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„Wir verstehen Ehrenamt als Herzstück der Sportentwicklung“

Michaela Röhrbein, im DOSB Vorständin für Sportentwicklung, spricht über die Herausforderungen bei der Gewinnung Ehrenamtlicher, Ideen für mehr Unterstützung durch die Politik und Potenziale, die dringend besser ausgeschöpft werden müssen.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

29.09.2025

Eine Gruppe von Sportlern mit einer Politikerin
Christiane Schenderlein, Staatsministerin für Sport und Ehrenamt, traf sich im August bei den World Games in Chengdu mit einer Gruppe Athlet*innen aus dem Team D.

DOSB: Michaela, der Sportentwicklungsbericht zeigt, dass die Bindung und Gewinnung von ehrenamtlichem Funktionsträger*innen aktuell die größte Herausforderung für Sportvereine darstellen. Welche Sorgen machst du dir darum - und worin liegen dennoch Chancen, diesen Trend aufzuhalten?

Michaela Röhrbein: Die Zahlen sind deutlich: Fast die Hälfte aller Vereine sieht sich aktuell von mindestens einem existenziellen Problem bedroht - und 17,5 Prozent nennen dabei ausdrücklich die Gewinnung und Bindung von ehrenamtlichen Funktionsträger*innen. Besonders besorgniserregend ist der Rückgang junger Ehrenamtlicher um mehr als 20 Prozent seit 2019. Das gefährdet nicht nur die Handlungsfähigkeit, sondern auch die Zukunft unserer Vereinsstrukturen. Dennoch sehe ich Chancen. Unter den Mitgliedern, die bisher nicht aktiv sind, liegt ein beachtliches Engagementpotenzial, das in den vergangenen Jahren sogar gewachsen ist. Dazu kommt die Boomer-Generation - Menschen mit Zeit, Kompetenz und Erfahrung. Gleichzeitig brauchen wir Angebote, die junge Menschen früh einbinden und ihnen Partizipation ermöglichen. Der SEB zeigt außerdem: Vereine sind resilienter, wenn mehr Frauen in den Vorständen vertreten sind. Ihr Anteil ist aber noch zu gering. Und nicht zuletzt stellen auch Menschen mit Migrationsgeschichte eine wichtige Potenzialgruppe dar, die unsere Vereine vielfältiger, innovativer und zukunftsfähiger machen. Wenn wir diese Gruppen gezielt ansprechen, Barrieren abbauen, Engagement einfacher machen und Wertschätzung sichtbar leben, dann ist Ehrenamt nicht Last, sondern macht Spaß und wird zur Quelle von Sinn, Gemeinschaft und persönlicher Entwicklung.

Gleichzeitig gibt es einen andauernden Mitgliederboom in den Sportvereinen und eine große Nachfrage nach Sportangeboten. Wie hängt dies zusammen? Welches ist die größte Hürde, die unsere Mitglieder im Verein daran hindern, sich auch ehrenamtlich und freiwillig einzubringen? 

Der Mitgliederboom ist großartig - unsere Vereine wachsen, die Nachfrage nach Angeboten ist hoch. Gleichzeitig verschärft genau das den Druck: Mehr Mitglieder brauchen mehr qualifizierte Übungsleiter*innen und Trainer*innen. Familie, Beruf und Freizeit lassen sich mit einem Ehrenamt oft nur schwer vereinbaren. Hinzu kommen gestiegene Erwartungen: Leitungsaufgaben im Verein sind komplexer geworden - mehr Bürokratie, rechtliche Vorgaben, digitale Anforderungen. Viele empfinden das fast wie einen Nebenjob. Das macht deutlich: Wir haben kein Motivationsproblem, sondern ein Strukturproblem. Menschen sind bereit, sich einzubringen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und die Aufgaben zu ihrer Lebenssituation passen.

In die Ehrenamtsförderung scheint Bewegung zu kommen, nicht zuletzt durch die Ernennung von Christiane Schenderlein zur Staatsministerin für Sport und Ehrenamt. Was ist aus deiner Sicht die wichtigste Entwicklung der vergangenen Monate?

Die neue Staatsministerin für Sport und Ehrenamt gibt unseren Themen eine Sichtbarkeit, die es so zuvor nicht gab. Sport und Ehrenamt sind jetzt im Kanzleramt verankert und nicht nur, ich überspitze das bewusst, ein Anhängsel von Familien- oder Innenpolitik. Wichtig ist auch der im Koalitionsvertrag angelegte „Zukunftspakt Ehrenamt“, in dem höhere Pauschalen, erweiterte Haftungsprivilegien und Vereinfachungen im Vereins- und Gemeinnützigkeitsrecht angelegt sind. Damit greift die Politik endlich unsere teils jahrelangen Forderungen auf. Entscheidend ist jetzt aber: Es darf nicht bei wohlklingenden Ankündigungen bleiben. Wir brauchen ein umfassendes Paket, aufbauend auf der erarbeiteten Ehrenamtsstrategie der vergangenen Legislatur, und eine Umsetzung, die spürbar bei den Verbänden und Vereinen ankommt und die Engagierten im Alltag unterstützt und wirklich entlastet.

Das geplante Steueränderungsgesetz 2025 setzt erste Maßnahmen aus dem „Zukunftspakt Ehrenamt“ um und bringt Verbesserungen für ehrenamtlich Tätige. Welche konkreten Effekte sind dadurch zu erwarten?

Das Gesetz setzt ein erstes starkes Signal für finanzielle Anerkennung durch die Anhebung der Übungsleiter- und Ehrenamtspauschale, durch Haftungsschutz, der das persönliche Risiko im Vorstand deutlich reduziert, und durch rechtliche Vereinfachungen im Zuwendungs- und Gemeinnützigkeitsrecht. Für Vorstände und gerade auch für unsere Trainer*innen und Übungsleiter*innen ist das bedeutsam. Sie sind die Bildungsengagierten im Sport – Menschen, die Woche für Woche Wissen vermitteln und Lernprozesse begleiten. Indem wir sie entlasten, steigern wir die Attraktivität des Ehrenamts insgesamt und sichern die Qualität der Angebote. Aber - und das ist entscheidend - es reicht nicht, wenn die Politik einzelne Stellschrauben bewegt. Viele Vereine fühlen sich von Politik und Verwaltung allein gelassen, gerade wenn es um die Bewältigung von Bürokratie geht. Deshalb muss das Steueränderungsgesetz Auftakt sein für eine umfassendere Reform, die über finanzielle Freibeträge hinausgeht und echte Entlastung schafft. Wir haben ein ganzes Bündel an Vorschlägen für weitere konkrete Maßnahmen zusammengestellt, die das Ehrenamt stärken.

Wie kann der DOSB in den kommenden Jahren sicherstellen, dass das Ehrenamt gestärkt, entlastet und für die Zukunft nachhaltig aufgestellt wird? 

Wir haben für den Zukunftspakt Ehrenamt eine klares Handlungsprogramm für einen spezifischen „Zukunftspakt Ehrenamt im Sport“ entwickelt. Wir wollen langfristiges Engagement fördern über gezielte Qualifizierung, Freiwilligendienste und Anerkennungskultur. Wir möchten die Rahmenbedingungen verbessern durch weniger Bürokratie, digitale Unterstützung und verlässliche Strukturförderung. Und wir wollen Teilhabe stärken, indem wir Frauen, Menschen mit Behinderung und Menschen mit Migrationsgeschichte gezielt einbinden. Der DOSB wird diese Handlungsfelder mit Projekten füllen und gemeinsam mit Politik, Stiftungen und unseren Mitgliedsorganisationen in die Umsetzung bringen. Wir verstehen Ehrenamt nicht als Nebenschauplatz, sondern als Herzstück der Sportentwicklung. Deshalb darf es nicht bei ersten Schritten bleiben. Wir planen konkret eine Ausbildungsreform für das DOSB-Lizenzsystem mit unseren ausbildenden Mitgliedsorganisationen. Denn wir brauchen flexiblere und zeitgemäße Aus- und Fortbildungen. Zudem müssen Förderprogramme, die wirkungsvoll sind, in nachhaltige Strukturen überführt werden, sonst bleiben sie Stückwerk. Unser Zukunftspakt Ehrenamt im Sport setzt genau hier an: Wir wollen langfristige Verlässlichkeit für die Engagierten schaffen.

  • Michaela Röhrbein

    Wer früh Verantwortung übernehmen und mitgestalten kann, engagiert sich häufiger und bleibt länger aktiv. Besonders gilt das auch für Menschen mit Migrationsgeschichte, die Kompetenzen und neue Impulse einbringen, aber noch zu selten gezielt einbezogen werden.

    Michaela Röhrbein
    Vorständin Sportentwicklung
    Deutscher Olympischer Sportbund

    Welche Maßnahmen sind damit konkret verbunden und in welchem Handlungsfeld sollten die Sportvereine besonders investieren?

    Das größte Investitionsfeld ist die Qualifizierung. Studien zeigen: Trainer*innen mit Ausbildung bleiben im Schnitt doppelt so lange aktiv - zwölf Jahre gegenüber sechs Jahren ohne Lizenz. Das gilt auch für Vorstände, wo Qualifizierung die Motivation, Zufriedenheit und Sicherheit im Handeln deutlich erhöht. Darum müssen wir stärker in Aus-, Fort- und Weiterbildung investieren. Gleichzeitig brauchen wir innovative Formate, die junge Menschen ansprechen - projektorientiert, zeitlich flexibel, mit Anerkennung im Bildungssystem verknüpft. Genauso wichtig ist es, echte Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen: Wer früh Verantwortung übernehmen und mitgestalten kann, engagiert sich häufiger und bleibt länger aktiv. Besonders gilt das auch für Menschen mit Migrationsgeschichte, die Kompetenzen und neue Impulse einbringen, aber noch zu selten gezielt einbezogen werden. Wer hier investiert, gewinnt nicht nur Ehrenamtliche, sondern auch Qualität, Vielfalt und Stabilität für den Verein.

    Wie ordnest du das aktuelle Verhältnis von Politik und Vereinen, die von ehrenamtlicher Tätigkeit abhängig sind, ein?

    Es gibt gute Signale, aber noch keine kohärente Gesamtpolitik. Die Ernennung einer Staatsministerin, höhere Pauschalen und erste rechtliche Erleichterungen sind Schritte in die richtige Richtung. Gleichzeitig zeigen die Daten: 8,9 Prozent der Vereine sehen die mangelnde Unterstützung durch Politik und Verwaltung als existenzielle Bedrohung; 7,8 Prozent nennen die Anzahl an Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften - und 17,5 Prozent die Gewinnung und Bindung von ehrenamtlichen Funktionsträger*innen. Diese Belastungen sind real und wirken im Alltag, nicht nur in politischen Reden. Ehrenamt wird politisch gern ins Schaufenster gestellt, aber wenn es um konkrete Entlastung geht, fühlen sich viele Vereine allein gelassen. Das bestätigt der Sportentwicklungsbericht ausdrücklich. Deshalb braucht es mehr als Ankündigungen im Steueränderungsgesetz 2025: einen wahrhaftigen Pakt über die Bund-Länder- und kommunale Ebene hinweg mit nachhaltiger Strukturförderung, die bei den Engagierten ankommt. Weniger Bürokratie und mehr Rechtssicherheit, gezielte Qualifizierung, Servicestellen für „Kümmerer“ in der Personalgewinnung sowie Vielfalt und Teilhabe als Querschnittsaufgabe.

    Welche Forderungen, die der DOSB an die Politik hat, sind bislang noch gar nicht beachtet worden?

    Erstens: Kontinuierliche Strukturförderung statt punktueller Projekte. Engagement braucht Verlässlichkeit, und zwar nicht nur auf Vereinsebene, sondern auch in den darüberliegenden Strukturen. Spitzenverbände und Landesfachverbände entwickeln zum Beispiel Ausbildungsformate und unterstützen Vereine systematisch. Diese Leistungen werden politisch oft übersehen. Zweitens: Gezielte Förderung von Trainerentwickler*innen in den Fachverbänden. Diese Schlüsselpersonen verantworten die DOSB-Lizenzausbildung, sichern Qualität und bilden die Basis, damit Ehrenamt tragfähig bleibt. Ohne sie verlieren wir Kompetenz und Kontinuität. Drittens: Servicestellen für Kümmerer. Sie können als Lotsen wirken, Ehrenamtliche ansprechen, begleiten und dafür sorgen, dass Engagement nicht an Hürden scheitert. Darüber hinaus braucht es Bürokratieabbau und Rechtssicherheit, gezielte Förderung von Vielfalt und Teilhabe, den Ausbau und die Absicherung von Freiwilligendiensten sowie digitale Anerkennungssysteme wie eine bundesweite Ehrenamtskarte oder ePortfolios. Erst wenn diese Maßnahmen ressort- und ebenenübergreifend zusammengedacht werden, entsteht ein Rahmen, in dem Ehrenamt nachhaltig gestärkt werden kann.

    Wie bewertest du die Geschlossenheit, das gemeinschaftliche Vorgehen all jener Institutionen, die von besserer Förderung des Ehrenamts profitieren würden?

    Es gibt starke Netzwerke, etwa das Bündnis für Gemeinnützigkeit, in dem ich auch Sprecherin bin. Das BfG vereint die zehn großen zivilgesellschaftlichen Institutionen und gibt dem Ehrenamt eine gemeinsame Stimme gegenüber der Politik. Gemeinsam setzen wir uns für bessere Rahmenbedingungen, für Bürokratieabbau und für die Anerkennung bürgerschaftlichen Engagements ein. Dazu haben wir erst kürzlich ein übergreifendes Maßnahmenpaket abgestimmt und treffen uns zur Besprechung dieses zum parlamentarischen Frühstück mit Bundestagsabgeordneten Anfang Oktober. Ein weiteres wichtiges Netzwerk ist das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, das die Interessen der Zivilgesellschaft bündelt und den Dialog mit Politik und Verwaltung sucht. Auch innerhalb des Sports sind wir gut vernetzt. Aber: Die Landschaft ist vielfältig, unterschiedliche Interessen und auch verschiedene Bedarfe machen es manchmal schwer, immer geschlossen aufzutreten. Für die Politik wäre mehr Einheitlichkeit hilfreich. Umso wichtiger ist es, dass wir über den Sport hinaus stark vernetzt agieren und insbesondere im Sport eine klare Stimme entwickeln - im Sinne des Gemeinwohls.

    Am 23. Mai 2026 soll erstmals ein bundesweiter Ehrentag stattfinden. Was spricht für dieses Konzept - gerade mit Blick auf die wichtige Rolle des Ehrenamts im Sport - und wo müsste noch nachgebessert werden?

    Der Ehrentag ist eine Chance. Wir können sichtbar machen, wie unverzichtbar das Ehrenamt für Sport und Gesellschaft ist. Vereine können diesen Tag nutzen - mit Turnieren, Tagen der offenen Tür oder gemeinsamen Aktionen -, um Dank auszusprechen und neue Freiwillige zu gewinnen. Nachgebessert werden muss noch bei den Strukturen. Anerkennung allein reicht nicht. Der Tag sollte mit Förderprogrammen, Beratung und praktischen Hilfen verknüpft werden, damit der Mehrwert für die Vereine vor Ort spürbar wird.

    Es gibt die Idee, ein verpflichtendes soziales Jahr für Rentner*innen einzuführen, um die, die es gesundheitlich können, zu ehrenamtlicher Tätigkeit zu animieren. Wie stehst du dazu?

    Die Idee, ältere Menschen gezielt anzusprechen, ist richtig, denn sie sind eine wichtige Zielgruppe für den Sport. Aber Zwang passt nicht zum Wesen des Ehrenamts. Engagement lebt von intrinsischer Motivation. Besser wäre, attraktive freiwillige Programme mit Anreizen zu schaffen. So können wir das Potenzial der Boomer-Generation heben, ohne das Prinzip des freiwilligen Engagements zu beschädigen.

    Was würdest du dir wünschen, wo wir in fünf Jahren stehen beim Thema Ehrenamt und Engagement im Sport?

    Mein Wunsch ist, dass wir in fünf Jahren sagen können: Kein Verein muss mehr um seine Existenz fürchten, weil Ehrenamt fehlt! Ehrenamt ist sichtbar leichter geworden - durch weniger Bürokratie, mehr digitale Unterstützung, moderne Qualifizierung und eine gelebte Anerkennungskultur. Und ich wünsche mir, dass Sportvereine noch stärker als inklusive Lern- und Erlebnisräume wahrgenommen werden. Als Orte, an denen Engagement Wertschätzung erfährt, persönliche Entwicklung möglich ist und Demokratie und Gemeinwohl konkret erlebbar wird.

    Michaela, wir danken dir für diese Einblicke.

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