Trainer: Geht nicht gibt's nicht

Ulla Koch ist seit mehr als zehn Jahren Cheftrainerin Frauen des Deutschen Turner-Bundes (DTB), und wer sie nur ein bisschen kennt, der ahnt, dass sie meistens durchsetzt, was sie für wichtig und richtig hält.

DOSB-Präsident Alfons Hörmann, Nachwuchstrainerin Ghazal Seilsepour, Preisträgerin Ulla Koch und DOSB-Vizepräsidentin Petra Tzschoppe. Foto: DOSB/bewahrediezeit.de
DOSB-Präsident Alfons Hörmann, Nachwuchstrainerin Ghazal Seilsepour, Preisträgerin Ulla Koch und DOSB-Vizepräsidentin Petra Tzschoppe. Foto: DOSB/bewahrediezeit.de

Vor nicht allzu langer Zeit hat sie zum Beispiel nach einigen Kämpfen durchgesetzt, dass die heute 20 Jahre alte Ghazal Seilsepour für ein kostenloses Trainerausbildungsprogramm des DTB für Kaderturner/innen zugelassen wurde, obwohl die formelle Voraussetzung fehlte – Seilsepour war nie Kaderturnerin. „Ghazal brennt für diesen Beruf. Ich habe selten einen jungen Menschen getroffen, der etwas so sehr will und dann so bewusst seine Zukunft steuert“, sagt Koch. „Da muss man halt bei der Anforderung auch mal ein Auge zudrücken.“ Ghazal Seilsepour, die mit ihren Eltern als Kind aus dem Iran geflüchtet und jahrelang im Flüchtlingswohnheim untergebracht war, hat über den Sport ins Leben zurückgefunden und arbeitet mittlerweile am Olympiastützpunkt Stuttgart als Nachwuchstrainerin.

"Wertschätzung der Heimtrainer"

Als Cheftrainerin ist Ulla Koch zwar in erster Linie für die besten deutschen Turnerinnen verantwortlich, aber darüber hinaus hatte und hat sie immer auch die Trainerinnen und Trainer im Blick. Sie hilft aktiv mit, dass junge Trainerinnen und Trainer nachkommen, siehe zum Beispiel Ghazal Seilsepour. Junge, gut ausgebildete Trainer/innen sind nun einmal ein entscheidender Faktor für die Zukunft des Sports. Sie achtet aber genauso auf eine gute Zusammenarbeit mit den Heimtrainerinnen und -trainern, denn, so Koch: „Die Heimtrainer sind noch näher an den Aktiven dran, sie müssen spüren, wie wertvoll sie sind. Wir binden die Stärke jedes Einzelnen ein. Das ist keine Einmischung – wir sind ein Team, wir ergänzen uns, denn nur gemeinsam haben wir Erfolg.“

Ulla Koch lebt diese Haltung. Um sie zu untermauern, hat der DTB nach den Olympischen Spielenin Peking 2008 gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp)ein Projekt „Wertschätzung der Heimtrainer“ auf den Weg gebracht. Und aktuell sei manzusammengerückt, als die Turnerinnen zunächst die Mannschaftsqualifi-kation für die Olympischen Spiele in Rio nicht geschafft hatten, habe noch Sportpsychologen dazugenommen und gemeinsam die Lösung erarbeitet, wie man das Ziel doch noch erreichen kann. Das Resultat ist bekannt: Die Turnerinnen haben sich nicht nur qualifiziert, sondern in Rio mit dem sechsten Platz ein überragendes und viel gefeiertes Ergebnis erzielt.

Der Erfolg, den Sophie Scheder und Elisabeth Seitz mit den Plätzen drei und vier am Stufenbarren noch komplettierten, ist auch darauf zurückzuführen, dass die Turnerinnen mittlerweile länger im Leistungssport bleiben und dadurch auch etwas älter sind. An dieser Entwicklung hat Ulla Koch einen Löwenanteil. Sie sorgt für Freiräume, zum Beispiel in der Abiturvorbereitung oder auch im Studium. Sie hat es zum Beispiel Kim Bui ermöglicht, aus Studiengründen einige Monate nicht an zentralen Lehrgängen teilzunehmen. „Uns ist die duale Karriere sehr wichtig“, sagt Koch, „den Turnerinnen natürlich auch, und dabei haben sie ein absolutes Mitspracherecht. So haben wir es geschafft, dass sie länger im Wettkampfsport bleiben.“ Das war nicht immer so. Ulla Koch räumt ein, dass es für die Trainerinnen und Trainer kein leichter Prozess war. „Wir mussten umdenken und erst mal einsehen, dass das keine kleinen Kinder mehr sind.“

Auszeichnung mit dem DOSB-Gleichstellungspreis

Längst funktioniert die neue Zusammenarbeit. Im Team werden die Regeln und Grenzen abgestimmt, und das Trainerteam hat Vertrauen in die Sportlerinnen, wenn sie sich die besprochenen Freiheiten nehmen und sich zum Beispiel aus dem Hotel abmelden. „Das ist jetzt einfach anders als früher, als alles vorgegeben wurde und diese Freiheit undenkbar war“, sagt Koch, die den neuen Umgang miteinander sehr begrüßt.

Aus gutem Grund wurde die erfahrene Trainerin mit dem Gleichstellungspreis des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ausgezeichnet. Nicht nur, weil sie sich für die Chancengleichheit beider Geschlechter beim Einsatz von Trainerinnen und Trainern sowie bei deren Aus- und Fortbildung einsetzt, sondern eben auch, weil sie ihre Athletinnen nicht nur in der Leistungs-, sondern auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützt, ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten im und neben dem Sport und damit das Selbstbewusstsein stärkt. Koch nimmt die Athletinnen auch in die Pflicht, früh Verantwortung für die Entwicklung ihrer Sportart zu übernehmen: „Ich finde es wichtig, dass sie die Verbandsstrukturen und ihre Rechte kennen. Zum Beispiel in der Diskussion über die Bundesliga – sie sollen auch da für ihre Rechte kämpfen.“ Ihre erfahrenste Athletin Kim Bui ist Aktivensprecherin für den gesamten DTB und hat zuletzt auch Laudationes für den Stuttgarter Oberbürgermeister sowie beim Abschied des langjährigen DTB-Präsidenten Rainer Brechtken gehalten.

Darüber hinaus hat die Cheftrainerin während der Verletzungszeit von Bui zwei 16-Jährige mit der Sprecherinnenrolle betraut, die das „super gemacht haben“. Hier ist der Begriff „mündige Athletin“ nicht nur eine Floskel. Das Umsetzen funktioniert aber nur, wenn es vorgelebt wird. „Wir können von den jungen Leuten nichts verlangen, was wir nicht selbst leisten“, sagt Koch, „wir können zum Beispiel keine Disziplin fordern, wenn wir selbst nicht diszipliniert sind.“ Und keine Durchsetzungsfähigkeit, wenn selbst keine vorhanden ist. Vor allem aber vermittelt Ulla Koch nicht nur ihren Turnerinnen auf ganz natürliche Weise, dass man seine Träume leben kann. Auch wenn manchmal ein Umweg nötig ist. „Ich hatte den Traum, eine ganz tolle Sportlerin zu werden. Das hat nicht geklappt. Dann hatte ich den Traum, anderen beizubringen, dass sie das schaffen können, was ich nicht geschafft habe“. Und diesen Traum hat sie längst wahr gemacht: Bei den Olympischen Spielen in Rio haben die Turnerinnen das beste Olympia-Ergebnis seit 28 Jahren erreicht.

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(Quelle: Sportdeutschland 03/2016)


  • DOSB-Präsident Alfons Hörmann, Nachwuchstrainerin Ghazal Seilsepour, Preisträgerin Ulla Koch und DOSB-Vizepräsidentin Petra Tzschoppe. Foto: DOSB/bewahrediezeit.de
    DOSB-Präsident Alfons Hörmann, Nachwuchstrainerin Ghazal Seilsepour, Preisträgerin Ulla Koch und DOSB-Vizepräsidentin Petra Tzschoppe. Foto: DOSB/bewahrediezeit.de