Die deutschen Pioniere eines absoluten Nischensports
Nur drei Deutsche bestreiten internationale Wettkämpfe im Motosurfen. Zwei von ihnen, Jennifer Beckmann und Sebastian Lux, starten im August bei der Premiere ihres Sports im Programm der World Games in China.

30.06.2025

Aus dem Spanien-Urlaub bringen die meisten Deutschen einen Sonnenbrand mit, vielleicht ein paar einheimische Leckereien oder, wenn es ganz hart kommt, einen Not leidenden Straßenhund. Sebastian Lux darf dagegen behaupten, mit einem neuen Lebensinhalt von der Iberischen Halbinsel zurückgekehrt zu sein. Vor zehn Jahren beobachtete er in den Ferien am Strand Menschen beim Motosurfen. „Ich war sofort gepackt und habe gleich nach der Rückkehr nach Deutschland alles über den Sport herauszufinden versucht“, sagt der 43-Jährige, den in seinem Umfeld alle nur beim Nachnamen nennen. Lux, der bis dahin leidenschaftlich, aber nicht auf Leistungssportniveau Motorrad gefahren war, hatte Feuer gefangen. 2018 stieg er in den Rennsport ein, in diesen Tagen brennt er extrem für den Höhepunkt seiner sportlichen Karriere. Bei den World Games, die vom 7. bis 17. August in Chengdu (China) ausgetragen werden, geht er für Team Deutschland an den Start.
Es wird nicht nur für den gebürtigen Berliner, dem man seine Herkunft zweifelsfrei anhört, ein historisches Erlebnis. Zum ersten Mal ist MotoSurf Teil der Weltspiele der nicht-olympischen Sportarten, und das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit, schließlich wurde der Sport erstmals 2014 als WM-Serie ausgetragen. Damals noch ohne Dachverband, seit 2020 gehört die Sparte Powerboating, der MotoSurf zugeordnet ist, zur Union Internationale Motonautique (UIM). „Die UIM hat ein sehr dezidiertes Regelwerk für den Rennsport, was für die Entwicklung unseres Sports wichtig ist“, sagt Fabian Kusche, der in Deutschland wahrscheinlich der Mensch ist, der das am besten beurteilen kann. Der 49-Jährige ist Bundestrainer, startet aber auch selbst noch in der WM-Serie. Bei der Qualifikation zu den World Games im Februar in Fujairah (Vereinigte Arabische Emirate) ging er jedoch angesichts chronischer Verletzungsprobleme nicht an den Start, sondern ließ Lux den Vortritt.
Dass dieser das Ticket löste, war wichtig, denn eine Alternative gibt es nicht. Nur drei Aktive aus ganz Deutschland starten bei internationalen Rennen, neben Lux und Kusche ist bei den Frauen Jennifer Beckmann dabei. Das Trio ist Mitglied im MotoSurf Club Germany (MSCG), dem einzigen MotoSurf-Verein hierzulande, der in Kusches Wohnort Bad Oeynhausen ansässig ist. Trainiert wird auf dem rund 80 Kilometer entfernten Tuttenbrocksee in Beckum, wo ein entsprechender Parcours zur Verfügung steht. Um sich voll auf seinen Sport konzentrieren zu können, zog Sebastian Lux aus Berlin nach Bad Oeynhausen, wo er als selbstständiger Holzkünstler arbeitet. „Ich kann mir dadurch meine Zeit frei einteilen und die Zeit fürs Training aufbringen, die notwendig ist“, sagt er.
Jennifer Beckmann dagegen arbeitet in Hamburg in Vollzeit als Rechtsanwältin in einer Großkanzlei, für sie ist MotoSurf eher ein Hobby, das sie jedoch mit viel Leidenschaft betreibt. „Ich trainiere hauptsächlich an den Wochenenden auf der Elbe und war selbst ein bisschen überrascht, dass ich mich für die World Games qualifizieren konnte“, sagt die 36-Jährige, die erst im vergangenen Jahr in die WM-Serie eingestiegen war. „Die ersten Rennen waren sehr hart, da hatte ich noch nicht das Fahrgefühl, das nötig war. Aber mit jedem Wettkampf sammelt man Erfahrung, ich fühle mich jetzt bereit für die Herausforderung World Games“, sagt die aus Warendorf stammende, ehemalige Moderne Fünfkämpferin, die sich das nötige Gefühl für das Board im Kitesurfen und Wakeboarden aneignete.
Koordinationsfähigkeit, Balancegefühl, Ausdauer, Kraft und eine ausgefeilte Fahrtechnik – das sind die Komponenten, die die Spitzenleute mitbringen müssen, um möglichst schnell, vor allem aber unfallfrei durch den Parcours zu gleiten. „Man sollte vermeiden, ins Wasser zu fallen, denn das kostet viel Zeit, deshalb muss man manchmal taktisch fahren und nicht nur volles Risiko eingehen“, sagt Jennifer Beckmann. Beschleunigt wird das 1,80 Meter lange Karbonboard mittels eines „Control Handles“, den die Athletinnen und Athleten mit einer Hand bedienen. Über eine am Oberarm angebrachte Sicherheitsleine sind die Rennfahrer*innen mit ihrem Board verbunden, so dass sie bei einem Sturz schnellstmöglich wieder in den Parcours zurückkehren können. Ein „Pin“ genannter Notausschalter bewirkt, dass der Motor abgewürgt wird, wenn der Kontakt zum Beschleuniger unterbrochen wird. Zu ihrem Schutz tragen die Aktiven einen Helm mit Nackenschutz, eine Prallschutzweste und einen Neoprenanzug.
Zwei Antriebsarten gibt es in der WM-Serie: Den Verbrenner, der zu 100 Prozent CO2-neutralen Kraftstoff nutzt und Geschwindigkeiten von bis zu 70 km/h ermöglicht. Und den Elektromotor, der das Board um 15 auf 35 Kilogramm erschwert und auf bis zu 50 km/h kommt. In Chengdu wird, weil der Versand der für die E-Motoren notwendigen Akkus als Sonderfracht viel zu teuer wäre, lediglich die Verbrennerklasse ausgetragen, die die beiden Deutschen wegen ihrer Rasanz und Dynamik beide favorisieren. Zum Kreis der Medaillenfavoriten zählen sie in den je 24 Personen umfassenden Startfeldern allerdings nicht. „Lux traue ich zu, dass er sich für das Finale der besten zwölf qualifiziert und dort einen guten Mittelfeldplatz erreicht“, sagt Trainer Kusche. „Jennifer hat noch nicht so viel Erfahrung, für sie wäre die Finalteilnahme ein riesiger Erfolg, aber wir wären nicht bitter enttäuscht, wenn ihr das nicht gelingt.“
Ganz vorn erwarten der Trainer und seine beiden Schützlinge Tschechien, das sehr früh auf den MotoSurf-Zug aufgesprungen war. „Aber auch Korea und die USA gilt es zu knacken. Und China hat ein staatliches Förderprogramm aufgelegt, das bei uns in Deutschland vollkommen undenkbar wäre“, sagt Fabian Kusche. Das Trio ist schon froh darüber, dass der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und die International World Games Association (IWGA) die Kosten für Reise, Unterkunft und Verpflegung übernehmen. Sie sind es gewohnt, für ihr kostspieliges Hobby tief in die eigene Tasche zu greifen. Ein Rennboard schlägt mit rund 15.000 Euro zu Buche. Muss ein defekter Akku für den E-Antrieb ausgetauscht werden, sind 6.000 Euro fällig. Preisgelder gibt es auf der vier bis fünf Stationen umfassenden WM-Serie nur in den Emiraten zu gewinnen.
Dank ihrer Motorisierung können Motosurfer ihren Sport auf stehenden und fließenden Gewässern, auf Seen, Flüssen und dem offenen Meer ausüben. Bei der Generalprobe für die World Games, die im April in Chongqing stattfand, erlebten sie eine böse Überraschung. „Chinesische Flüsse haben eine komische Farbe, riechen nicht gut und beinhalten Stoffe, die wir lieber nicht so genau hinterfragt haben“, sagt Sebastian Lux. Dass die Wettbewerbe in Chengdu auf einem eigens dafür angelegten See ausgetragen werden, hat das kleine deutsche Team mit Erleichterung aufgenommen. Die Vorfreude auf den Karriere-Höhepunkt ist auch deshalb riesig, vor allem aber wollen Jennifer Beckmann und Sebastian Lux zeigen, dass sie zu Recht die World-Games-Premiere ihres Sports mitgestalten. „Mein Ziel ist ein guter Mittelfeldplatz, alles andere wäre vermessen“, sagt Jennifer. Lux, 2024 immerhin WM-Dritter in der Electric-Challenge-Kategorie, will mehr: „Ich habe auch die Tschechen schon geschlagen und fahre nach China, um zu gewinnen“, sagt er. Einen neuen Lebensinhalt wird er voraussichtlich nicht mitbringen aus Chengdu, aber warum nicht eine Medaille?