„Wenn Gegner zu Freunden werden, ist das eine extreme Bereicherung“
Sebastian Brendel ist dreimaliger Olympiasieger, hat 13 WM-Goldmedaillen und 17 EM-Titel im Kanurennsport gewonnen. Nun hat er im Alter von 37 Jahren seine Karriere beendet und spricht im Interview über die Wegmarken seiner Laufbahn und seine Zukunftspläne im Sport.

14.07.2025

DOSB: Sebastian, besonders erfolgreiche Athlet*innen tun sich mit ihrem Karriereende oftmals besonders schwer. Ob man den richtigen Zeitpunkt gewählt hat, weiß man erst im Nachhinein, aber warum fühlt sich dieser Schritt für dich jetzt richtig an?
Sebastian Brendel: Tatsächlich ist das eine sehr individuelle Entscheidung. Bei mir war es ein Prozess, der im Prinzip Zeit gebraucht hat von den Olympischen Spielen in Paris bis jetzt. Mit fortschreitendem Alter wird das Gefühl, dass das Karriereende naht, immer stärker. Ich habe in den vergangenen Monaten gespürt, dass ich die Energie nicht mehr aufbringen kann, um die 100 Prozent leisten zu können, die es braucht, um vorn mitzufahren. Und das war und ist immer mein Anspruch. Ich war ganz oben und weiß, was dafür notwendig ist, um dort zu bleiben. Aber meine Prioritäten haben sich verschoben, hin zu mehr Zeit für Beruf und Familie. Also haben wir gemeinsam entschieden, dass es reicht, und für mich fühlt sich das absolut richtig an.
Du bist schon seit 2008 bei der Bundespolizei beschäftigt. Fällt der Schritt ins Leben nach dem aktiven Sport leichter, wenn man weiß, was danach kommt?
Vielleicht ein wenig. Aber dieses „Was kommt danach“ spielt immer eine Rolle, selbst wenn man schon im Berufsleben steckt. Vor allem, wenn man in seinem Sport zur Weltspitze zählt und Anerkennung für das bekommt, was man leistet. Dann ist das ganze Leben darauf ausgerichtet, was den Übergang schwierig macht. Für mich kann ich aber sagen, dass es mir geholfen hat zu wissen, was meine neuen Aufgaben und nächsten Ziele sind. Ich habe nach Paris eine Aufstiegsausbildung bei der Polizei gemacht und in den Gesprächen mit meinem Arbeitgeber gespürt, dass man dort einen Plan für mich hat und ich mich damit sehr gut identifizieren kann. Deshalb habe ich keine Sorge vor der Veränderung.
Zu wissen, dass es vielleicht nie wieder etwas geben wird, das du so gut kannst oder das dich so sehr erfüllt wie der Kanurennsport: Welche Gefühle kommen da bei dir auf? Hast du im neuen Job denselben Ansporn, der Beste sein zu wollen oder gar zu müssen?
Wenn man sehr lange erfolgreich war, dann ist dieser Anspruch in der DNA verankert. Sich davon freizumachen, das ist sicherlich nicht einfach. Ich finde einen gewissen Anspruch an die eigene Leistungsbereitschaft auch im neuen Job nicht verkehrt, aber es kommt nun auch vermehrt darauf an, dass der Beruf mir Spaß bringt, und das Gefühl habe ich. Mir ist schon klar, dass ich eine solche Anerkennung und auch eine solche Bühne, wie es zumindest die Olympischen Spiele für mich waren, im neuen Lebensabschnitt nicht mehr bekommen werde. Aber das ist vollkommen okay.
Was kann denn den Wettkampf ersetzen, dem du dich als Leistungssportler fast täglich ausgesetzt hast? Oder wird er dir gar nicht fehlen?
Es wird sicherlich manches Mal in den Fingern jucken, sich mit anderen messen oder vergleichen zu wollen. Aber gerade bin ich sehr froh, dass ich selbstbestimmt trainieren kann und keine Zwänge habe. Und das ständige Vergleichen habe ich nie gebraucht, deshalb glaube ich, dass es mir nicht fehlen wird. Ich möchte nun viel lieber andere darin unterstützen, so gut wie möglich zu werden.
Du hast angekündigt, bei deinem Heimatverein KC Potsdam als Nachwuchstrainer zu arbeiten. Außerdem übernimmst du bei der Bundespolizei eine Stelle im Referat Aus- und Fortbildung im Spitzensport. Was reizt dich daran?
Mir ist es sehr wichtig, den Nachwuchs auf den ersten Schritten in den Kanusport zu begleiten. Ich glaube, dass es gerade dort Vorbilder braucht, und ich hoffe, dass ich ein solches sein kann. Bei der Bundespolizei arbeiten wir strategisch an der Entwicklung einer erfolgreichen Nachwuchsarbeit, auch da möchte ich meine Erfahrungen einbringen, um Verbesserungen zu bewirken. Die Kinder, die jetzt den Schritt in den Leistungssport wagen, sind diejenigen, die 2036, 2040 oder 2044, wenn wir hoffentlich wieder Olympische Spiele in Deutschland ausrichten dürfen, für unser Land an den Start gehen könnten. Daran mitzuwirken, dass es möglichst viele schaffen, ist für mich der große Reiz.
Du selbst hast an vier Olympischen Spielen teilgenommen und drei Goldmedaillen gewonnen, du bist 13-facher Welt- und 17-facher Europameister. Manchmal sind es jedoch nicht die offensichtlichen Triumphe, die Sportler*innen als die wichtigsten Momente ihrer Karriere einordnen. Welche Wegmarken waren für dich auf deinem sportlichen Weg entscheidend?
Der erste Einschnitt war im Jahr 2004 die Entscheidung, im Einer anzutreten. Ich war erstmals für die Junioren-Nationalmannschaft nominiert gewesen und bin im Vierer gestartet. Wir sind Siebter und Achter geworden, und auch wenn wir eine gute Truppe waren, habe ich gespürt, dass ich lieber allein für meinen Erfolg und Misserfolg verantwortlich sein wollte. Im Jahr darauf bin ich im Einer-Canadier bei der Junioren-WM in Szeged Doppelweltmeister geworden. Da wusste ich: Ich komme mit dem Druck gut zurecht, ich kann das!
2011 ist dir bei der WM in Szeged das Paddel gebrochen, dadurch stand die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2012 in London infrage. Wie hast du diese Phase erlebt?
Es war der schmerzhafteste Moment meiner Karriere, denn ich hatte mich aus dem langen Schatten von Andreas Dittmer herausgekämpft, der bei meinen Einstieg in die Nationalmannschaft vor mir lag. Ich musste wegen des Paddelbruchs im Olympiajahr in die Nachqualifikation, was großen Druck bedeutete, weil nur die ersten beiden sich für London qualifizieren konnten. Aber es gelang, und das war der Ausgangspunkt für meinen ersten Olympiasieg.
Markieren die Spiele 2016 in Rio de Janeiro den Höhepunkt deiner Karriere? Du hast dort zwei Goldmedaillen geholt und konntest das Team Deutschland als Fahnenträger bei der Schlussfeier anführen. Welche Bedeutung hat das in deiner Vita?
Eine riesengroße. Die ganze Woche in Brasilien war sensationell, erst die beiden Goldmedaillen, dann als i-Tüpfelchen die Ehre, die Fahne tragen zu dürfen. Das sind einzigartige Momente, für die sich die harte Arbeit der vielen Jahre gelohnt hat. Ich war in der Zeit wie im Rausch, habe alles aufgesaugt wie ein Schwamm. Davon zehre ich bis heute.
Du hast auf dem Wasser stets am Limit gegen deine Konkurrenten gekämpft, aber abseits der Rennstrecke viele Freundschaften geschlossen. Dein brasilianischer Rivale Isaquias Queiroz dos Santos hat seinen ersten Sohn nach dir benannt, als Hommage an deine Erfolge. Das passiert nicht oft…
…und bis heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich über diese herausragende Geste spreche. Ich finde, dass sie das schönste Zeichen dafür ist, dass der Sport verbindet und Grenzen überwindet. Auf dem Wasser kämpft jeder für sich, aber wenn der Wettkampf beendet ist, ist gegenseitiger Respekt das, wofür Sport stehen und was er vermitteln sollte. Wenn Gegner zu Freunden werden, ist das eine extreme Bereicherung.
Zum Abschied hast du mit Sicherheit viele bewegende Nachrichten erhalten. Gab es eine Reaktion, die dich besonders überrascht hat?
Überrascht eher nicht, aber gefreut umso mehr. Ich habe mein Karriereende im Rahmen einer Veranstaltung im KC Potsdam verkündet, aber natürlich wussten einige Menschen schon vorher Bescheid. Es war ein wunderbarer Rahmen, in dem wir zusammen waren. Mein erster Trainer war dabei, zudem der Coach, der mich für meine großen Erfolge vorbereitet hat, aber auch viele Wegbegleiter aus der Wirtschaft und der Politik. Ich habe wahnsinnig viele Nachrichten bekommen und mich darüber sehr gefreut.
Dass du dem Sport treu bleiben willst, haben wir bereits besprochen. Könntest du dir auch vorstellen, dich sportpolitisch zu engagieren, zum Beispiel im Zuge der Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele?
Ich kann mir viele Aufgaben vorstellen. Gerade bin ich in einer Sondierungsphase, ich bringe mich aber gern ein, wenn ich gefragt werde und das Anliegen als lohnenswert betrachte. Die Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele halte ich für sehr richtig und wichtig, weil sie den gesamten Sport in Deutschland nach vorn bringen und dem Land einen großen Schub geben kann. Mir ist aber die Arbeit an der Basis, in meinem Heimatverein, ebenso wichtig, weil ich sehe, was dort im Argen liegt.
Und zwar?
Es fehlt an Übungsleitern und Trainern, die die vielen Kinder betreuen können, die gern Kanurennsport betreiben möchten. Dass Kinder den Weg in den Sport finden, ist die Voraussetzung dafür, dass wir eine nachhaltig erfolgreiche Sportförderung auf die Beine stellen können. Die Vereine sind dafür die Basis, sie müssen gestärkt werden. Dazu kommt die Ausstattung der Sportanlagen, die an vielen Stellen leider mangelhaft ist. Wir brauchen keine goldenen Wasserhähne, aber die Menschen und vor allem die Kinder und Jugendlichen müssen sich wohlfühlen können.
Hast du das Gefühl, dass der Stellenwert des Sports in der Gesellschaft so hoch ist, wie es wünschenswert und auch notwendig wäre?
Leider muss ich das an manchen Stellen doch stark bezweifeln. Die Grundlage müsste sein, dass wir es zunächst einmal alle wollen. Wir müssen den vielen Jugendlichen ehrlich sagen, dass nicht für jeden eine große Karriere im Leistungssport möglich sein wird. Aber all diejenigen, die die Bereitschaft mitbringen, es dennoch zu versuchen, müssen wir unterstützen. Die Argumente für den Sport sind schließlich einleuchtend. Er verbindet Menschen und bringt sie zusammen, er ist wichtig für die Gesundheit und den Kampf gegen Bewegungsmangel, und man lernt unheimlich viel, was man für das spätere Leben und den Beruf benötigt.
Du hast selbst zwei Kinder, eine 14 Jahre alte Tochter und einen elf Jahre alten Sohn. Wie hast du den beiden die Werte des Sports vermittelt, und steht möglicherweise schon die nächste Olympiasiegerin oder der nächste Olympiasieger aus dem Hause Brendel in den Startlöchern?
Zunächst einmal möchte ich betonen, dass meine Frau und ich den Kindern keinerlei Druck gemacht haben. Wir freuen uns aber sehr, dass sie beide den Weg in den Sport gefunden haben. Unsere Tochter ist Kajakfahrerin, unser Sohn ist im Canadier aktiv. Beide besuchen in Potsdam die Sportschule. Ob ihnen große Karrieren vergönnt sein werden, steht in den Sternen, aber darauf kommt es auch gar nicht an. Wir unterstützen sie, was auch immer sie tun.
Bleibt zum Abschluss die Frage, ob du künftig auch weiterhin selbst aktiv Sport treiben wirst und ob du zunächst einmal Abstand vom Kanurennsport nehmen wirst, um den Schritt in den neuen Lebensabschnitt zu schaffen?
Abstand vom Sport brauche ich nicht, dafür liebe ich ihn zu sehr. Ich bin in diesem Sommer über den Weltverband bei der U-23-WM eingesetzt und betreue im Rahmen eines Projekts Sportlerinnen und Sportler aus Kanu-Entwicklungsländern, die sich keinen eigenen Coach leisten können. Das ist eine schöne Aufgabe, die ich gern übernehme. Und was das aktive Sporttreiben angeht: Die eigene Bewegung darf nicht zu kurz kommen, allein schon, weil ich zunächst einmal abtrainieren muss. Ich mache Kraft-, Kardio- und Athletiktraining, und Ende Juli habe ich eine sportmedizinische Untersuchung, um sicherzustellen, dass alles okay ist. Bewegung bleibt auf jeden Fall ein wichtiger Teil meines Lebens.

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