„Sport und Kirche sind die wichtigsten Antidepressiva, die wir haben“
Im Rahmen des Diversity-Monats beleuchten wir die Vielfaltsdimensionen des DOSB. Zum Thema Religion und Glaube baten wir Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, und Katja Lüke, im DOSB Referentin für Diversity, zum Dialog über das, was Kirche und Sport verbindet und trennt.

26.05.2025

DOSB: Frau Lüke, Herr Latzel, worin sehen Sie die wichtigsten gesellschaftlichen Werte, die Kirche und Sport heute verkörpern?
Katja Lüke: Kirche und Sport stehen für etwas sehr Fundamentales: für den Menschen. Für seine Würde, seine Rechte, seine Zugehörigkeit zur Gemeinschaft. Wir im Sport erleben täglich, was Gemeinschaft bedeutet, wenn Menschen verschiedenster Herkunft zusammen auf dem Platz stehen, sich im Wettkampf begegnen oder sich im Ehrenamt engagieren. Für mich sind die wichtigsten Werte Fair Play und Gerechtigkeit. Der Sport ist eine Bewegung für Zusammenhalt, genauso wie die Kirche. Was uns verbindet, ist die klare Ausrichtung auf Gemeinwohlorientierung, Teilhabe und Verantwortung füreinander. Das sind keine Floskeln - das ist das Rückgrat einer offenen, demokratischen Gesellschaft.
Thorsten Latzel: Im Sport lernt man neben Gemeinschaft auch einen regelbasierten Wettkampf und die Freude am zweckfreien Spiel. Das sind Dinge, die auch für uns als Kirche wichtig sind. Als Glaubensgemeinschaft zeichnet uns das Vertrauen auf Gott und die Liebe zum Mitmenschen aus, sie ist prägend, selbst gegenüber dem Gegner. Mit anderen zu erleben, dass ich von Gott tiefengeliebt bin und dass es im Leben zugleich um mehr geht als nur um mich selbst, darum geht es in der Kirche. Und davon können Menschen auch etwas im Sport erfahren. Hier wie dort erleben Menschen, die neu dazukommen, Lebensfreude, Gemeinschaft und Integration. Es zählt der Mensch einfach als Mensch. Und wir lernen, warum es gut und wichtig ist, sich einander zuzuwenden.
Wie hat sich das Ansehen der beiden Institutionen im Laufe dieses Jahrhunderts verändert und worin liegt diese Veränderung begründet?
Latzel: Im Sport sehe ich verschiedene Veränderungen. Der Spitzensport erlebt eine weiter zunehmende Kommerzialisierung, im Breitensport sehen wir eine hohe Pluralisierung von Sportarten, Vereinssport spielt weiter eine wichtige Rolle, zugleich wird er zum Teil von kommerziellen Anbietern überlagert, wo soziale Werte keine so große Rolle mehr spielen. Auch in den Kirchen erleben wir tiefgreifende Veränderungen. Ein traditionelle Kirchenbindung geht zurück, zugleich gibt es ein wachsendes Bedürfnis nach Sinnstiftung. Viele Menschen nehmen die Welt als „verrückt“ wahr und suchen Orientierung für ihr eigenes Leben. Es ist längst nicht mehr selbstverständlich, dass in den Familien der Glaube weitergegeben wird. Deshalb stehen wir immer wieder aufs Neue vor der Aufgabe, jüngeren Generationen Hoffnung zu vermitteln und sie für ein Miteinander zu begeistern. Wir müssen jeden Jahrgang neu gewinnen.
Lüke: Die Menschen schauen heute genauer hin - und das ist gut so. Gesellschaftliche Akteure wie Kirche und Sport stehen zu Recht unter Beobachtung: Wie ernst nehmen wir unsere Werte? Wie glaubwürdig leben wir sie? Es geht nicht mehr nur darum, dass Siege errungen werden, sondern wie. Der Sport wird nicht mehr nur an Leistung gemessen. Wir spüren, dass unsere Stimme Gewicht hat – gerade wenn es um Menschenrechte, Vielfalt oder Integration geht. Gleichzeitig wissen wir: Vertrauen entsteht durch Haltung. Und durch das, was wir tun, nicht nur sagen. In dieser Hinsicht hat der Sport in den vergangenen Jahren stark an Profil und Stimme gewonnen – nicht trotz der Herausforderungen, sondern durch sie.
Latzel: Diese höhere Sensibilisierung ist wichtig. In beiden Bereichen kommen sich Menschen sehr nah. Im Sport körperlich, in der Kirche etwa in der Seelsorge. Umso wichtiger ist die konsequente Achtung von Grenzen. Wir müssen den Blick schärfen, zum Beispiel bei Fragen zu Diversität, zu Schutzkonzepten und beim Bewusstsein für Grenzverletzungen. Da verändern sich im Sport Haltungen, wie wir im vergangenen Jahr gesehen haben, als der spanische Fußball-Präsident Luis Rubiales eine Spielerin nach dem WM-Triumph auf den Mund küsste und dafür zu Recht zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Auch in der Kirche haben wir nicht mehr das Amtsverständnis von früher, wir schauen bewusst hin, wo Verletzungen oder Grenzüberschreitungen passieren. Unser Auftrag ist, ein möglichst sicherer Ort für alle Menschen zu sein und Fälle von Machtmissbrauch konsequent aufzuarbeiten. Machtmissbrauch hat in der Kirche wie im Sport nichts zu suchen. Es ist notwendig, dass wir uns dem bewusst stellen und die Schuld- und Schattenseiten unserer Institutionen aufarbeiten.
Lüke: Auch wir sind uns dieser Verantwortung sehr bewusst. Machtmissbrauch darf es nicht geben, deswegen entwickeln wir Konzepte wie den Safe Sport Code, den der DOSB als erste zivilgesellschaftliche Organisation in Deutschland im Dezember vergangenen Jahres auf seiner Mitgliederversammlung implementiert hat. Gemeinsam mit unseren Mitgliedsorganisationen arbeiten DOSB und dsj daran, Schutzmaßnahmen im Sport weiter zu stärken und ein sicheres Umfeld für alle Beteiligten zu schaffen. Der Safe Sport Code wird vom DOSB als sportartübergreifendes Musterregelwerk für alle Verbände und Vereine im organisierten Sport zur Verfügung gestellt, damit diese ihn für sich nutzen können. Die Einführung des Codes sendet ein Zeichen an potenzielle Täter*innen und Betroffene, dass Gewalt im Sport keinen Platz hat und bei uns nicht toleriert wird.
Das Thema Machtmissbrauch ist in beiden Institutionen auf besondere Weise geächtet und dennoch immer wieder präsent. Wie werden Kirche und Sport dahingehend ihrer Ansprüche gerecht?
Latzel: Wir müssen ernst nehmen, dass Menschen in Kirche wie Sport Gewalt erfahren haben. Diese Schuld kann man nicht wiedergutmachen. Aber man kann sie aufarbeiten, erlebtes Leid anerkennen, Schutzkonzepte erarbeiten und konsequent intervenieren, wenn dennoch Fälle von Gewalt auftreten. Darauf haben Betroffene von Gewalt schlicht ein Recht. Es gibt leider keinen Bereich unserer Gesellschaft, in der sexualisierte Gewalt nicht vorkommt. Überall dort, wo es Machtkonstellationen gibt, passiert sie. In Kirche und Sport gibt es besondere Machtpositionen, die Menschen dazu verleiten, zu meinen, sie könnten die persönlichen Grenzen anderer verletzen. Wir müssen einüben, damit besser umzugehen. Ich sehe in der Kirche wie im Sport einen notwendigen Kulturwandel, der aber auf vielen Ebenen weiter ein Umdenken erfordert. Ein grenzsensibles Verhalten ist extrem wichtig: zu wissen, dass meine Freiheit dort endet, wo sie die eines anderen verletzt. Wir haben da noch einen langen Weg vor uns.
Lüke: Wir sind uns im Sport durchaus bewusst, dass Macht Verantwortung bedeutet und nicht Selbstbedienung. Nur wer hinschaut, wer Strukturen schafft und wer Betroffene schützt, kann glaubwürdig sein. Prävention, Aufklärung, unabhängige Stellen und ein vorgegebener Rahmen wie im Safe Sport Code - das ist keine Kür, das ist Pflicht. Machtmissbrauch ist ein Angriff auf unsere Grundwerte. Und hier sind Kirche und Sport absolut vereint in ihrem Anspruch, Strukturen zu schaffen, die alle Menschen schützen.
Was empfinden Sie als die größten Bedrohungen für den Stellenwert von Kirche und Sport?
Lüke: Wenn sich unsere Gesellschaft weiter individualisiert, wenn Vereinsamung zunimmt und Solidarität schwindet, dann verlieren beide Institutionen an Boden. Denn sowohl Sport als auch Kirche leben vom Wir-Gefühl. Und dieses Wir ist kein Selbstläufer. Es braucht Räume, Rituale, Beziehungen. Was uns bedroht, ist also nicht primär Kritik, sondern die Erosion der Idee von Gemeinwohl. Wenn es nur noch um Leistung oder Konsum geht, verlieren wir das, was uns als Gesellschaft trägt: Verantwortung füreinander. Dazu zählt, dass wir uns dem Ehrenamt gegenüber mit Respekt verhalten. Dafür sollten Kirche und Sport stehen - als Orte, an denen Menschsein mehr zählt als Macht oder Status.
Latzel: Auch als kleiner werdende Kirche ist es uns wichtig, dass wir uns weiter für andere gesellschaftlich einbringen. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass Menschen Religion, Glaube erfahren – und damit geht eine wichtige Lebensdimension verloren. Im Sport sehe ich eine Überlastung durch falsche Ökonomisierung, vor der man ihn bewahren und einfach Sport sein lassen sollte. Der Leistungsdruck bewirkt, dass Gewalt und Aggressivität wachsen. Diese Enthemmung, beispielsweise auch Schiedsrichtern gegenüber, betrachte ich mit Sorge. Wo der Respekt vor der Schönheit des Sports und seinen Protagonistinnen und Protagonisten fehlt, wird seine Idee zerstört. Spitzensport hat eine Vorbildfunktion, die in die Breite hineinwirkt, aber das Gemeinschaftsbewusstsein muss geschützt werden.
An den Sport werden, insbesondere rund um Olympische und Paralympische Spiele, stets besonders hohe moralische Messlatten angelegt. Wird die Rolle des Sports damit überhöht? Und wie verhält es sich in puncto moralische Ansprüche mit der Rolle der Kirche?
Lüke: Der Anspruch ist hoch, aber berechtigt. Der Sport ist längst mehr als Wettkampf. Er ist Bühne, Begegnungsort, Sprachrohr. Wenn wir als Sport sagen, dass wir für Fairness, Respekt und internationale Verständigung stehen, dann ist es nur folgerichtig, dass die Gesellschaft genau hinschaut. Diese Verantwortung nehmen wir an - nicht als Bürde, sondern als Chance. Der Sport hat eine globale Bühne - und damit die besondere Möglichkeit, Haltung sichtbar zu machen. Wir wissen, dass wir nicht alles lösen können. Aber wir können Vorbild sein, Impulsgeber, Wertevermittler. Und das ist nicht überzogen, das ist auch unsere Aufgabe.
Latzel: Es gibt aus meiner Sicht teilweise eine Überhöhung des Sports, die ihm nicht guttut. Mit einer Fußball-WM oder den Olympischen Spielen wird nicht der Weltfrieden gerettet. Wer diesen Anspruch formuliert, erzeugt einen Druck, alles dafür tun zu müssen, eine heile Welt zu simulieren. Ich habe in Paris im vergangenen Jahr erlebt, welch positive Kraft die olympische Bewegung hat, Menschen über Grenzen hinweg zusammenzuführen. Aber wir sehen auch die Schattenseiten: Wenn zum Beispiel die Obdachlosen aus einer Gastgeberstadt vertrieben werden, um den schönen Schein zu wahren. Oder wenn große Sportveranstaltungen zum Werbemittel totalitärer Staaten werden. Sport hat eine immense Bedeutung, gerade darum muss man auf seine Wirkungen auf die Gesellschaft achten und ihn vor Instrumentalisierung schützen. Was den Anspruch an die Kirchen angeht: Der ist zu Recht hoch. Menschen suchen einen Ort, der ihrer Seele guttut, an dem sie Glaube und Hoffnung für ihr Leben erfahren. Das ist letztlich Gottes Auftrag an uns, auch wenn wir als Menschen an seiner Erfüllung immer wieder scheitern. Wir leben aus einer unbedingten Liebe, die wir anderen weitergeben wollen. Das schließt ein klares Engagement für eine offene Gesellschaft, für die Würde jedes Geschöpfs und für Menschenrechte ein.
Was geht in Ihnen vor, wenn Sie hören, dass das Verehren von Sportvereinen als Religionsersatz empfunden wird?
Lüke: Das zeigt, wie sehr Menschen sich nach Gemeinschaft, Ritualen und Identifikation sehnen. Stadien können besondere Orte der Emotion sein, der Verbindung. Aber das darf nicht mit religiöser Tiefe verwechselt werden. Was wir daraus lernen können: Wir müssen diese Räume mit Verantwortung gestalten. Wenn wir im Sport Menschen so stark berühren, dann sollten wir das nutzen - um Haltung zu zeigen, für Respekt, gegen Diskriminierung. Sportvereine können Orte gelebter Menschenwürde sein. Diese Aufgabe nehmen wir ernst.
Latzel: Um Jürgen Klopp zu zitieren: „Es gibt zwar keinen Fußballgott, aber ich glaube, dass es einen Gott gibt, der uns Menschen liebt, so wie wir sind, mit all unseren Macken, und deshalb glaube ich, dass er auch den Fußball liebt!“ Gott schenkt uns die Freude, den Sport, unseren Körper, das Leben zu genießen. Doch es tut niemals gut, eine Sache religiös zu überhöhen. Den Mensch Mensch und Gott Gott sein zu lassen: darin unterscheidet sich der Glauben von Ersatzreligionen. Der Sport zieht seine Stärke daraus, dass er unglaubliche Emotionen wecken kann. Aber der Glaube zielt auf eine andere, letzte Dimension. Er macht das Leben tiefer, schöner, reicher, weil er der Seele letzten Halt gibt. Darauf zu vertrauen, dass die Welt und mein eigenes Leben in Gottes Händen ruhen, dafür gibt es keinen wirklichen Ersatz.
Erfüllen Sie die Bilder von Sportlerinnen und Sportlern, die sich vor Spielen bekreuzigen oder nach Siegen oder Toren gen Himmel zeigen oder schauen, mit Freude oder eher mit Argwohn?
Latzel: Ich sehe diese Gesten als Zeichen dafür, dass Menschen ihr Schicksal in die Hände eines anderen legen. Das kann ihnen Mut machen und sie zugleich vor Selbstüberhöhung schützen. Niemand kann jedoch Gott für seine Bedürfnisse instrumentalisieren. Gebete sind eine Bitte um Schutz, um Beistand, darum, unversehrt zu bleiben und auch den Mitspieler nicht zu verletzen. Aber niemand kann sich Gott verfügbar machen. Das wäre nicht Glaube, sondern Magie. Es ist menschlich vermessen, Gott als Erfüllungsgehilfen der eigenen Wünsche zu betrachten. Gott ist der Grund, Halt und Ziel allen Lebens, nicht das Instrument meiner Bedürfnisse.
Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten sehen Sie in der Predigt in einem Gottesdienst und in der Ansprache in einer Umkleidekabine? Und welche darin, dass in Kirchen das Singen genauso wichtig ist wie in Stadien oder Hallen?
Lüke: Predigt und Kabinenansprache wollen beide stärken, trösten, Mut machen, Orientierung geben. Die Predigt führt in die Tiefe, die Kabinenansprache ins Hier und Jetzt. Aber beide haben Kraft. Und beim Singen? Ob im Stadion oder im Gottesdienst - gemeinsames Singen schafft Gänsehaut, Zugehörigkeit, kollektive Emotion. Das ist pure Menschlichkeit.
Latzel: Es geht bei beiden darum, Kontakt zu Menschen aufzubauen, Gemeinschaft zu stiften, Kraft und Hoffnung zu vermitteln. Während es in Predigten aber um zentrale Lebensfragen geht, um Liebe, Leid und Zeit und Ewigkeit, geht es in der Kabine eher um den Fokus auf dieses konkrete Spiel oder den Umgang mit Sieg und Niederlage. Was das gemeinsame Singen angeht, bin ich bei Frau Lüke: Es schafft Verbindung, eine Art emotionales Band. Nirgendwo anders kommen Menschen besser zum Singen als im Stadion und in der Kirche. Vielleicht noch unter der Dusche, aber dort eher nicht gemeinsam.
Worin liegt denn aus Ihrer Sicht der größte gemeinsame Wert, den Kirche und Sport schaffen beziehungsweise leben?
Latzel: Beide sind nicht auf Werte zu reduzieren oder nur unter einem sozialen Zweck zu betrachten. Dennoch tragen sie wichtige Werte zur Gesellschaft bei, zum Beispiel Gemeinschaft, Fairness, Freude am Leben. Sport und Glaube sind die wirksamsten Antidepressiva, die wir haben. Beide können Menschen gut tun, aber auch missbraucht werden. Im Sport geht es um Training für den Körper, im Glauben um Training für die Seele. Für beide braucht es Übung, um die Schönheit des Sports und des Glaubens zu erfahren. Bei uns in der Evangelischen Kirche im Rheinland haben wir etwa 90.000 Menschen, die sich regelmäßig für andere ehrenamtlich einsetzen. Das ist ein immenses Sozialkapital, das zum Kitt unserer Gesellschaft beiträgt. Das Wir-Gefühl, zu einer großen Gemeinschaft zu gehören, ist ein wichtiger Wert, den Kirche und Sport schaffen und leben.
Lüke: Für mich ist es ebenfalls die Teilhabe, und das im umfassendsten Sinn. Wir wollen, dass alle Menschen - unabhängig und manchmal auch unter besonderer Berücksichtigung von Herkunft, Alter, sexueller Identität, Geschlecht, Religion, Fähigkeiten - erleben: Ich gehöre dazu. Ich kann mitgestalten. Ich werde gesehen. Diese Teilhabe ist die Basis für alles Weitere: für Integration, für Selbstbewusstsein, für soziale Gerechtigkeit. Sport kann Türen öffnen, die an anderer Stelle verschlossen bleiben. Und die Kirche kann Sinn stiften, wo Menschen Halt suchen. Gemeinsam können wir ein Netz knüpfen, das niemanden fallen lässt.
Wie können Überschneidungen noch intensiver gelebt und genutzt werden?
Latzel: Kirche und Sport teilen nicht nur viele Werte - sie leben sie auch schon vielfach gemeinsam. Die Evangelische Kirche hat den Sport ausdrücklich als wichtigen Kultur- und Begegnungsraum benannt, und wir erleben das immer wieder ganz konkret, etwa bei gottesdienstlichen Angeboten zu Sportgroßereignissen, der Seelsorge bei Olympischen Spielen oder Formaten wie dem KonfiCup im Rahmen des DFB-Pokalfinales. Gerade bei großen Sportereignissen zeigen sich unsere Rollen oft eng verwoben: Durch die Begleitung durch Olympiapfarrerinnen und -pfarrer, durch seelsorgerische Angebote oder gemeinsame ethische Reflexionen, etwa beim sportethischen Fachtag. Unsere moralische Verantwortung ist eine gemeinsame. Da ist bereits viel Gemeinsames gewachsen, und doch sehen wir noch Potenzial: in gemeinsamer Bildungsarbeit, in lokalen Kooperationsprojekten für junge Menschen, in Fragen von Inklusion, Nachhaltigkeit oder Demokratieförderung. Die Voraussetzungen sind da, jetzt geht es darum, diese Verbindungen weiter zu stärken und mutig gemeinsam nach vorne zu denken.
Lüke: Dem ist wenig hinzuzufügen. Wir arbeiten auf vielen Feldern schon sehr gewinnbringend zusammen, aber noch mehr Begegnung tut uns auf beiden Seiten gut. Daran werden wir gemeinsam arbeiten.
Was also kann die eine Institution noch von der anderen lernen?
Latzel: Wir können uns vom Sport die Bedeutung des Trainings abschauen. Der Körper braucht es, in der Übung zu bleiben, und das Gleiche gilt für die Seele. Gebete sind wie Dehnübungen für die Seele. Sie helfen, um mit dem Schönen und Schweren im Leben umzugehen.
Lüke: Kirche und Sport bringen jeweils besondere Stärken in die Gesellschaft ein – und genau darin liegt die große Chance für gegenseitige Inspiration. Der Sport kann von der Kirche lernen, wie man Fragen nach Sinn, Orientierung und innerer Haltung stellt – nicht nur im Krisenfall, sondern als dauerhafte Begleitung des Lebens.
Zu den Personen
Katja Lüke (55) ist im DOSB seit 2015 im Ressort Diversity als Referentin beschäftigt. Sportlich war sie besonders verbunden mit dem FC Kassel (Deutsche Meisterin Rollstuhlfechten im Säbel 2013 und 2014) sowie aktiv mit dem Handbike bei vielen Stadtmarathons (Bestzeit 1:29:55). Sie ist evangelisch und Mitglied der St. Katharinengemeinde in Frankfurt am Main.
Dr. Thorsten Latzel (54) ist seit März 2021 Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und außerdem Sportbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland. Er ist Mitglied des eigenen Sportvereins des Landeskirchenamtes, wandert leidenschaftlich gern in den Bergen und trainiert auch zu Hause an diversen Fitnessgeräten.