„In Summe ist das Ganze eine echte Katastrophe für uns“
Ein Mitgliederrekord ist schön, mehr Aktive bedeuten aber für Vereine manchmal Belastungen, die sie ohne Hilfe von außen kaum stemmen können. Zwei Vorstände berichten aus dem Alltag mit maroden Sportstätten und dem Kampf um Ehrenamtliche.

11.11.2025

Gefreut hat er sich schon, als er die Zahlen der neuen DOSB-Bestandserhebung gehört hat. „Es ist schön, dass immer mehr Menschen aktiv in Vereinen Sport treiben wollen. Dafür machen meine vielen Tausend Kolleginnen und Kollegen und ich ja unsere Arbeit“, sagt Sven Schlüter. Ungetrübt jedoch ist die Freude des 51-Jährigen, der als 1. Vorsitzender des Fußballclubs Fortuna Schlangen aus dem Landkreis Lippe in Nordrhein-Westfalen für knapp 500 Mitglieder verantwortlich ist, nicht. Schließlich weiß er, dass er seinen Aktiven seit elf Monaten nicht das bieten kann, was er als „das Herzstück unseres Vereinslebens“ bezeichnet. Was er nicht weiß: Wann sich die Lage bessert. Und das zehrt nicht nur an ihm, sondern auch an vielen anderen Fortunen.
Im Januar dieses Jahres war im Vereinsheim, das Clubmitglieder vor 20 Jahren in Eigenregie aufgebaut hatten, ein kapitaler Wasserschaden entdeckt worden. Ein Gutachter, der der Versicherung das Ausmaß des Schadens bestätigen sollte, war erst Anfang März verfügbar. Dann machte dieser nur ein paar Fotos, das finale Gutachten wurde im August fertig. Es folgte das übliche Ausschreibungsverfahren, aktuell läuft die Auftragsvergabe. Wann mit den Sanierungsarbeiten begonnen wird und - noch wichtiger - wann das Clubhaus wieder den Betrieb aufnehmen kann? Unklar. „Wir versuchen uns mit Buden zu behelfen, aber das ist nicht dasselbe wie ein gemütliches Vereinsheim. Der lange Ausfall hat erheblichen Einfluss auf das gesellige Beisammensein, uns ist ein wirtschaftlicher Schaden von mindestens 10.000 Euro entstanden, der einem kleinen Verein wie unserem sehr weh tut“, sagt Sven Schlüter.
Was dazukommt: Auch die Umkleidekabinen benötigen eine dringende Auffrischung. Im Haushalt der Gemeinde für das Jahr 2025 waren die entsprechenden Mittel eingestellt, aber diese mussten wegen des fehlenden Gutachtens und der daraus entstehenden finanziellen Unsicherheit zurückgehalten werden. Also funktionieren seit Monaten nur zwei der je sechs Duschen und auch nur mit kaltem Wasser, was, so Schlüter, „im Winterhalbjahr ein unhaltbarer Zustand ist.“ Der Gemeinde als Eigentümerin der Vereinsanlage macht er dabei keine Vorwürfe, „man hat uns nach dem Entdecken des Wasserschadens mit Trocknungsmaschinen und beim Herausräumen des Mobiliars unterstützt, und zumindest sind ja jetzt Planer mit der Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen beauftragt. Aber dass man einen Sportverein so lange mit einem Gutachten hängen lässt und ihn damit in noch größere Nöte bringt, dafür habe ich kein Verständnis“, sagt der Vorsitzende.
Zum Mitgliederrekord kann Fortuna Schlangen unter den gegebenen Umständen nicht beitragen. Zumal es ein weiteres Problem gibt, das dazu führt, dass der Verein sogar eher Mitglieder einbüßt. Der Versuch, den Fußballkreis zu wechseln und statt im Kreis Detmold im Kreis Paderborn anzutreten, was die Anreisen zu Auswärtsspielen deutlich verkürzen würde, wird vom Detmolder Kreisvorsitz abgeblockt. „Die Begründung lautet, dass andere Vereine unserem Antrag folgen und ebenfalls Wechselanträge stellen könnten. Statt unserem berechtigten Antrag zuzustimmen und Signale für die gesicherte Zukunft von Vereinen zu setzen, geht es aus unserer Sicht beim Detmolder Kreisvorsitz um Blockieren, Rückwärtsgewandtheit und Angst ums eigene Überleben. Wir werden weiter mit allen uns zu Verfügung stehenden Möglichkeiten dagegen vorgehen“, sagt Sven Schlüter.
Es liegt zwischen dem Verein und dem Spielkreis Detmold der Teutoburger Wald, was eine Anreise zu Auswärtsspielen deutlich erschwert. Zu dieser grundsätzlichen strukturellen Situation kommt, dass viele Kinder und Jugendliche bereits im Kreis Paderborn wohnen und dort zur Schule gehen. Der gesamte soziale Raum ist in Paderborn zu sehen. Alles Argumente, die auch beim Präsidium des FLVW angesehen und für richtig erkannt wurden. Es gab eine klare Empfehlung durch das Präsidium, den Verein im Kreis Paderborn in 2026/27 einzugliedern. Nun wurde allerdings alles wieder verworfen.
Der Vorstand von Fortuna Schlangen versucht, in vielen Gesprächen mit Eltern, Kindern und ehrenamtlichen Trainern einem Aderlass an Mitgliedern entgegenzuwirken. Rund 15 Jugendliche und drei Übungsleiter hat der Verein allerdings bereits verloren. „Und ich bekomme auch keinen Ersatz aus dem Kreis Paderborn, weil es sich nicht lohnt, die weiten Fahrten zu den Auswärtsspielen in Kauf zu nehmen, und das kann ich den jungen Leuten nicht verdenken“, sagt er. Ganz besonders ärgert ihn die Ignoranz nicht nur gegenüber kleinen Vereinen, sondern auch beim Thema Nachhaltigkeit. „Ich habe mal ein Rechenbeispiel für eine D-Jugend-Mannschaft gemacht, die über eine Saison allein 30 Tonnen CO2 mit kürzeren Fahrten einsparen würde. Es geht hier um unsere Zukunft, deshalb werden wir nicht kampflos akzeptieren, dass so mit einem Verein wie uns umgegangen wird.“
Den letzten Satz hätte Christian Krey wortgleich formulieren können, auch wenn seine Sorgen etwas anders geartet sind. Der 44-Jährige ist Präsident der TuS Koblenz. Zu ihren Glanzzeiten mischten die Fußballer der TuS zwischen 2006 und 2010 für vier Saisons die Zweite Liga auf. Mittlerweile ist der Verein in die fünftklassige Oberliga Rheinland-Pfalz/Saar abgestürzt - und die Rückkehr zumindest in den Profifußball wäre unter den aktuellen Umständen fast schon eine Sensation. Weil die seit Jahren geplante Erneuerung des Stadions Oberwerth nicht umgesetzt wird, drohen in den kommenden Monaten fußballspezifische Trainingseinheiten unmöglich zu werden. Für einen ambitionierten Oberligisten ist das eine untragbare Situation.
Was steckt dahinter? Die TuS teilt sich die 90 Jahre alte Spielstätte mit dem Stadt- und Ligakonkurrenten Rot-Weiß Koblenz. Im Stadion, das auch von der Leichtathletik genutzt wird, darf aber auf dem Hauptplatz nicht trainiert werden, den einzigen Trainingsplatz teilen sich also alle Herrenteams beider Clubs. Die Jugendmannschaften sind bereits allesamt auf andere Plätze in der Stadt verteilt worden. Die männliche U17, die ab Winter vielleicht in der höchsten deutschen Nachwuchsliga antreten wird, könnte dank eines Kooperationsangebots sogar ihren Spielbetrieb auf einen vereinsfremden Platz verlagern. Die Oberligamannschaft aber soll im Stadion Oberwerth (Fassungsvermögen rund 10.000 Zuschauer) bleiben. Im Winter, wenn die Stadt den Trainingsplatz witterungsbedingt manchmal wochenlang sperrt, kann dann nur noch im Kraftraum trainiert werden. „Das ist ein klarer Wettbewerbsnachteil“, sagt Christian Krey.
Der Masterplan für die Sanierung sieht vor, dass in mehreren Abschnitten agiert wird. Der erste Schritt sieht die Renovierung der Haupttribüne vor, in der es nur zwei Umkleidekabinen gibt, die modernen Ansprüchen nicht annähernd genügen. „Selbst die Schiedsrichter müssen sich in einem Container umziehen. Wir haben keinerlei Funktionsräume, können nicht viel Material lagern, den für die Regionalliga geforderten VIP-Raum könnten wir nicht vorweisen, da die aktuelle Containerlösung nur geduldet ist.“ Deshalb hat die Haupttribüne die höchste Dringlichkeitsstufe, was im Umkehrschluss aber bedeutet, dass die Trainingssituation frühestens im zweiten Schritt geklärt wird. „Zwar scheint Bewegung in das Thema zu kommen, aber aktuell ist nicht einmal sicher, dass das Geld für den ersten Bauabschnitt reicht“, sagt der Präsident. „In Summe ist das Ganze eine echte Katastrophe für uns und noch deutlich schlimmer, als es sich anhört.“
Unter diesen Umständen ist Christian Krey zwar glücklich, dass der in diesem Jahr verzeichnete Zuwachs von rund 200 auf 1.250 Mitglieder auch aus der Fanszene rekrutiert wurde. „Die Zahl der Aktiven liegt stabil bei 300, und mehr könnten wir beim besten Willen auch nicht verkraften. Weitere Mannschaften, wie beispielsweise die viel geforderte Damenmannschaft, können wir aktuell nicht umsetzen. Allein aus Gründen der nicht vorhandenen Infrastruktur.“ Krey hofft nun darauf, dass die angekündigten Investitionen in die Sportinfrastruktur schnell, nachhaltig und unbürokratisch getätigt werden. „Wir brauchen einfach mehr Unterstützung aus der Politik, wenn wir unser Angebot aufrechterhalten wollen. Und so geht es vielen Vereinen in Deutschland. Ich freue mich über den Mitgliederboom. Aber es wird Zeit, dass der gesellschaftlichen Bedeutung des Sports endlich Rechnung getragen wird.“

