25 Jahre deutsche Einheit – gänzlich unsportlich ?!?

Der Einigungsbericht der Bundesregierung zum 25-jährigen Jubiläum des Einigungsprozesses spart den Sport aus; völlig unverständlich für Autor Prof. Hans-Jürgen Schulke.

Die 100 Meter-Staffeln der Bundesrepublik und der DDR bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal. Foto: picture-alliance
Die 100 Meter-Staffeln der Bundesrepublik und der DDR bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal. Foto: picture-alliance

Die Bundesregierung hat in diesen Tagen eine 136-seitige farbige Bestandsaufnahme zum 25-jährigen Jubiläum des Einigungsprozesses in Deutschland vorgelegt: „Freiheit und Einheit“. Mit einem Vorwort der Bundeskanzlerin und einer rund 20-seitigen bebilderten Vorgeschichte wird dem Ereignis angemessen Raum und Bedeutung gewährt. Die Einheit des Volkes wird betont, Solidarität der Bürger nominiert und das bürgerschaftliche Engagement beim Strukturwandel gelobt. In dieser Allgemeinheit müssen nicht zwingend Einzelfelder aufgerufen werden. Auch nicht der Sport.

Das erfolgt wohlgeordnet und wortreich in zwölf Kapiteln, die Gesundheitsvorsorge, Stadtentwicklung, Wissenschaft, Umweltsanierung oder auch Aufbau Ost beinhalten. Der sportgeneigte Leser entdeckt kein Kapitel zum Thema Sport. Auch innerhalb der Abschnitte bleibt die sportliche Suche selbst in Spurenelementen ergebnislos, kein Wort zum Sport. Hat die größte Bürgerbewegung in Deutschland, immerhin 28 Millionen Mitgliedschaften in 91.000 Vereinen, nichts mit der „Freiheit und Einheit“ in den letzten 25 Jahren zu tun gehabt, hat der Sport diese Entwicklung verschlafen, wird heimlich immer noch in BRD- und DDR-Medaillen gerechnet?

Einspruch, denn Instandsetzung maroder Sportstätten, Wiedergutmachung an Dopinopfern, Forschungsarbeiten zum DDR-Sport waren oft genug Gegenstand öffentlicher Diskussion und hätten Prominenz in verschiedenen Kapiteln verdient.

Eingeräumt: Die Sportorganisationen in Ost und West standen bei den Leipziger Montagsdemonstrationen oder der Berliner Großkundgebung nicht an der Spitze der Bewegung, intonierten nicht als erste „Wir sind ein Volk“. Der Spitzensport in der DDR besaß Weltniveau und war privilegiert, die sportliche Versorgung der Bevölkerung über Betriebssportgemeinschaften einigermaßen abgesichert, die Organisation fest in Händen des Staates und der Parteikader. Das allerdings gibt keinen Grund, den Beitrag des Sports im schwierigen Prozess des Zusammengehens zweier Staaten und des Zusammenlebens von 80 Millionen Menschen zu ignorieren. Der Beitrag des Sports in den letzten 25 Jahren ist erheblich, wenngleich nicht immer spektakulär.

Historisch hat insbesondere der Spitzensport immer im Fokus der Ost-West-Politik gestanden: Gesamtdeutsche Olympiamannschaft, eng begrenzter „Sportkalender“, „Diplomaten in Uniform“, ein eigenständiges NOK der DDR sind der jüngeren Generation kaum noch bekannt. Es war mehr Abgrenzung, mühsames Versuchen von Normalität, provozierend die Olympiaboykotte von 1980 und 1984. Es war dennoch eine Zeit der distanzierten und vorsichtigen Kontakte, nicht zuletzt auch Vereinsbegegnungen auf unterer Ebene. Kleine Kristalle im damaligen „Wandel durch Annäherung“.

Als die Mauer geöffnet wurde und die DDR in der Bundesrepublik aufging, waren die Sportorganisationen unter den ersten, die  das Zusammenwachsen im Alltag beschleunigten. Die Voraus-setzungen waren nicht einfach, denn der erfolgreiche Spitzensport war weitgehend autonom, während der Breiten- und Freizeitsport durch hauptamtliche Kräfte im Betriebssport organisiert wurde. Es ist das Verdienst insbesondere des damaligen DSB-Präsidenten Hans Hansen und ihm folgend der Fachverbände, eine Kooperation auf Augenhöhe aufgebaut zu haben. Sie ver-folgte nicht zuerst Altlasten und offene Rechnungen, sondern umfassende sportliche Versorgung der gesamten Bevölkerung in Selbstorganisation.

Kein einfacher Weg, denn freie Vereine mussten die Aufgaben der Betriebssportgemeinschaften übernehmen, ohne deren finanzielle Basis zu haben, Landessportbünde waren erst noch zu gründen, ein vielfältiger Breiten- und Gesundheitssport Praxis werden, der Sportartenkanon mit der Struktur der Fachverbände abzugleichen, einladende Sportstätten zu schaffen und dabei Besitzverhältnisse zu klären, die Sportwissenschaften zu erhalten, Ausbildungsstätten mit neuen Curricula zu gründen, Trainingszentren zu transformieren, hochwertige internationale Wettkämpfe in den ostdeutschen Städten zu organisieren.

Nicht alles ist sofort gelungen, bis heute gibt es noch Unwuchten. Im Profisport wird das bei ostdeutschen Vereinen am sichtbarsten. In der Gesamtheit aber ist die Einheit des deutschen Sports in Freiheit beeindruckend gelungen:

Die Strukturen sind angeglichen und funktionieren, die Zahl der in den östlichen Sportvereinen aktiven Mitglieder hat sich enorm erhöht, eine Vielzahl von Sportstätten wurde neu errichtet oder renoviert, wichtige Zentren zur Trainingssteuerung oder Sportgeräteentwicklung wurden in Berlin und Leipzig gegründet, die überall eingerichteten Eliteschulen des Sports basieren auf Erfahrun-gen aus der DDR-Zeit. Selbstverständlich findet der nächste DOSB-Bundestag in Dresden statt.

Es wäre angemessen gewesen, wenn der Einigungsbericht der Bundesregierung das Engagement vieler Menschen für den Sport in einem Kapitel gewürdigt hätte.

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier als DOSB-Blog veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


  • Die 100 Meter-Staffeln der Bundesrepublik und der DDR bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal. Foto: picture-alliance
    Die 100 Meter-Staffeln der Bundesrepublik und der DDR bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal. Foto: picture-alliance