahrungen auf diesem Niveau zu geben, denn wir werden diese Jungs in den kommenden Jahren brauchen. Langfristig hat uns unter diesen Voraussetzungen der Fokus auf die Entwicklung des Teams mehr gebracht als eine Medaille. Das ist für manchen sicher schwer zu verstehen, aber es war der richtige Weg.“ Dem pflichtete Sportdirektor Große bei. „Wir haben leider keine starke Liga, sondern müssen unsere Spieler im Rahmen der Nationalmannschaft ausbilden. Dafür ist es wichtig, dass wir den Entwicklungsprozess angeschoben haben“, sagte er. Europameister wurde Frankreich, das im Hamburger Finale den Gesamtdritten Italien bezwang, vor Spanien.
Während die Männer allerdings mittlerweile den Sprung in die World Series II geschafft haben und zu den besten zwölf Teams der Welt zählen, ist der Weg für die Frauen noch ein weiter. „Ich investiere gedanklich deutlich mehr in das Frauenteam. Die Männer sind zu 90 Prozent gut abgedeckt, im weiblichen Bereich fehlt es uns noch an Konstanz. Da wollen wir in zwei, drei Jahren den Schritt auf das Level geschafft haben, auf dem die Männer schon sind“, sagte Steffen Große. Dass sie auf dem richtigen Weg ist, bewies die „Girl Gang“ in Hamburg mit einem fast schon sensationellen 17:15-Sieg im Gruppenspiel gegen Frankreich, in der EM-Endabrechnung Dritter hinter Großbritannien und dem Überraschungsteam aus Polen, das in Hamburg triumphierte. Im Viertelfinale, in dem erneut Frankreich der Gegner war, wurden der Auswahl von Curtis Bradford beim 19:31 dann die Grenzen aufgezeigt. Am Ende reichte es nach einem 5:21 im Spiel um Platz fünf gegen Tschechien zu Platz sechs, in der Gesamtwertung wurden die Deutschen nach Platz acht in Makarska Achte.
„Dieses Team hat definitiv einen deutlichen Schritt nach vorn gemacht, darauf können wir wirklich stolz sein. Die Performance der Mädels spricht bei diesen beiden EM-Turnieren für sich. Die Entwicklung ist sehr positiv“, sagte der Waliser Bradford, der für den deutlich sichtbaren Aufschwung verantwortlich ist. „Curtis ist ein wichtiger Faktor“, sagte Johanna Hacker. Die 27-Jährige vom Heidelberger RK, im Hauptberuf Gymnasiallehrerin, übernahm in Hamburg die Rolle von Kapitänin Mette Zimmat, die sich am Sonntag beim Warmmachen an der linken Wade verletzt hatte - und überzeugte dabei vollumfänglich. „Wir haben uns als Team sehr gut entwickelt. Wir zeigen einen großartigen Siegeswillen und enorm viel Commitment, obwohl wir alle neben dem Sport studieren oder in Vollzeit arbeiten. Wir konnten zum ersten Mal bei einer EM drei Spiele gewinnen, sind auch in K.-o.-Spielen deutlich stabiler, was ein Verdienst unserer Sportpsychologin Hanna Granz ist“, sagte sie.
Steffen Große nahm diese Entwicklungsschritte mit Wohlwollen auf, gleichzeitig ist dem Sportdirektor die Schwere der Aufgabe bewusst, die für eine umfassende Förderung notwendige Olympiaqualifikation zu erreichen. „Bei den Spielen sind nur zwölf Teams am Start. Auf anderen Kontinenten ist es deutlich leichter, sich dafür zu qualifizieren, als in Europa, wo die Leistungsdichte extrem hoch ist. Aber wir werden nicht jammern, sondern hart arbeiten, um den Sprung zu schaffen“, sagte er. Einer der Anreize, zum Rugby zu wechseln, sei die Aussicht gewesen, „in einer olympischen Sportart mit einem sehr guten Stützpunkt in Heidelberg viel Entwicklungspotenzial vorzufinden, um Leistungssport auf hohem Level betreiben zu können.“ Einen weiteren Antrieb ziehe er aus dem Fakt, „dass Rugbyspieler komplette Athleten sind und auf allen Feldern sehr viel mitbringen. Außerdem ist Rugby eine extrem ehrliche und faire Sportart, die für Werte steht, denen ich mich sehr verbunden fühle.“
Verhandlungen über Weltserienturnier mit Düsseldorf und Köln
Als dritten Hauptgrund für seine Entscheidung führte Große schließlich an, dass Spitzenverbände aus seiner Sicht regelmäßig ein Top-Event auf hohem internationalen Niveau ausrichten sollten. Dieses ist mit den „Hamburg 7s“, die zum dritten Mal stattfanden, im Rugby gegeben, wovon sich am Sonntagmorgen auch Christiane Schenderlein, die neue Staatsministerin für Sport und Ehrenamt, vor Ort überzeugen konnte. Die Anlage war an allen drei Turniertagen gut besucht, 6600 Zuschauer zeugen von durchaus vorhandenem Interesse. „Es war wieder ein grandioses Turnier“, sagte Florian Hartmann, Rugby-Deutschland-Vorstand für Struktur und Entwicklung. Das Feedback aus den Reihen der Athlet*innen war herausragend, die Organisation wurde durchweg gelobt. „Wir freuen uns schon jetzt auf die Hamburg 7s 2026 und darauf, gemeinsam dieses Turnier weiter wachsen zu lassen“, sagte Hartmann.
Steffen Große denkt dafür bereits an einen Wechsel in eine größere Spielstätte und hat die Hoffnung auch nicht aufgegeben, einen Großsponsor gewinnen zu können, der den Verband in die Lage versetzt, sich die Miete für das Millerntor-Stadion des FC St. Pauli leisten zu können. „Der Vertrag mit der Stadt Hamburg läuft zunächst bis 2028, wir wollen das Turnier sehr gern weiter ausbauen“, sagte er. Parallel laufen zudem Verhandlungen mit Düsseldorf und Köln, um dort ein mögliches Weltserienturnier für die Herren zu etablieren. Viel Bewegung also im deutschen Siebener-Rugby, das in Hamburg die Zukunft eingeläutet hat.