Ein Beitrag von Holger Obermann
Das haben auch schon seit dem Jahr 2003 die DOSB-Experten des deutschen Fussballprojektes erfahren, die mit ihrer vielschichtigen Massnahme im Land am Hindukusch den Fussball nach dreißig Jahren russischer Invasion, dem Bürgerkrieg und der Taliban-Herrschaft zurückbrachten.
Der Deutsche Olympische Sport-Bund (DOSB) hat seit dieser Zeit in enger Verbindung mit dem Deutschen Fussball-Bund (DFB) und finanziert vom Auswärtigen Amt, so gut wie alles abgedeckt, was den Fussball wieder zum Leben erweckt: den Schul- und Strassenfussball mit tausenden Kindern und Jugendlichen, den Mädchenfussball, die Provinzmeisterschaften, den Aufbau des Verbandes mit dem Neuaufbau der Nationalmannschaften und so vieles mehr. In enger Zusammenarbeit mit dem Projekt der „AfghanistanHilfe“ wurden Schulen errichtet, in denen – siehe oben – auch die Mädchen Fussball spielen und die vor zwei Jahren eine der weltbesten Fussballspielerinnen, Birgit Prinz aus Frankfurt, als ihren Ehrengast in Kabul begrüssen konnten.
Nun hält die Fussball-Europameisterschaft Einzug in das nach wie vor gefährliche Leben in den Städten und Dörfern. Da es noch immer an TV-Geräten mangelt, haben sich ganze Familien- und Freundesgruppen zusammengetan und hocken nach Mitternacht afghanischer Zeit in den engen Stuben zusammen, um teilzuhaben an den Spielen aus der Schweiz und Österreich. Selbst wenn die Begegnungen erst so spät beginnen: Ali Askar Lali gibt im spartanisch eingerichteten Studio fachmännisch seine Kommentare ab. Als ehemaliger afghanischer Nationalspieler, der inzwischen einen deutschen Pass hat und dessen Familie in Paderborn lebt, versteht er eine Menge von der Materie Fussball, und sein Urteil hat Gewicht. „Deutschland ist eine Turniermannschaft, die sich immer wieder gesteigert hat und das Endspiel erreichen wird !“ prophezeite er. In den von Zigaretten- und Zigarrenqualm verräucherten Zimmern herrscht bei allen Spielen Hochstimmung. Deutschland war von Anfang an, trotz zwischenzeitlicher Krise, der absolute Favorit der afghanischen Fussballfans, erst recht, nachdem sie nach dem überzeugenden Sieg über den Mitfavoriten Portugal ins Halbfinale vorgestossen sind. Nicht nur die Soldaten der deutschen Bundeswehr wissen um die Sympathie der Afghanen für ihr Heimatland, eine Sympathie, die auf jahrzehntelanger kultureller Beziehung zwischen beiden Ländern beruht. Und schliesslich: Deutschland hat den Fussball nach Afghanistan zurück gebracht.
Auch die Spieler der einheimischen Nationalmannschaft, die kürzlich von den Spielen um den Südasien-Cup aus Sri Lanka zurückkehrten, wo sie gegen die Gastgebeber und Bangladesch jeweils 2:2 spielten, sparten nicht mit Lob über die Leistung der Ballack-Mannschaft gegen Portugal. Drei von Ihnen, Ibrahim Jebani, Hafizullah Quadami und Islam Amiri sind vor allem von Michael Ballack begeistert, der auch im weiteren Verlauf der EM ihrer Meinung nach nicht zu stoppen sein und die deutsche Elf mitreissen wird. Ein weiterer Spieler wurde immer wieder lobend hervorgehoben: Bastian Schweinsteiger „Er muss aber schon sehr alt sein !“ meinte ein älterer Fussballfan vor seinem Zeitschriftengeschäft „der hat ja schon ganz graue Haare !“ argumentierte er.
Sollte die deutsche Mannschaft Europameister werden, wird davon in Kabul und Umgebung nicht viel zu hören und zu sehen sein. In Kabul wird dann nämlich bereits der frühe Morgen angebrochen sein und ausser ein paar Streifenwagen wird die Stadt ruhig und menschenleer sein. Von den Sicherheitsbehörden wurden übrigens Anweisungen ausgegeben, die Häuser nicht zu verlassen und auch die Deutsche Botschaft mahnte seine Bürger, nicht überschwenglich zu feiern, falls Deutschland gewinnt.
Realistisch sieht der Präsident des Afghanischen Fussball-Verbandes, Karum Keramuddi die Europameisterschaft im fernen Europa. „In diesen Tagen, da immer wieder neue Anschläge an der Tagesordnung sind, und durch den Ausbruch von 400 Taliban-Häftlingen aus dem Gefängnis in Kandarhar eine grosse Gefahr ausgehen wird, lenkt der Fussball unserer Menschen in diesen Tagen von den vielen Sorgen ab, denn: „Bälle sind uns lieber als Bomben !“