Weltrekordlerin Westermann vollendet ihr 75. Lebensjahr
Liesel Westermann, die frühere Weltrekordhalterin im Diskuswurf, vollendet am Sonnabend, dem 2. November, ihr 75. Lebensjahr.

02.11.2019

Liesel Westermann gehörte in den 1960er Jahren zu den weltbesten Leichtathletinnen speziell in dieser Wurfdisziplin. Bei den Olympischen Spielen in Mexiko 1968 gewann sie die Silbermedaille. Im Verlauf ihrer großartigen Karriere gelang es ihr, insgesamt viermal eine Weltrekordweite im Diskuswurf zu erzielen. Am 5. November 1967 warf sie in Sao Paulo (Brasilien) auf einer Reise durch Südamerika zum Saisonausklang genau 61,26 m weit und damit als erste Frau über 60 Meter überhaupt. Ihre persönliche Bestleistung erzielte sie gegen Ende ihrer großen Laufbahn am 12. August 1972 in Zürich mit 64,96 m.
Liesel Westermann ist in Sulingen (Landkreis Diepholz) geboren. Nach dem Abitur zog es sie zu einem Lehramtsstudium zunächst nach Hannover und dann nach Göttingen, bevor sie an die Deutsche Sporthochschule nach Köln wechselte, um hier ihr Diplom als Sportlehrerin zu erwerben. Nach beruflichen Stationen als Gymnasiallehrerin in Leverkusen und Solingen ging sie im Jahre 2003 zurück nach Hannover in das Niedersächsische Kultusministerium, wo sie im Range einer Ministerialrätin als leitende Koordinatorin für „Schulsport und Gesundheitserziehung“ bis zur Erreichung der Altersgrenze im Jahre 2009 tätig war.
Ihre „bewegte“ Sport-Biografie in ihrer Heimatstadt Sulingen beginnt etwa so: Mit drei Jahren besucht Liesel bereits das Kinderturnen und findet Freude an vielseitiger Bewegung. Im 11. Lebensjahr wird sie Bezirksmeisterin im Brustschwimmen, ein Jahr später Waldlaufmeisterin im Bezirk, aber nach und nach entdeckt sie das Stadion als ihre sportliche Heimat und ihr Talent in den verschiedenen leichtathletischen Disziplinen: Mit genau 30,96 m als 14-jährige ist die Weite ihres ersten Wettkampfs im Diskus dokumentiert und gleichsam der „Startwurf“ gewesen für eine großartige Karriere als „Diskus-Liesel“, wie sie später auch in den Medien „gedruckt“ genannt wird.
Während ihres ersten Studiums startet Liesel Westermann für Hannover 96, stellt 1966 mit 57,98 m im Diskus ihren ersten deutschen Rekord auf, bleibt aber vielseitig und wird u.a. deutsche Meisterin mit der 4x100 m-Staffel und der Fünfkampf-Mannschaft. In Länderkämpfen für den Deutschen Leichtathletik-Verband wird sie 51-mal eingesetzt und mit der „Goldenen Länderkampfnadel“ ausgezeichnet. Parallel zu ihrem Studienort-Wechsel 1968 nach Köln schließt sie sich TuS 04 Leverkusen an und trainiert unter Gerd Osenberg (geb. 1937). Es würde zu weit führen, alle ihre Wettkampferfolge und Rekorde im einzelnen hier aufzuführen – erinnert werden soll daher wenigstens an den Titel der Studentenweltmeisterin 1967 in Tokio sowie Platz 5 bei den Olympischen Spielen 1972 in München.
Liesel Westermann wurde während und nach ihrer Karriere vielfach geehrt: Sie war u.a. Sportlerin des Jahres (1967 und 1969), Weltbeste Leichtathletin (1967) und Weltsportlerin des Jahres (1969). Im Jahre 1968 erhielt sie mit dem Silbernen Lorbeerblatt die höchste Sportauszeichnung der Bundesrepublik, ferner wurde sie u.a. 1969 ausgezeichnet mit dem Goldenen Band der deutschen Sportpresse und der Sportplakette des Landes Nordrhein-Westfalen. In die Hall of Fame des deutschen Sports wurde sie 2011 aufgenommen, im Ehrenportal des niedersächsischen Sports des Instituts für Sportgeschichte (NISH) in Hannover ist sie schon seit 1988 aufgeführt. In ihrer Heimatstadt Sulingen gibt es inzwischen am Gelände des ehemaligen Bürgerparkstadions den Liesel-Westermann-Weg (mit der Unterzeile „Weltsportlerin des Jahres 1969“), vor fünf Jahren wurde dort eine Liesel-Westermann-Stele aus Naturstein eingeweiht. Alle zwei Jahre veranstaltet der TuS Sulingen drei „Liesel-Westermann-Werfertage“, eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass ihr vom TuS längst die Ehrenmitgliedschaft verliehen wurde.
Im Jahre 1977 hat Liesel Westermann ihre Biografie „Es kann nicht immer Lorbeer sein“ im Verlag Fritz Molden vorgelegt. Wer allein die Kapitel-Überschriften wie „Chancengleichheit im Leistungssport?“ oder „Olympia – quo vadis?“ liest, versteht sofort, dass es Liesel Westermann hier um mehr geht als nur ihren Lebenslauf nachzuzeichnen. Sie blickt auch auf die „erlebte“ Kehrseite der Medaille im Sport. Am Ende („Statt eines Schlusswortes“) skizziert Autorin Westermann den Sport geradezu philosophisch versöhnlich als einen „Rest von Befriedigung unmittelbaren Daseins“ und folgert daraus gleichsam in pädagogischer Hinsicht: „Sport ist nicht nur Spiel und Rekord, sondern Aufschwung und Aufraffen“. Ihr 356-seitiges Werk besticht aber ebenso durch ihre akribisch und detailliert dargestellten Trainingspläne, angereichert mit weiteren Notizen aus dem Trainingstagebuch: „45 Diskuswürfe/fühlte mich anschließend sehr müde“ ...
In aller Frische der Natur darf sie nun – inzwischen beim Golf gelandet – ihren Ehrentag begehen und das neue Lebensjahr beginnen: „Wir kennen uns seit den Olympischen Spielen 1968 und sind seit dieser Zeit gut befreundet. Ich blicke gern auf zahlreiche persönliche Begegnungen mit Liesel Westermann zurück. Ich beglückwünsche sie sehr herzlich zu ihrem 75. Geburtstag und wünsche ihr alles Gute für das nächste Vierteljahrhundert“, lautet die Gratulation von Prof. Walther Tröger, langjähriges IOC-Mitglied und NOK-Ehrenpräsident. Aus Anlass des 75. Geburtstages ist Liesel Westermann zusammen mit ihrer Familie, den Enkelkindern und ihren Schwestern Ute und Ilse als Ehrengast beim Jubiläum „100 Jahre Leichtathletik in Sulingen“ eingeladen, das die Abteilung Leichtathletik des TuS Sulingen an ihrem Geburtstag um 11 Uhr im Stadttheater von Sulingen ausrichtet.
(Quelle: DOSB/Prof. Detlef Kuhlmann)