Zum Inhalt springen

Strafrechtsexperte Jahn gegen Straftatbestand eigenverantwortlichen Dopings

Ein Straftatbestand gegen eigenverantwortliches Doping läuft Gefahr, in einen Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Angemessenheit zu kommen.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

13.09.2006

Darauf weist der Strafrechtsexperte Prof. Matthias Jahn aus Erlangen hin, der auch Mitglied der unabhängigen Rechtskommission des Sports gegen Doping war. Jahn wendet sich in einem Aufsatz in der „Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik“ gegen aktuelle Initiativen von Bundespolitikern, mit neuen Straftatbeständen im Strafgesetzbuch oder im Arzneimittelgesetz, die den Sportler in den Mittelpunkt stellen wollen, den Anti-Doping-Kampf zu akzentuieren.

 

Prof. Matthias Jahn schreibt im Einzelnen:

„Dem Übermaßverbot kommt bei der Überprüfung einer Strafnorm wegen des in der Androhung, Verhängung und Vollziehung von Strafe zum Ausdruck kommenden besonderen Unwerturteils bekanntlich herausragende Bedeutung zu. Strafrecht wird nur als ultima ratio des Rechtsgüterschutzes eingesetzt, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist. Ein Rückgriff auf das Strafrecht verträgt sich folglich nicht mit diesen Grundsätzen, soweit allein die Beeinflussung einer gesellschaftspolitischen Großwetterlage bezweckt wird und nicht der verfassungsrechtlich geforderte Rechtsgüterschutz im Vordergrund steht. Eine Strafnorm, die ... nur ein positives Signal im Kampf gegen Doping sein will, wird also, ganz unabhängig von dem eher naiven Glauben an den ‚guten Prinzen Strafrecht’, den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht ohne weiteres gerecht.“

 

Jahn weist darauf hin, dass die „Volksgesundheit“ nach einhelliger Meinung als strafrechtliches Schutzgut ausscheide: mangels konkreter Gefährdung durch eigenverantwortliches Doping. Auch die Leistungsfähigkeit des Krankenkassensystems, das letztlich für die gesundheitlichen Folgen des Dopings (wie auch für Rauchen und andere Risiko-Aktivitäten) aufkommen müsse, könnte nicht als Schutzzweck von neuen Anti-Doping-Tatbeständen erwogen werden. Andererseits seien Rechtsgüter, wie die Glaubwürdigkeit des Sports und seines Ethos, wie Fairness und Chancengleichheit im Sport, im Grunde genommen „diffuse Universalrechtsgüter“, die nicht geeignet seien, „verfassungs-rechtlich tragfähige Grundlagen für eine Neukriminalisierung zu bieten“.

 

Grundgesetz garantiert Handlungsfreiheit des Einzelnen

Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz garantiere die Handlungsfreiheit des Einzelnen - und damit „auch das Grundrecht des Einzelnen auf riskante, den eigenen Körper gefährdende Lebensführung“, schreibt der Rechtswissenschaftler weiter. Verfassungsrechtlich bestehe kein Grund, „die Handlungsfreiheit der Beteiligten einzuschränken, solange die

 

Gefährdung nicht gegen den Willen des Betroffenen erfolgt“. Dem Grundsatz der prinzipiellen Straflosigkeit eigenverantwortlicher Selbstgefährdung stehe die Verpflichtung des Staates gegenüber, das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger zu schützen; diese Schutzpflicht ergibt sich aus Art. 2 Abs. 2 GG. Prof. Jahns Abwägung: Dann, wenn keine unmittelbare Lebensgefahr besteht und die freie Willensentschließung nicht beeinträchtigt ist, gebe es keine verfassungsrechtliche Legitimation dafür, die Handlungsfreiheit des sich selbst Gefährdenden in seinem Interesse einzuschränken. Eine Pflicht des Staates, gegen die selbstbestimmte Einnahme von Dopingsubstanzen einzuschreiten, sei somit aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu begründen.

 

Kaum zu rechtfertigen wäre unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots die prinzipielle Straflosigkeit des Konsums auch härtester Drogen (nach dem Betäubungsmittelgesetz) bei gleichzeitiger Kriminalisierung des Konsums von Dopingmitteln in einem neuzuschaffenden Straftatbestand. Grund für die Straflosigkeit des Konsums selbst von schweren Drogen sei, dass derjenige, der das Suchtmittel bereits konsumiert hat, nicht mehr wie der Besitzer zum Multiplikator der Sucht durch ihre Weitergabe werden kann. Prof. Jahn: „Überträgt man diese Argumentation auf den Dopingbereich, müsste das durch einen solchen Straftatbestand zu schützende Rechtsgut über die Bewahrung der Gesundheit des Sportlers hinaus einen ethisierenden Gehalt erhalten.“ Die derzeitigen Doping-Rechtsnormen im Arzneimittelgesetz wollten jedoch nur die individuelle Gesundheit des Sportlers schützen. „Eine große strafrechtliche Lösung durch die flächendeckende Kriminalisierung des Konsums von Dopingmitteln ist daher nicht gangbar.“

 

Straftatbestand der Gefährdung der Volksgesundheit schwer nachweisbar

Der von der Politik angedachte Ansatz, den Besitz bestimmter Dopingmittel unter Strafe zu stellen, nicht aber deren Konsum, stößt bei Prof. Matthias Jahn ebenfalls auf Ablehnung. Zu dieser kleinen strafrechtlichen Lösung führt er aus: „Auch hier müsste auf Grundlage der Dogmatik des Betäubungsmittelstrafrechts nachgewiesen werden, dass der Besitz von anabolen Steroiden die Volksgesundheit zu gefährden geeignet ist. Dies dürfte nur schwer gelingen.“ Selbst wenn man dies bejahen könnte, entstünde ein offensichtlicher Wertungswiderspruch: „Wenn man den Besitz von anabolen Steroiden unter Strafe stellte, könnte der Sportler dann belangt werden, wenn die Substanzen bei ihm oder in seiner Herrschaftssphäre aufgefunden würden. Würden dieselben Steroide bei dem Sportler im Rahmen einer positiven Dopingkontrolle nachgewiesen, könnte hingegen kein Strafverfahren eingeleitet werden.“ Den Besitz zu bestrafen, den Konsum aber straffrei zu belassen sei in diesem Wirkungszusammenhang keine befriedigende Lösung. Im Übrigen zöge der Besitz lediglich kleiner Mengen von Dopingpräparaten zum Eigenverbrauch  zwingend die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach sich.

 

Intensive Kontrollen und mehr finanzielle Unterstützung der Verbände sind erfolgversprechend beim Kampf gegen Doping

Auch ein strafrechtlicher Vermögens- und Wettbewerbsschutz, die dritte diskutierte Variante, ist nach Meinung des Strafrechtsexperten nicht gangbar. Jahn spricht sich gegen die Einfügung eines § 299a StGB zur Eindämmung der Wettbewerbsverzerrung durch Doping aus. Denn unklar sei hier das zu schützende Rechtsgut: Da die Vorschrift den fairen Wettbewerb im Sport schützen soll, müsste es hier in der Chancengleichheit im Sport gesucht werden. Prof. Jahn urteilt: „Die darin liegende Tendenz zur flächendeckenden Kriminalisierung springt ins Auge: Warum die Benutzung von nicht zugelassenen Spoilern im Autorennsport oder von vorschriftswidrigen Spikes beim Sprintwettbewerb dann nicht ebenso mit Kriminalstrafe bedroht sein soll, dürfte nicht leicht zu begründen sein.“

 

Abschließend meint der Strafrechtsexperte: Aus verfassungsrechtlicher, aber auch aus strafrechtsdogmatischer Perspektive müsse man sich gegen strafrechtliche Spezialtatbestände zur Bekämpfung des eigenverantwortlichen Dopings aussprechen. „Der konsequente Ausbau des Systems der verbandsautonomen Verfolgung von Dopingvergehen und deren finanzielle Unterstützung durch den Staat in Verbindung mit einer intensiven Kontrolle der Verwendung von Mitteln aus der Sportförderung durch die Verbände unter dem Gesichtspunkt der Effektivität ihrer Bemühungen bei der Dopingbekämpfung ist der derzeit erfolgversprechendste Weg zur Bekämpfung des Dopings im Sport“, lautet Prof. Jahns Fazit.

Title

Title