Wie Reem Khamis das Privileg Leistungssport schätzen lernte
Vor vier Monaten erlitt die Karateka einen Kreuzbandriss. Bei den World Games in China möchte sie am 9. August dennoch an den Start gehen. Ihre Lehren aus der Rehaphase gehen weit über den Sport hinaus.

07.07.2025

Sie liebt Karate, seit sie in Kindertagen in ihrem Geburtsland Ägypten damit angefangen hat. Aber eine solche Vorfreude, wie sie sie in diesen Wochen verspürt, hat Reem Khamis selten erlebt. „Ich freue mich auf den Druck, endlich wieder etwas leisten zu dürfen. Ich habe großen Respekt davor, aber ich habe jetzt verstanden, was für ein Privileg es ist, Leistungssport machen zu können“, sagt die 22-Jährige. Um diese Aussage zu verstehen, ist eine Rückblende vonnöten. Im März dieses Jahres erlitt Reem bei einem Premier-League-Turnier in Hangzhou (China) im Finalkampf einen Kreuzbandriss im linken Knie. „Wir dachten zunächst nicht, dass es so schlimm wäre. Die Diagnose war dann ein richtiger Tiefschlag für mich, weil ich zuvor schon einige Monate wegen Knieproblemen aussetzen musste“, sagt sie.
Die Saison 2025 sollte für die Europameisterin und European-Games-Siegerin von 2023 eine sehr besondere werden. In Chengdu (China) stehen vom 7. bis 17. August die World Games an, die Weltspiele der nicht-olympischen Sportarten, die alle vier Jahre den Höhepunkt des Wettkampfkalenders markieren. Vom 27. bis 30. November geht es dann bei den Weltmeisterschaften in Kairo um Medaillen; der Stadt, in der Reem Khamis geboren wurde. „Emotional ist die WM deshalb für mich noch eine Stufe höher einzuordnen als die World Games“, sagt die Athletin, die 2013 mit ihrer Mutter und zwei jüngeren Brüdern dem in Hamburg arbeitenden Vater nachzog und 2021 die deutsche Staatsangehörigkeit erhielt.
Beide Großevents zu verpassen, wäre für die hochambitionierten Kämpferin - Motto: Gut ist erst gut genug, wenn ich die Beste bin - undenkbar gewesen. Deshalb entschied sie sich gegen eine Operation, die mindestens neun Monate Pause nach sich gezogen hätte, und für eine konservative Behandlung der Verletzung, mit der schon einige andere Leistungssportler*innen gute Erfahrungen gemacht hatten. „Trotzdem war ich in den ersten Wochen nach der Verletzung komplett am Boden und habe sehr mit meinem Schicksal gehadert. So eine schlimme Verletzung hatte ich noch nie“, gibt sie zu. Dank regelmäßiger Acht-Stunden-Tage in der Reha in Landau und der fachmännischen Begleitung ihres Physiotherapeuten Mike Steverding sieht es allerdings danach aus, dass sie in China an den Start gehen kann.
„Wir arbeiten darauf hin, dass ich am Tag X in der bestmöglichen Verfassung bin“, sagt sie. Tag X, das ist der 9. August, wenn die Medaillen in der Gewichtsklasse bis 61 Kilogramm vergeben werden. „Niemand von uns weiß einzuschätzen, ob das Knie den Belastungen wirklich standhalten wird. Aber ich bin sehr positiv gestimmt, weil es sich sehr gut anfühlt“, sagt Reem Khamis. Doch selbst wenn es nicht klappen sollte, habe sich der steinige Weg gelohnt. „Ich habe gelernt, das Positive in den Vordergrund zu stellen. Die Reha war rückblickend ein Segen, weil ich dadurch an Dingen arbeiten kann, die ich über Jahre vernachlässigt habe. Deshalb glaube ich fest daran, dass ich stärker als zuvor zurückkehren werde“, sagt sie.
Das, was viele Menschen erleben, die lange auf etwas verzichten müssen, was sie lieben, hat nun auch Reem Khamis durchgestanden. Sie sieht nun noch klarer, dass der Sport die Konstante in ihrem Leben ist; dass er das ist, was man als emotionale Heimat bezeichnet. Ihre räumliche Heimat hat die Auswahlkämpferin im vergangenen Jahr von Hamburg in die Pfalz verlegt. Am Stützpunkt in Kaiserslautern trainiert sie beim ehemaligen Bundestrainer Jonathan Horne und Uwe Schwehm. Vom Harburger Turnerbund wechselte sie zum Teikyo Team Kaiserslautern. Vom Studium des allgemeinen Ingenieurwesens hat sie auf Grundschullehramt gewechselt, das sie nun in Landau studiert.
„Geplant war das alles nicht, verschiedene Umstände haben dazu geführt. Mein Leben hat sich um 180 Grad gewendet, nur der Sport ist als Konstante geblieben. Um als Mensch zu wachsen, waren die Schritte das Beste, was ich tun konnte“, sagt Reem Khamis und strahlt dabei eine so ehrliche Freude aus, dass kein Zweifel möglich ist. Sie wird die verbleibenden Wochen mit Trainingslagern in Ravensburg und Hongkong nutzen, um sich mit den beiden anderen Chengdu-Starterinnen Mia Bitsch (21/Bushido Waltershausen/Klasse bis 55 kg) und Johanna Kneer (27/KJC Ravensburg/über 68 kg) für ihre World-Games-Premiere in Form zu bringen. Klappt es nicht mit China, wird sie nach vorn schauen. Ein gesunder Körper, das hat Reem Khamis in den vergangenen Wochen gelernt, ist viel wichtiger als ein erzwungener Wettkampfstart. Und in vier Jahren bei den Heim-World-Games in Karlsruhe ganz oben zu stehen, ist ebenfalls ein Ziel, für das sich harte Arbeit und Geduld lohnen.

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