Natürlich ist das immer die erste Frage: Warum sind die deutschen Kanuten so erfolgreich? Reiner Kießler lacht. Der Chefbundestrainer der deutschen Renn-Kanuten muss, oder sagen wir besser darf diese Frage seit vielen Jahren beantworten. „Es ist kein Selbstläufer“, sagt er sofort, „es steckt harte Arbeit dahinter, zähe Beharrlichkeit. Wir haben gute trainingsmethodische Konzepte, aber die nützen alle nichts, wenn sie nicht konsequent umgesetzt werden. Das ist das, was es ausmacht.“
Reiner Kießler weiß, wovon er spricht. Er hat seit elf Jahren diese verantwortliche Position im Deutschen Kanu-Verband (DKV) inne, davor hat er seit der Wende als Bundesdiagnosetrainer gewirkt, sein Schwerpunkt war auch schon früher, seit dem Studium in Leipzig vor mehr als 40 Jahren, die Leistungsdiagnostik. Jetzt wurde er, nicht zuletzt wegen der großen Erfolge seiner Mannschaft in Rio, aber auch für sein Lebenswerk vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) als Trainer des Jahres 2016 ausgezeichnet. Es war der perfekte Abschluss einer beeindruckenden Karriere, die jetzt zu Ende geht: Anfang 2017 geht Reiner Kießler in Rente.
Breite Basis ist ihm wichtig
Und ja, auch wenn man das kaum glauben mag: Reiner Kießler kennt auch die Situation, wenn es mal nicht so läuft. Nach London 2012 sollte das deutsche Team eine Art Zwischensaison einlegen, wie es die meisten Nationen nach den Spielen machen – ab und zu Luftholen und auf andere Dinge wie Ausbildung konzentrieren, ist auf diesem hohen sportlichen Niveau einfach angesagt. Doch 2013 stand die WM in Duisburg an, und „eine WM im eigenen Land kannst Du nicht so nebenbei mitnehmen“, so Kießler. Also verschob man das „Zwischenjahr“ auf 2014 und ging ziemlich baden damit, weil alle anderen natürlich schon wieder auf vollen Touren liefen. Aber es wären nicht die Kanuten, wenn sie nicht in kürzester Zeit wieder die Wende geschafft hätten: 2016 in Rio waren sie mit sieben Medaillen, davon vier goldene, so erfolgreich wie seit 2004 nicht mehr.
„Da musste ich mir was einfallen lassen“, sagte Kießler. Für die Spiele von 2016 hat er sich deshalb auf die besten Athletinnen und Athleten konzentriert, auch wenn ihm generell eine breite Basis wichtig ist. Aber dieses Mal fuhren nur 13 Athletinnen und Athleten nach Rio mit, viele hatten mehrere Einsätze. Elf kamen mit Medaillen zurück, eine eindrucksvolle Bilanz.
Auch Max Hoff gewann eine Medaille. An dessen Beispiel kann man ein wenig das Wirken von Reiner Kießler und die Stimmung in der Mannschaft ablesen. Hoff hatte im Einer-Kajak Pech, hatte durch störende Blätter auf dem Wasser die so sehr ersehnte Medaille verpasst und war am Boden zerstört. „Da blutet einem das Herz“, sagt Kießler, denn Hoff war ein klarer Medaillenkandidat. Kießler weiß, was nach so einem Erlebnis angesagt ist: „In den Arm nehmen und aufbauen, mehr kann man gar nicht tun.“ Natürlich hat er das getan, aber er, der Teamplayer, weist gleich darauf hin, dass es mindestens genauso sehr die Athleten aus dem Vierer waren, die Max Hoff nach dem Einer-Rennen den Rücken gestärkt haben. Und zwar so sehr, dass er alle Zweifel überwand und mit dem Vierer dann doch noch seine Goldmedaille gewann.
Berufswunsch: Trainer oder Sportlehrer
Reiner Kießler ist kein Mensch, der sich in den Vordergrund spielt. Wenn er erzählt, kommt er immer wieder auf „seine“ Sportlerinnen und Sportler zurück. Auch bei der Frage, warum er seinen Beruf als Trainer bei all den Wagnissen, dem großen Aufwand, den familienfeindlichen Arbeitszeiten dennoch als Traumjob bezeichnet. „Ich arbeite mit jungen Leuten zusammen, die begeisterungsfähig sind. Sie wollen das ja alles von sich aus, so zu arbeiten ist ein Privileg“, schwärmt er, der seit seiner Jugend Trainer oder Sportlehrer werden wollte. „Es macht einen Riesenspaß, wenn man merkt, sie kommen zu mir und ich bin ihre Bezugsperson.“
Der Berufswunsch war also klar, nur das mit der Spezialisierung in Richtung Kanu ergab sich erst später. Er hat in seiner Jugend ein bisschen Fußball gespielt und Leichtathletik gemacht, aber als er vor mehr als 40 Jahren in Leipzig zu studieren begann, hat man bei diesen beiden Sportarten gleich abgewinkt, brauchen wir nicht, genügend Trainer vorhanden. Bedarf gebe es hingegen beim Boxen, Fechten oder eben Kanu.
Kanu ist es dann geworden, kein Wunder, liegt doch der Heimatort Nünchritz-Roda direkt an der Elbe. Und obwohl die hie und da erzählte Geschichte wahr ist, dass er beim ersten Paddel-Versuch gleich mal im Wasser landete, ist Reiner Kießler heute einer der gefragtesten Experten in seinem Sport. Kaum vorstellbar, dass er nächstes Jahr tatsächlich nicht mehr dabei sein wird, weil auch sein Blick zurück, auf mehr als 40 Jahre Trainer-Dasein, ausschließlich positiv ausfällt.
Stets dringt der große Respekt vor seinen Athletinnen und Athleten durch. Dass sie sich mit ihren Ideen einbringen, findet er angenehm und zielführend. „Das sind ja alles starke Persönlichkeiten, mit denen ich zusammenarbeite. Es bringt doch gar nichts, wenn man etwas verordnet, und der Athlet anderer Meinung ist.“ Es gehöre sehr viel dazu, wenn man erfolgreich sein wolle. „Man muss seinen Sport lieben, man muss die Natur lieben. Man muss bei jedem Wetter ins Boot und sein Programm durchziehen, und das ist im nassen Element nicht immer nur angenehm. Das meine ich mit konsequentem Umsetzen.“ Dann klappt es auch mit dem nachhaltigen Erfolg.
(Quelle: DOSB)