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Vinzenz Geiger kämpft mit seiner Sportart ums olympische Überleben

Zum Auftakt des Weltcups in der Nordischen Kombination fällt der Titelverteidiger verletzt aus. Aber im Februar will er in Norditalien dabei mithelfen, Argumente für einen Verbleib im Olympiaprogramm zu liefern und auch die Frauen zu unterstützen.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

25.11.2025

Vinzenz Geiger
Vinzenz Geiger gewann in der vergangenen Saison den Gesamtweltcup in der Nordischen Kombination.

Der Schreck war groß, als der Deutsche Skiverband (DSV) vor drei Wochen eine Eilmeldung verschickte. Vinzenz Geiger, Gesamtweltcupsieger der Saison 2024/25 und zweimaliger Olympiasieger, hatte beim Krafttraining einen dreifachen Bänderausriss am rechten Fuß erlitten. Den Auftakt in das Weltcupjahr 2025/26, der die Nordischen Kombinierer an diesem Wochenende in die Region Ruka-Kuusamo ins finnische Lappland und eine Woche darauf nach Trondheim (Norwegen) führt, müsse der 28-Jährige definitiv auslassen, hieß es. Sofort schrillten erste Alarmglocken: Würde der Mann, der nach dem Rücktritt des langjährigen norwegischen Dominators Jarl Magnus Riiber (28) und dessen Landsmann Joergen Graabak (34) als Topfavorit in das Olympiajahr starten sollte, den Saisonhöhepunkt vom 6. bis 22. Februar in Norditalien verpassen?

Drei Wochen später kann Vinzenz Geiger im Gespräch mit dem DOSB deutliche Entwarnung geben. „Der Heilungsprozess verläuft optimal. Am vergangenen Mittwoch konnte ich nach zwei Wochen Komplettentlastung auf Krücken erstmals wieder auf Skiern stehen. Ich bin fast schmerzfrei und werde in der ersten Dezemberwoche auf die Schanze zurückkehren“, sagt er. Einen Ausfall für die Winterspiele habe er nie in Betracht gezogen. „Es hat zwar geschmerzt, als es passiert ist, aber dass Olympia in Gefahr wäre, hatte ich nicht im Kopf.“ Erst als die Diagnose feststand, habe er kurzzeitig Unruhe verspürt, „weil ich nicht wusste, wie lange man mit so einer Verletzung ausfällt. Ich habe gegoogelt und mit den behandelnden Ärzten gesprochen, dann war das Thema durch.“

Nordischer Kombination droht das Aus für die Winterspiele 2030

Das ist nicht nur aus sportlicher Sicht wichtig für die deutsche Mannschaft, sondern auch, weil sich der gebürtige Oberstdorfer zu einem Wortführer im Kampf um die Zukunft seines Sports aufgeschwungen hat. Weil das Internationale Olympische Komitee (IOC) der Ansicht ist, der Nordischen Kombination fehle es an Universalität - was bedeutet, dass zu wenige Nationen um Medaillen mitkämpfen und das weltweite Interesse zu gering ist -, droht der seit 1924 im Programm befindlichen Kombination aus Sprung und Langlauf 2030 das olympische Aus. „Unser Sport steht unter Beobachtung, was bedeutet, dass sich das IOC genau anschaut, wie hoch das Zuschauerinteresse sowohl live an den Strecken als auch im linearen Fernsehen und online ist“, erläutert Horst Hüttel, im DSV Sportdirektor für Skispringen und Nordische Kombination.

Vinzenz Geiger hat dazu eine klare Meinung. „Ich bin verärgert über das IOC, weil es für mich nicht nachvollziehbar ist, dass diese Diskussion geführt wird“, sagt er. Horst Hüttel hat wahrgenommen, dass im deutschen Team eine trotzige Aufbruchstimmung herrsche. „Die Mannschaft möchte mit starken Leistungen dazu beitragen, dass das IOC einsieht, wie interessant und auch beim Publikum beliebt ihre Sportart ist“, sagt er. Im Hintergrund arbeite der Weltverband FIS mit den Nationalverbänden hart daran, Überzeugungshilfe zu leisten. „Die Organisatoren der Winterspiele 2030 in Frankreich haben schon gesagt, dass sie die geplante neue Normalschanze nicht bauen werden, wenn die NoKo aus dem Programm fliegt. Das würde dann auch das Skispringen gefährden“, sagt Hüttel.

  • Vinzenz Geiger

    Olympia ist natürlich schon im Hinterkopf, es hat einen extrem hohen Stellenwert. Auch wenn es mir Druck nimmt, dass ich schon Olympiasieger bin, ist es klar, dass ich das noch einmal erleben will.

    Vinzenz Geiger
    Zweifacher Olympia- und Gesamtweltcupsieger
    Nordische Kombination

    Während die Männer aber immerhin die Chance haben, in Predazzo Eigenwerbung zu betreiben, ist die Situation bei den Frauen komplett verfahren. Obwohl sich die Sportart im weiblichen Bereich über die vergangenen Jahre sehr gut entwickelt hat, sind die Nordischen Kombinierinnen die einzigen Athletinnen, die in Italien von außen zuschauen müssen. Nathalie Armbruster, Gesamtweltcupsiegerin der vergangenen Saison, findet dafür harte Worte in Richtung des IOC. „Es ist eine Riesensauerei, dass wir nicht im Olympiaprogramm dabei sind. Dass Frauen im 21. Jahrhundert im Sport nicht gleichberechtigt sind, ist nur schwer zu erklären“, sagt die 19-Jährige vom SV-SZ Kniebis. Vinzenz Geiger kann dem nur beipflichten. „Für die Frauen ist es extrem hart. Sie haben, nachdem sie 2022 in Peking nicht dabei waren, eigentlich alles getan, was gefordert war. Ihr Sport hat eine enorme Entwicklung hingelegt, deshalb ist es sehr schade, dass das nicht belohnt wird“, sagt er.

    Trotz der großen Enttäuschung sei von Resignation im Frauenkader nichts zu spüren, sagt Sportdirektor Hüttel. „Natürlich schwingt noch Ärger mit, denn die Weiterentwicklung ist nicht zu übersehen. International gibt es eine große Solidarität zwischen und mit den Frauen. Aber ich empfehle, nicht zu sehr auf die Tränendrüse zu drücken, das hilft niemandem. Wir müssen die Situation annehmen, wie sie ist, und weiter alles geben, damit 2030 beide Geschlechter in der Kombination antreten dürfen“, sagt er. Sollte die für Mai 2026 erwartete Entscheidung allerdings grundsätzlich negativ ausfallen und auch die Männer betreffen, müsse man sich keiner Illusion mehr hingeben, sagt Vinzenz Geiger: „Dann ist die Nordische Kombination tot.“

    Vinzent Geiger will sich nur auf die eigene Leistung konzentrieren

    Dass sie in dieser Saison lebt, dazu will der Teamweltmeister von 2025 einen gewichtigen Beitrag leisten, sobald er wieder fit ist. „Olympia ist natürlich schon im Hinterkopf, es hat einen extrem hohen Stellenwert. Auch wenn es mir Druck nimmt, dass ich schon Olympiasieger bin, ist es klar, dass ich das noch einmal erleben will. Deshalb gilt jetzt, dass ich schnell reinfinde und mich bis zu den Spielen steigere“, sagt er. In Finnland nicht eine erste Duftmarke setzen zu können, stört ihn schon. „Ich habe Kuusamo noch nie verpasst, habe schon ein bisschen FOMO“, sagt er. Zumal es das erste Mal ist, dass er einen Weltcup wegen einer schweren Verletzung verpasst. „Ich war zwar mal krank oder habe aus taktischen Gründen pausiert. Aber richtig verletzt war ich noch nie. Etwas blöder Zeitpunkt für das erste Mal, aber was will man machen?“

    Sich auf das zu konzentrieren, was man selbst beeinflussen kann, das ist eine der großen Stärken des Mannes, der mit seinem unvergesslichen Zielsprint bei den Spielen vor vier Jahren in Peking in die Herzen aller deutschen Wintersportfans rannte. „Es kommt nicht darauf an, wie gut die Gegner sind, sondern wie stark ich selbst bin“, sagt er auf die Frage, was die neue Rolle als klarer Topfavorit mit ihm mache. „Für mich ist das eine tolle Chance. Pressure is a privilege, heißt es, und genauso sehe ich es. Wenn ich nicht zu den Favoriten zählen würde, wäre der Druck größer“, sagt er.

    • Horst Hüttel

      Unser Ziel ist, dass wir gleich mit einer guten Performance in die Saison starten. Aber wir wissen auch, dass der Weltcup nicht in Kuusamo entschieden wird. Wir werden uns zwei, drei Wochenenden Zeit für eine Einordnung nehmen.

      Horst Hüttel
      Sportdirektor Skispringen und Nordische Kombination
      Deutscher Skiverband

      Zunächst jedoch müssen es andere richten. Vinzenz Geiger nennt Julian Schmid (26), seinen Vereinskameraden vom SC Oberstdorf, als ersten deutschen Anwärter auf einen Sieg in Ruka-Kuusamo. Sportdirektor Hüttel hat auch Newcomer Richard Stenzel (20/SC Motor Zella-Mehlis), der im Sommer-Grand-Prix als Gesamtvierter aufhorchen ließ, und Wendelin Thannheimer (25/SC Oberstdorf), im vergangenen Winter an Geigers Seite Teamweltmeister, auf dem Zettel. „Unser Ziel ist, dass wir gleich mit einer guten Performance in die Saison starten. Aber wir wissen auch, dass der Weltcup nicht in Kuusamo entschieden wird. Wir werden uns zwei, drei Wochenenden Zeit für eine Einordnung nehmen“, sagt er. Die Olympischen Spiele stünden gar nicht so stark im Fokus, wie Außenstehende oft denken. „Es geht darum, sich im Sommer so gut vorzubereiten, dass man von November bis März optimal performen kann. In der Regel stehen bei Olympia die auf dem Podium, die auch schon im Weltcup vorn waren.“

      Neben dem Kampf um die Zukunft steht für die Nordischen Kombinierer auch das Ringen mit dem Material auf der Agenda. Nachdem der „Anzug-Skandal“ um die norwegischen Spezialspringer Marius Lindvik und Johann André Forfang von der WM 2025 in Trondheim weiter nachwirkt und im Lager der Skispringer für anhaltenden Verdruss sorgt, hatte der Weltverband die Anzugregeln deutlich verschärft. Wer dagegen verstößt, wird mit einer Gelben Karte als Verwarnung bestraft, ein weiteres Vergehen zieht eine Sperre für zwei Weltcupwettbewerbe nach sich. Diese Regeln gelten für Skispringen und Nordische Kombination gleichermaßen. „Für uns ist das kein großes Thema, es ist schon gut eingespielt und trifft alle Nationen gleich“, sagt Horst Hüttel.

      Einiges los also in seinem Sport, aber Vinzenz Geiger versucht trotzdem, so entspannt wie möglich zum Saisonhöhepunkt zu kommen. „Es werden voraussichtlich meine letzten Spiele sein. Auch wenn ich schon viel erreicht habe, will ich das Maximum herausholen. Aber ich will es auch genießen!“

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