Es war 19 Minuten nach Mitternacht, als Andreas Wellinger die Hände vors Gesicht schlug und überwältigt vor Glück auf die Knie fiel: Gold! Ja, Gold im Springen von der Normalschanze bei den Olympischen Spielen von Pyeongchang. Was bereits verloren schien nach einem fast vom Winde verwehten ersten Durchgang, machte der 22 Jahre alte Ruhpoldinger in einem nervenaufreibenden Finale mit Schanzenrekord doch noch möglich.
"Unfassbar, ich komm noch nicht damit klar", sagte der überglückliche Sieger bei Eurosport: "Ich habe gewusst, dass ich, wenn es läuft, vorne mit dabei sein kann. Aber dass es so aufgeht ... Ich habe gemerkt, es war ein unglaublich geiler Sprung. Die lange, harte Arbeit macht sich bezahlt. Mein Handy explodiert, als erstes werde ich meine Lieben anrufen."
Bundestrainer Werner Schuster, nicht minder glücklich als sein Goldjunge, konnte seine Freude kaum in Worte fassen. "Wir freuen uns riesig, dass unser Springer da oben steht", sagte Schuster, der Wellinger, den erst dritten deutschen Olympiasieger im Skispringen nach Helmut Recknagel (1960), Hans-Georg Aschenbach (1976 für die DDR) und Jens Weißflog (1984, 1994), mit Lob überhäufte. "Ich hatte das Gefühl, dass er weiß, was er tut. Der zweite Sprung war grandios. Ich bin stolz auf ihn", sagte der Österreicher.
Sieg des Qualifikationsbesten
Wellinger, der sich als Qualifikationsbester plötzlich in die Rolle des Goldfavoriten gesprungen hatte, ist der erste deutsche Einzelolympiasieger seit Weißflog 1994 in Lillehammer, der auf der Großchance gewann. Die letzte deutsche Einzelmedaille hatte 2002 in Salt Lake City Sven Hannawald gewonnen, er holte Silber auf der Normalschanze. Für Wellinger ist es das zweite Gold bei Olympia nach dem Sieg mit der Mannschaft 2014 in Sotschi.
Wellinger hatte zunächst auf Rang fünf gelegen, einen Platz hinter Richard Freitag (Aue). Nach zunächst 104,5 m flog er im packenden Finale dann auf 113,5 m und zu 259,3 Punkten. Alle, die nach ihm kamen, sprangen deutlich kürzer. Darunter auch der zunächst weit in Führung liegende Pole Stefan Hula, der aber mit nur noch 105,5 m auf Rang fünf zurückfiel. Silber und Bronze ging damit an die Norweger Johann Andre Forfang (106/109,5 m und 250,9 Punkte) und Robert Johansson (100,5/113,5 und 249,7).
Gutes deutsches Mannschaftsergebnis
Vierschanzentournee-Sieger Kamil Stoch (Polen) fiel im zweiten Durchgang vom zweiten auf den vierten Rang zurück, auch die drei anderen Deutschen rutschten noch ein wenig zurück - sorgten aber nach dem beinahe dreistündigen Wettkampf für ein bemerkenswertes Mannschaftsergebnis mit den Rängen acht, neun und zehn durch Markus Eisenbichler (Siegsdorf), Richard Freitag (Aue) und Karl Geiger (Oberstdorf).
Freitag hatte nach einem zähen ersten Durchgang mit 106 m und 125,5 Punkten als Vierter nur 0,4 Punkte hinter den punktgleich auf Platz zwei liegenden Stoch (106,5 m) und Forfang (106 m) gelegen. Umgerechnet 20 Zentimeter fehlten zu Bronze. 30 Zentimeter mehr waren es bei Wellinger: Er war beeinträchtigt durch Seitenwind bei 104,5 m gelandet.
Wind und Eiseskälte am Turm
Der drehende und beißende Wind machte den Springern schwer zu schaffen, einige hatten großes Pech. Medaillenanwärter Peter Prevc aus Slowenien etwa musste im ersten Durchgang knappe zehn Minuten in Eiseskälte am Turm warten, ehe er losgeschickt wurde - kein Wunder, dass er schon bei 98,5 Meter landete. Immer wieder wurde unterbrochen, die wartenden Springer zitterten, eingehüllt in Decken, ihrem Anlauf entgegen.
Zu einer Farce geriet der zweite Versuch des zweimaligen Doppel-Olympiasiegers Simon Ammann: Fünfmal schob sich der Schweizer auf den Absprungbalkem, fünfmal musste er wieder runter, erst der sechste Versuch klappte - auf immerhin 104,5 m. Danach ging es flotter, die Top Ten fuhren nahezu problemlos über den Bakken, Robert Johansson (Norwegen) sprang dabei mit 113,5 m Schanzenrekord.
Ganz böse erwischte es einen weiteren Mitfavoriten. Dawid Kubacki, in der polnischen Mannschaft normalerweise die Nummer zwei hinter Stoch, stürzte bei ungünstigen Bedingungen bereits bei 88 Metern ab und schied damit schon im ersten Durchgang aus. Ebenfalls nicht ins Finale schaffte es Altmeister Janne Ahonen (40) aus Finnland. Der fünfmalige Weltmeister und zweimaliger Silbermedaillengewinner bei Olympia belegte Rang 40.