„Die große Gefahr ist, dass Vereine ihre Angebote streichen müssen“
DOSB-Präsident Thomas Weikert (63) erläutert im Interview, warum der Sport im 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen unbedingt mitgedacht werden muss – und welche Konsequenzen drohen, wenn dies nicht der Fall sein sollte.

17.06.2025

DOSB: Thomas, der Sport findet in den Ausgestaltungen zur Verwendung des Sondervermögens bislang keine Berücksichtigung. Was waren deine ersten Gedanken, als du davon hörtest?
Thomas Weikert: Das ist eine Mischung aus Unverständnis, Ärger und Enttäuschung. Zunächst einmal möchte ich unterstreichen, dass wir im DOSB sehr dankbar dafür sind, dass im Koalitionsvertrag drei unserer Kernforderungen berücksichtigt wurden. Die politische Unterstützung unserer Bewerbung um die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele ist sehr wichtig. Die Implementierung von Christiane Schenderlein als neue Staatsministerin für Sport und Ehrenamt halten wir für einen entscheidenden Fortschritt. Und auch die angekündigte Sportmilliarde für Investitionen in die Sportinfrastruktur ist ein richtiges Signal. Aber die 500 Milliarden Euro Sondervermögen, die für infrastrukturelle Investitionen zweckgebunden sind, sollen auf die Zukunftsfähigkeit unseres Landes einzahlen. Dass der organisierte Sport dabei nicht mitgedacht werden soll, ist für mich unverständlich. Ich frage mich, warum die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Sports an einigen Stellen anscheinend noch immer nicht gesehen oder verstanden wird.
Eine Erklärung dafür lautete, dass die Sportmilliarde Unterstützung genug biete. Warum ist das zu kurz gedacht?
Wir wissen ja noch nicht einmal, ob diese Milliarde pro Jahr fließen oder auf die gesamte Legislaturperiode von vier Jahren aufgeteilt werden soll. Aber angesichts eines Investitionsstaus im Bereich der Sportstätten-Infrastruktur, der mindestens 31 Milliarden Euro beträgt, ist selbst eine Milliarde im Jahr nicht ausreichend. Ich wünsche mir, dass an den entscheidenden politischen Stellen auf unsere Expertise vertraut wird. Wir haben, auch über unsere Landessportbünde, den besten Kontakt in unsere Mitgliedsverbände und -vereine. Wir wissen um die Probleme und können die notwendigen Investitionen am besten steuern.
Du hast den Investitionsstau angesprochen. Wie zeigt sich dieser konkret in den Sportstätten?
In vielen Kommunen sind die Mängel so gravierend, dass Angebote teilweise oder ganz gestrichen werden müssen. In 62 Prozent der Kommunen ist der Investitionsrückstand bei Schwimmbädern gravierend. Dabei geht es nicht nur um die Bäder an sich, sondern auch um die Umkleiden oder die Gebäude. Wenn ich dann Zahlen lese, dass mehr als 50 Prozent der Grundschüler nicht sicher schwimmen können, steigt bei mir die Sorge, dass der Investitionsstau in letzter Konsequenz dazu führt, dass mehr Menschen in Deutschland ertrinken. Das mag drastisch klingen, umso wichtiger ist es, dass wir gegensteuern. Was Sporthallen oder -plätze angeht, hat wohl jeder sein eigenes Bild davon vor Augen, wie es mancherorts aussieht. Da bröckelt der Putz von den Wänden, in den Umkleiden werden Bänke herausgerissen oder nur zwei von zehn Duschen funktionieren, Toiletten sind oft in schlechtem Zustand. Da ist viele Jahre zu wenig passiert, weil die Politik es teilweise nicht für notwendig befunden hat, die erforderlichen Investitionen zu tätigen. Diese Gleichgültigkeit und die finanziellen Zwänge der Kommunen, gepaart mit manchmal zu wenig Mut und Durchsetzungsstärke, sind ein Problem und fallen uns jetzt auf die Füße.
Was würde passieren, wenn es zeitnah nicht gelingt, den Investitionsstau abzubauen?
Die große Gefahr, die wir sehen, ist die, dass viele Vereine ihre Angebote reduzieren oder komplett streichen müssen, wenn sie ihre Anlagen nicht modernisieren können. Im aktuellen Sportentwicklungsbericht geben 19 Prozent der Vereine an, dass sie wegen maroder Anlage vor großen oder sehr großen Problemen stehen, für 4,5 Prozent sind diese Probleme sogar existenzbedrohend. Davor dürfen wir nicht die Augen verschließen, sondern müssen handeln. Vereine brauchen Verlässlichkeit, um insbesondere dem Nachwuchs, der in zehn oder 20 Jahren die Basis für die Leistungskader bildet, entsprechend optimale Trainingsbedingungen bieten zu können. Aber auch der Breitensport braucht diese Bedingungen. Investitionen in die Infrastruktur sind auch deshalb so wichtig, weil sie für jedes Mitglied sichtbar Veränderungen bewirken, die an der Basis ankommen. Wer sieht, dass in seinen Verein investiert wird, treibt nicht nur gern Sport, sondern wird auch motiviert, sich zu engagieren. Deshalb werbe ich nachdrücklich darum, einen Teil des Sondervermögens in den Sport zu investieren.
In Teilen der Gesellschaft scheint noch immer nicht angekommen zu sein, welche Bedeutung der Sport für das Gemeinwohl hat. Welche Folgeschäden drohen abseits des reinen Trainingsbetriebs, wenn Vereine ihre Angebote nicht mehr machen können?
Der organisierte Sport mit seinen rund 28,8 Millionen Mitgliedschaften in 86.000 Vereinen ist die größte zivilgesellschaftliche Organisation des Landes. Wir schaffen es wie keine andere Institution, Menschen über alle Schichten hinweg zu verbinden, und das unabhängig von Konfession, sexueller oder politischer Orientierung und Herkunft. Dieses Alleinstellungsmerkmal zu gefährden, weil es an dringend benötigten Investitionen fehlt, wäre grob fahrlässig. Ich denke dabei natürlich auch an die Gesundheitsvorsorge, die regelmäßiges Sporttreiben bewirkt. Wir wissen um die Probleme mit Bewegungsmangel und Übergewicht. Der Sport hat alle Werkzeuge dafür, um dem entgegenzuwirken. Aber dafür braucht er die entsprechenden finanziellen Mittel, um seine Angebote auch bereitstellen und aufrecht erhalten zu können.
Es geht zwar im Sondervermögen zweckgebunden um Investitionen in die Infrastruktur und Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel. Die Bedarfe im Sport sind aber umfangreicher, gerade in den Bereichen Trainer*innen, Übungsleiter*innen und Ehrenamtliche besteht Handlungsdruck. Wie können diese in der aktuellen Diskussion mitgedacht werden?
Indem wir und vor allem all die Engagierten an der Basis immer wieder darauf hinweisen, wie dringlich dieses Thema behandelt werden sollte. 17,5 Prozent der befragten Vereine weisen im aktuellen Sportentwicklungsbericht darauf hin, dass die Personalnot im ehrenamtlichen Bereich für sie existenzgefährdend werden wird. Wenn es uns nicht gelingt, die Rahmenbedingungen für Trainingspersonal und Ehrenamtliche deutlich zu verbessern, dann verlieren wir sukzessive immer mehr Kinder und Jugendliche, die in andere Bereiche abwandern oder gar nicht mehr aktiv werden. Das können und sollten wir uns nicht leisten. Deshalb wäre die Beteiligung des Sports am Sondervermögen auch dahingehend ein Gewinn, dass Gelder, die bislang für infrastrukturelle Maßnahmen eingeplant sind und künftig über das Sondervermögen abgedeckt würden, für andere Bereiche frei werden könnten. Der Bedarf dafür ist riesig.
Die Bundesregierung hat ihre Unterstützung für die Bewerbung um die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele zugesagt. Wie glaubhaft ist das, wenn in den Sport nicht in ausreichender Form investiert wird?
Ein Aspekt unserer Bewerbung ist, dass wir Deutschland fit machen wollen. Das bezieht sich auf die gesamte Gesellschaft. Wir wollen, dass das ganze Land einen Nutzen aus der Bewerbung zieht, weil die Vorzüge eines sportlichen Lebensstils erkannt und entsprechend unterstützt werden. Wenn das gelingt, wäre auch dann viel gewonnen, wenn wir nicht den Zuschlag bekämen. Aber dafür müssen wir jetzt damit beginnen, flächendeckend in den Sport zu investieren. Die Ministerpräsident*innen aus acht der 16 Bundesländer stehen hinter den Bewerbungen aus den vier Regionen, die uns vorliegen. Das ist ein echtes Pfund! Immerhin ist die Errichtung eines Sondervermögens ein zustimmungspflichtiges Gesetz, dem auch der Bundesrat seinen Segen geben muss. Deshalb erhoffe ich mir sehr, dass die entscheidenden Personen im Bund und in den Ländern ihre Haltung noch einmal überprüfen und dafür sorgen, dass der Sport im Sondervermögen mitgedacht und berücksichtigt wird.