Beim Mega-Thema Inklusion im Sport ist der Prozess entscheidend. „Inklusion ist ein Prozess und nichts, wo man einen Haken dahinter setzt und sagt: wir haben es erledigt“, betonte Prof. Tim Bindel vom Institut für Sportwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz beim Netzwerktreffen „Inklusion im Sport“, zu dem die Steuerungsgruppe Inklusion des Landessportbundes Rheinland-Pfalz (LSB) eingeladen hatte. Bei der virtuellen Veranstaltung waren am Montagnachmittag 50 Teilnehmer*innen mit von der Partie.
Anspruch und Wirklichkeit
Die Mainzer Uni hatte das Sport-Inklusionslots*innen-Projekt in Person von Doktorandin Laura Trautmann von der Abteilung Sportpädagogik des Sportwissenschaftlichen Instituts wissenschaftlich begleitet, differenzialanalytisch untersucht und bewertet. Laut Bindel sind die Ansprüche an das Projekt sehr hoch. „Wir glauben, dass die Lots*innen nur dann gut arbeiten können, wenn völlig klar ist, wie das System funktioniert.“ Ziel der Evaluation war es herauszufinden, inwieweit Anspruch und Wirklichkeit übereinstimmen. Oder ob Differenzen bestehen. „Das Projekt muss noch mehr von Menschen mit Behinderungen wahrgenommen werden“, forderte Trautmann, die das Projekt in ihrer früheren Funktion als LSB-Referentin für Inklusion mitinitiiert hatte. „Der Start dieser inklusiven Arbeit ist unglaublich schwierig und herausfordernd, haben die Vereine gesagt.“ Die anleitenden Personen fühlten sich häufig nicht ausreichend qualifiziert. Den Vereinen fehlten oft die Verbindungen zu Menschen mit Behinderung und zu inklusiven Netzwerken. „Es gibt Vereine, die die ohne die Lots*innen gar nicht zum Thema Inklusion gekommen wären“, so die Wissenschaftliche Mitarbeiterin.
Nähe ist Stärke
Fazit der Evaluierung: Die Nähe der Lots*innen zu den regionalen Strukturen ist die zentrale Stärke des Projekts. Die Unterstützung von Sportvereinen und Menschen mit Behinderung funktioniert wirklich gut. Die Lots*innen stehen den Vereinen beratend zur Seite, entlasten diese vor allem mit Blick auf den Start der inklusiven Arbeit sowie beim Aufbau von Netzwerken. Nichtsdestotrotz gebe es noch Ansprüche, die angepasst werden müssten. Was die Herausforderung gesamtgesellschaftlicher Inklusion anbelangt, müsse man „etwas kleinschrittiger denken“. Die gesamtgesellschaftliche Sensibilisierung könne nicht von Lots*innen alleine geleistet werden. Bedeutsam sei eine klare Rollenverteilung bei den Netzwerken. Verantwortlichkeiten müssten besser abgestimmt werden. Lots*innen benötigten ein funktionierendes „Verkehrssystem“, auf das sie aufbauen könnten – sie sollten keine Rahmenbedingungen schaffen müssen.
Inklusion als Querschnittsaufgabe
Daraus ableiten lasse sich, dass Inklusion als Prozess verstanden werden müsse. Veränderungsbereitschaft sei auf allen Ebenen notwendig. Es müssten noch Kümmer*innen her, die Veränderungsprozesse weiter gezielt anstoßen. „Außerdem müssen wir Sport viel vielschichtiger verstehen“, so Trautmann. „Entscheidend ist, dies auch in die Aus- und Fortbildungen zu tragen. Nicht alle suchen Leistung und Wettkampf.“ Der inklusive Ansatz sei ein Vorteil für Menschen, die sonst nicht in das Raster des Sportvereins passen. In den Augen der Expertin muss Inklusion zur Querschnittsaufgabe werden – Lots*innen könnten den Prozess nicht alleine leisten, sondern als regionale Partner*innen agieren und Veränderungsprozesse vor Ort anregen und umsetzen. In den Augen von Sportpädagogik-Professor Bindel ist das Sport-Inklusionslots*innenprojekt „ein Projekt, das wirklich greift im Sinne, dass dort etwas passiert, wo etwas passieren muss“.
Ute Blessing, beim DOSB für das Thema Inklusion zuständig, zollte dem LSB RLP „ein großes Lob – er macht das sehr systematisch und vorbildhaft“. Gleichwohl gebe es aber in verschiedenen Bundesländern schon sehr gute Projekte. Der organisierte Sport entwickele sich in dieser Richtung immer weiter und versuche, Schwerpunkte zu setzen. Es sei nicht immer leicht, Inklusion umzusetzen – aber bereichernd. Das konnte Dominic Holschbach vom Behinderten- und Rehabilitationssportverband RLP nur unterstreichen. „Inklusion ist für uns eine absolute Bereicherung, die Lots*innen bilden eine tolle Schnittstelle zu den Vereinen“, so Holschbach. „Wir brauchen diese Sportverrückten, die mutig vorangehen mit verrückten Ideen – und die sind bei den Lots*innen vorhanden.“ Davon profitiere man in der Steuerungsgruppe. Verbesserungspotenzial, unterstrich BSV RLP-Geschäftsführer Olaf Röttig, gebe es selbstverständlich immer.
Einig war sich das Plenum, dass alle Lots*innen „unheimlich viel Herzblut und Engagement reinstecken – aber ihnen muss Rückenwind gegeben werden“. Das Projekt befinde sich auf einem guten Weg, die Basis sei stabil. Michael Bergweiler, Geschäftsführer von Special Olympics RLP, bezeichnete das Projekt gar als „absoluten Gewinn für alle Beteiligten“. Strukturbedingt komme man immer wieder an Grenzen, gab Kathleen Dollmann, Inklusionslots*in aus Rheinhessen, zu bedenken: „Es ist wichtig, dass dieser Inklusionsprozess weiter in Bewegung bleibt.“
Strukturen erhalten
Silvia Maria Wenzel von der Koordinierungsstelle Inklusion des LSB hofft, dass das Projekt auch ab 1. Januar 2023 weiterfinanziert werden kann – und die mühsam aufgebauten Strukturen mithin weiter genutzt werden können. Das würde sich gewiss auch Matthias Rösch, Landesbeauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderung, wünschen. Rösch bezeichnete die Sport-Inklusionslots*innen als „enorm wichtig“ bei der Förderung von Menschen mit Beeinträchtigungen. „Enorm wichtig“ sei es auch, dass beim LSB eine Netzwerkstelle angedockt sei, in der Erfahrungen ausgetauscht werden könnten. „Das ist ein Erfolgsmodell, das man auch auf andere Bereiche übertragen könnte. Aber ich glaube, wir haben da noch eine ganze Menge zu tun und noch viele Vereine und Menschen mit Behinderung, die Unterstützung brauchen.“ Deswegen sei es „wichtig, dass wir hier langfristig arbeiten“.
Flächendeckende Umsetzung von Inklusion bleibt Ziel
Claudia Altwasser, LSB-Vizepräsidentin Gesellschaftspolitik, zeigte sich „erfreut darüber, dass es uns mit der Installierung des Pilotprojektes gelungen ist, die Voraussetzungen für eine inklusive Sportlandschaft in Rheinland-Pfalz zu schaffen“. Gerade durch die räumliche Nähe der Lots*innen und die Unterstützungsangebote vor Ort würden Menschen mit Behinderungen nicht nur auf einfache Weise erreicht – ihnen könne vor allem schnell und unkompliziert geholfen werden. Gleiches gelte für Sportvereine, denen die Lots*innen beratend zur Seite stehen und sie dabei unterstützen, inklusive Prozesse voranzutreiben. „Trotz der positiven Ergebnisse muss aber auch erwähnt werden, dass durch das Sport-Inklusionslotsenprojekt in den vergangenen zwei Jahren lediglich ein Prozess angestoßen werden konnte“, so Altwasser. „Auch wenn es mancherorts gute Beispiele für gelebte Inklusion gibt, kann von einer flächendeckenden Umsetzung von Inklusion im rheinland-pfälzischen Sport noch lange nicht die Rede sein. Insofern bedarf es weiterhin Unterstützung durch die Sport-Inklusionslots*innen. Nur wenn sie auch in den kommenden Jahren Veränderungsprozesse anstoßen können, wird es gelingen, Inklusion in unserer Vereins- und Verbandslandschaft umzusetzen.“ Dies setze allerdings die nötigen Rahmenbedingungen voraus. Altwasser rief deshalb „die Politik dazu auf, die Weiterfinanzierung des Sport-Inklusionslotsenprojektes über das Jahr 2022 hinaus sicherzustellen und dafür den anstehenden Gesprächen offen gegenüber zu stehen – und gemeinsam mit dem LSB und den Verbänden der Steuerungsgruppe nach einer Lösung mit langfristiger Planungssicherheit zu suchen“.
Fest steht, dass ab Januar 2022 für die Regionen Nordpfalz, Rheinhessen und Koblenz/Westerwald neue Lots*innen gesucht werden.
Broschüre zur wissenschaftlichen Studie
Quelle: Michael Heinze, LSB Rheinland-Pfalz