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„Wenn wir an der Startlinie stehen, dürfen wir keine Existenzängste haben"

Pia Greiten ist neue Vorsitzende der Athlet*innenkommission des DOSB. Im Auftaktgespräch erläutert die 28 Jahre alte Ruderin, welche Themen sie in den Vordergrund stellen möchte und wo sie dringenden Handlungsbedarf sieht.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

04.11.2025

Eine Sportlerin spricht auf einem Pressepodium
Pia Greiten gewann bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris Bronze mit dem Doppelvierer und stand danach auf der Pressekonferenz Rede und Antwort.

Als am vergangenen Sonntagmittag im DFB-Campus in Frankfurt am Main die Athlet*innenvollversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ihre Vertretung wählte, war Pia Greiten nur digital zugeschaltet. Weil die 28-Jährige vom Osnabrücker Ruder-Verein aktuell in Warendorf einen Bundeswehrlehrgang absolviert, war ihr die Teilnahme vor Ort nicht möglich. Die Vorsitzendenwahl musste deshalb am Montagnachmittag ebenfalls digital abgehalten werden. Aber nachdem Pia Greiten, die bei den Olympischen Spielen in Paris Bronze mit dem Doppelvierer gewann und in dieser Saison als einziges Mitglied des Paris-Quartetts im Skull-Paradeboot verblieben war, vom neunköpfigen Gremium als Nachfolgerin von Beachvolleyball-Ass Karla Borger (36/Stuttgart) bestätigt wurde, stand sie dem DOSB in ihrem ersten Interview in neuer Funktion Rede und Antwort.

DOSB: Pia, du hast interessante Tage hinter dir. Am Samstag bist du zur neuen Präsidentin von Athleten Deutschland gewählt worden, seit Montag bist du nun auch Vorsitzende der DOSB-Athlet*innenkommission. War das dein Ziel, und kannst du schon einschätzen, was da auf dich zukommt?

Pia Greiten: Ich bin mit der Zielsetzung in das Wochenende gegangen, mein Engagement für die Athlet*innen auszubauen. Dass ich nun beiden Gremien vorsitze, freut mich natürlich, aber ich interpretiere meine Aufgabe nicht als Einzelkämpferin. Wir sind ein starkes Team, das verschiedene wichtige Perspektiven und große Expertise einbringt. Mir ist schon klar, dass die kommenden Monate und Jahre – in beiden Gremien bin ich für vier Jahre gewählt – intensiv, spannend und arbeitsreich werden. Mit den Themenfeldern, die nun auf mich zukommen, habe ich mich schon im Vorhinein beschäftigt. Ich bin gut vorbereitet.

Woher rühren dein Faible für Engagement für andere Menschen und das Interesse für sportpolitische Themen?

Angefangen hat das in der Jugend, als ich persönliche Erfahrungen zum Thema frauenspezifisches Training gesammelt habe, die sich auf meine Gesundheit ausgewirkt haben. Damals wurde mir bewusst, wie wichtig es ist, sich für die Allgemeinheit einzusetzen. Ich habe nach Möglichkeiten gesucht, Dinge aktiv zu verändern. Was sportpolitische Themen angeht, möchte ich mir die für die neuen Ämter notwendige Tiefe in den kommenden Wochen mithilfe der Kommission und Athleten Deutschland erarbeiten. Aber dadurch, dass ich in den vergangenen Jahren schon als Mitglied des Vereins aktiv war und beispielsweise zum Thema Gleichstellung auch vor dem Sportausschuss des Bundestags sprechen durfte, habe ich mich mit Sportpolitik durchaus regelmäßig beschäftigt. Der Antrieb dahinter ist, dass ich sehe, dass Veränderungen notwendig sind, und ich dabei mithelfen möchte, diese zu erreichen.

Als oberste Lobbyistin für die Athlet*innen im deutschen Sportsystem: Welche Veränderungen sind besonders dringend notwendig?

Wir müssen ein System schaffen, das für die Athlet*innen gemacht ist, in dem es Mitspracherecht und Gestaltungsmöglichkeiten auf allen wichtigen Themenfeldern gibt. Finanzielle und materielle Absicherung ist dabei genauso ein Anliegen wie Schutz vor sexueller oder psychischer Gewalt. Unser Fokus muss darauf liegen, die Stimmen der Athlet*innen zu bündeln, um immer wieder deutlich zu machen, was wir brauchen.

Wenn du sagst, dass ein solches System geschaffen werden muss, bedeutet das, dass der Status Quo dich nicht zufriedenstellt. Was sind deine wichtigsten Kritikpunkte am bestehenden System?

Noch immer leiden Athlet*innen aus dem olympischen, nicht-olympischen, para- und deaflympischen Bereich zu häufig unter Existenzsorgen, weil sie nicht ausreichend finanzielle Mittel haben, um sich auf ihren Sport konzentrieren zu können. Das trägt nicht dazu bei, die optimale Leistungsfähigkeit abrufen zu können. Nur wenn Sicherheit da ist, ist Topleistung möglich. Im Bereich Safe Sport sind, nicht zuletzt durch die Implementierung des Safe Sport Codes im DOSB Ende vergangenen Jahres, wichtige Schritte gegangen worden. Aber auch hier braucht es noch deutlich mehr Verbindlichkeit, damit Verbände und Vereine sich dazu verpflichten, ein sicheres Umfeld für ihre Mitglieder zu schaffen. Freiwilligkeit reicht da nicht aus. Hier denke ich auch an ein starkes Zentrum für Safe Sport, das im Frühjahr kommen soll.

Eine Frage, die seit Jahren diskutiert wird, ist die, welchen Leistungssport wir in Deutschland wollen. In seinem Entwurf für ein neues Sportfördergesetz fokussiert sich das Bundeskanzleramt stark auf messbare Leistung in Form von Medaillen, während Athleten Deutschland und der DOSB auch weiche Faktoren wie mentale Gesundheit und die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Sport einbeziehen möchten. Wo stehst du in dieser Debatte?

Der Wert des Sports lässt sich definitiv nicht nur an Medaillen ablesen. Ich finde, wir müssen deutlich stärker herausarbeiten, welche Bedeutung er für die Gesellschaft hat, Stichwort Vorbildcharakter. Ich bin überzeugt davon, dass sich zum Beispiel mentale Gesundheit und Leistungsbereitschaft nicht voneinander abgrenzen lassen, sondern gemeinsam gedacht werden müssen. Nur wenn es uns Athlet*innen ganzheitlich gut geht, werden wir die beste Leistung bringen können. Die Frage, wie wir mit Leistungsdruck umgehen, ist zum Glück in den Vordergrund gerückt. Aber da gibt es noch vieles zu optimieren.

  • Pia Greiten

    Insbesondere die gesundheitsfördernden Aspekte des Sports, aber auch der Fakt, was gerade junge Menschen im Sport an Werten vermittelt bekommen, und welche Leistungen er auf den Themenfeldern Integration und Inklusion erbringt, werden weiterhin zu wenig gewürdigt.

    Pia Greiten
    Vorsitzende der Athlet*innenkommission
    Deutscher Olympischer Sportbund

    Hast du das Gefühl, dass der Sport in Deutschland generell die Wertschätzung erfährt, die ihm angesichts seiner gesamtgesellschaftlichen Bedeutung zustünde?

    Ich sehe zumindest eine Entwicklung, die in die richtige Richtung weist. Aber die Frage kann ich trotzdem nur mit Nein beantworten. Insbesondere die gesundheitsfördernden Aspekte des Sports, aber auch der Fakt, was gerade junge Menschen im Sport an Werten vermittelt bekommen, und welche Leistungen er auf den Themenfeldern Integration und Inklusion erbringt, werden weiterhin zu wenig gewürdigt. Sowohl im Leistungs- als auch im Breitensport ist da noch großes Verbesserungspotenzial.

    Welche Themen sind dein persönliches Spezialgebiet?

    Ich komme aus dem Gleichstellungsbereich, finde aber auch Safe Sport sehr spannend. Und die Absicherung für Athlet*innen wird ebenfalls auf meiner persönlichen Agenda weit oben stehen. Wenn wir an der Startlinie stehen, dürfen wir keine Existenzängste haben. 

    Das Präsidium von Athleten Deutschland und die DOSB-Athlet*innenkommission sind weitgehend personengleich, dennoch sollen sie unabhängig voneinander agieren und haben bisweilen durchaus unterschiedliche Ansätze. Was ist der Vorteil der Personengleichheit, und wie kann es dir gelingen, als Präsidentin und Vorsitzende die unterschiedlichen Ausrichtungen zusammenzuführen?

    Zunächst gilt es festzuhalten, dass die Wahlen beider Gremien unabhängig voneinander stattfinden, aber die Mitglieder anscheinend einen Sinn darin sehen, sie personengleich aufzustellen, sonst hätten sie nicht so gewählt. Der Vorteil daran ist in meinen Augen, dass wir die Kräfte bündeln und für die Belange der Athlet*innen mit einer Stimme sprechen können. Dennoch glaube ich, dass es wichtig und meine Aufgabe sein wird, eine gewisse Trennschärfe einzuhalten, aber über den Dialog zu einer gemeinsamen Stimme finden zu können. Zumindest für den Bereich der Athlet*innen kann ich sagen, dass ich es sehr wichtig finde, unsere Belange gebündelt vorzutragen.

    Im DOSB vertrittst du die Belange der gesamten deutschen Athlet*innen, bei Athleten Deutschland die der Mitglieder. Wie stellst du sicher, deren Anliegen zu kennen und die Basis bestmöglich zu vertreten?

    Wir sind satzungsgemäß sehr divers aufgestellt, haben aus den verschiedenen Bereichen des organisierten Sports Mitglieder in den Gremien, die ihre Expertise einbringen. Bei Athleten Deutschland haben wir einen engen Austausch mit den Athletenvertreter*innen, außerdem sind wir fast alle noch aktiv und haben dadurch viel Kontakt und Austausch mit unserer Zielgruppe. Wir werden viele Gespräche führen und uns aktiv darum bemühen, die Basis mitzunehmen, wo immer es möglich ist.

    Kannst du schon absehen, wie viel Zeit du in die neuen Ämter investieren wirst? Und wie sehen die nächsten Schritte für dich aus?

    Wir sind angetreten, um uns mit voller Kraft und ab sofort für die Belange der Athlet*innen einzusetzen. Viel Einarbeitungszeit wird es nicht geben, die ersten Sitzungen sind bereits absolviert, wir wollen direkt durchstarten, denn es stehen mit dem Sportfördergesetz und den Weiterentwicklungen im Safe Sport sehr wichtige Themen an, die die Zukunft aller Athlet*innen betreffen. Wie viel Zeit die Arbeit in Anspruch nehmen wird, kann ich nicht absehen, das hängt sicherlich auch stark davon ab, was gerade ansteht. Ich freue mich aber sehr darauf, diese Arbeit anzugehen!

    Dann wünschen wir dafür alles Gute und viel Erfolg und danken für das Gespräch.

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