Die Lehre aus den World University Games? NRW kann Sportgroßevents!
Auf einer Tour durch die Austragungsorte wird die Vielfalt der Weltspiele der Studierenden besonders deutlich. Sina Diekmann, Abteilungsleiterin Sport, zieht ein Fazit der Veranstaltung und sagt, was die NRW-Olympiainitiative daraus lernen kann.

27.07.2025

„Rhine-Ruh“ steht an der überdimensionierten Flamme, dem Logo der Rhine-Ruhr 2025 FISU World University Games, an der sich zwischen Messe Essen und Grugahalle täglich Hunderte Besucher der Weltspiele der Studierenden fotografieren lassen oder selbst ablichten. Das „r“ ist abgefallen, was nach acht Veranstaltungstagen als normaler Materialschwund gelten kann, oder vielleicht wurde es auch von besonders verrückten Souvenirjägern abgeschraubt, man weiß es nicht. Was man weiß: Selten war ein Schriftzug weniger Programm, denn Ruh gibt es bei dieser Multisportveranstaltung ungefähr genauso viel wie in der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens. Die World University Games mit ihren knapp 7000 Athlet*innen und weiteren rund 2200 Delegationsmitgliedern aus rund 150 Nationen sind ein vibrierender Schmelztiegel des studentischen Hochleistungssports. Und weil sie mit Blick auf die Bewerbung der Region Rhein-Ruhr um die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele in Deutschland in den Medien gern als Testlauf oder Blaupause für noch Größeres bezeichnet werden, lohnt es sich, ein wenig genauer hinzuschauen.
Sina Diekmann tut dies aus beruflichen Gründen besonders intensiv. Die 36-Jährige ist bei der Veranstaltungs gGmbH als Abteilungsleiterin Sport angestellt, und auch wenn ein knackiges Abschlusswochenende mit vielen Entscheidungen noch aussteht, ist sie überzeugt davon, ein positives Fazit ziehen zu können. „Wir dürfen behaupten, dass wir internationale Sportveranstaltungen dieser Größenordnung organisieren können“, sagt sie. Feedback von Delegationen aus aller Welt speise diese Einschätzung. Vor allem das dezentrale Konzept der Unterbringung, das 84 Hotels in der Region anstelle eines zentralen Athlet*innendorfs einbindet, werde fast schon überraschend gut angenommen. „Der Faktor Zeit ist für die meisten sehr entscheidend, und wer von seinem Hotel fußläufig zur Wettkampfstätte kommt, muss nicht wertvolle Zeit in Shuttlebussen verbringen, sondern hat sie stattdessen zur Vor- und Nachbereitung. Das wird von den allermeisten Sportlerinnen und Sportlern sehr positiv bewertet“, sagt sie.
Zu Beginn Probleme mit digitaler Zeitmessung
Ines Lenze und Christoph Edeler, die als Doppelspitze die deutsche Delegation leiten, können das bestätigen. „Die Services funktionieren sehr gut, die Shuttles fahren pünktlich und sehr regelmäßig, das Essen in den Hotels und Wettkampfstätten ist hochwertig und ausreichend, deshalb sind alle sehr zufrieden“, sagt Ines Lenze. Zu Beginn der Wettkämpfe gab es an einigen Venues zwar Probleme mit der digitalen Zeitmessung, die nicht adäquat auf den Bildschirmen dargestellt werden konnte. „Das hat uns überrascht, weil unser Partner Atos als erfahren in Multisportevents gilt. Aber dass die ersten Tage nie ruckelfrei und manchmal nervenaufreibend sind, ist nicht überraschend, und wir haben die Probleme mittlerweile gemeinsam mit Atos in den Griff bekommen“, sagt Sina Diekmann.
Das Klischee von dauerfeiernden Student*innen, das angesichts gestraffter Studieninhalte sowieso immer seltener stimmt, wird dadurch bedient, dass die Veranstalter an den Wettkampforten Bochum, Duisburg, Essen, Hagen, Mülheim und Berlin als Außenstelle für Schwimmen, Wasserspringen und Volleyball sogenannte „Neighbourhoods“ eingerichtet haben; Orte, an denen sich die Teilnehmenden versammeln, treffen und – ganz wichtig – Pins tauschen können. „Außerdem ist in der Akkreditierung der öffentliche Nahverkehr in der gesamten Region enthalten, was von den Athlet*innen sehr gut angenommen wird. Viele fahren nach ihren Wettkämpfen zum Beispiel ins Bermudadreieck nach Bochum und machen dort gemeinsam Party. Dort kommen sie dann mit der Bevölkerung in Kontakt, und genau darum geht es bei einem Multisportevent dieser Ausrichtung ja auch“, sagt Sina Diekmann.
Der Vergleich mit dem Olympiakonzept, mit dem Nordrhein-Westfalen zum 31. Mai offiziell in den nationalen Ausscheid mit Berlin, Hamburg und München eingestiegen ist, hinkt allein schon deshalb, weil die darin eingeplante wichtigste Gastgeberstadt Köln und die Landeshauptstadt Düsseldorf nicht Teil der WUG sind. Der Charme der Sportstätten, die die Region zur Verfügung stellen kann, wird aber auch in diesen Tagen sichtbar. Um diese Sichtbarkeit komprimiert Entscheider*innen aus verschiedenen Bereichen von Wirtschaft, Politik und Sport zu ermöglichen, haben die Veranstalter am Mittwoch zur Observer Tour geladen. Auf einer Bustour durch die Hauptaustragungsorte Duisburg, Bochum und Essen lassen sich Eindrücke gewinnen, die zumindest die Fantasie dafür anregen, wie Olympische Spiele mit doppelt so vielen Teilnehmenden und Sportarten - 18 sind es bei den WUG - in NRW funktionieren könnten.
Insbesondere der Sportpark Duisburg, der vormals den Namen des ihn beherbergenden Stadtteils Wedau trug, ist als Austragungsort der Wettkämpfe im Beachvolleyball, Rudern und Wasserball ein Herzstück der Spiele. Zwei Dutzend Verbände, rund 60 Vereine mit 20.000 organisierten Sportler*innen sind hier im Normalbetrieb ansässig. 203 Hektar umfasst das vor 100 Jahren in Betrieb genommene Gelände, aus dem die Regattabahn hervorsticht. Sechsmal war Duisburg bereits Gastgeber einer Kanu-WM, zuletzt 2023. Danach wurde die Tribüne abgerissen und rechtzeitig zu den WUG mit 2113 Sitzplätzen neu errichtet. Ebenso das Funktionsgebäude, das mit einer Fläche von 4.300 Quadratmetern und einer Solaranlage auf dem Dach, die mehr Energie produziert, als verbraucht wird, modernsten Ansprüchen genügt. „Man nennt uns auch das Wimbledon des Kanusports“, sagt Martin Linne, Dezernatsleiter Sport in Duisburg, mit unverkennbarem Stolz, „die Ballung der Sportstätten hier ist in der Region einzigartig.“
Wie sportbegeistert die Stadt ist, zeigt sich auch daran, dass sich mehrere Vereine um die Austragung der Wasserball-Wettkämpfe gerissen hatten. Den Zuschlag erhielt der ASC Duisburg, weil er die größtmögliche Tribüne realisieren konnte. Diese ist nicht nur bei den Spielen der deutschen Teams, die es bis ins Halbfinale geschafft haben, sehr gut gefüllt. „Die Duisburger Wasserball-Community liefert richtig ab, die sind voll dabei und unterstützen alle Mannschaften großartig“, sagt Sina Diekmann, die bis zum Ende der Spiele alle Venues inklusive denen am Außenstandort Berlin besucht haben wird. Für das Beachvolleyball-Turnier auf der Dreieckswiese mussten 17 LKW rund 1.000 Tonnen Sand heranschaffen. „Beachvolleyball findet zum ersten Mal bei uns im Sportpark statt“, sagt Martin Linne, „darüber freuen wir uns, denn es ist ja eine wachsende Sportart, die viele junge Menschen begeistert.“
Inklusion von Parasport soll beibehalten werden
Das tut - Tendenz rasant steigend - auch 3x3-Basketball. In der Bochumer Jahrhunderthalle gewannen die deutschen Rollstuhlbasketballerinnen eine historische Goldmedaille für das „Team Studi“, das bei Erscheinen dieses Textes mit 24 Medaillen (je siebenmal Gold und Silber sowie zehnmal Bronze) im Medaillenspiegel an Position sechs lag. Historisch, weil erstmals in der seit 1959 währenden Geschichte der Universiade ein Para-Event ins Programm integriert war. Die Stimmung kochte fast noch heißer als beim Triumph der deutschen 3x3-Frauen am selben Abend. „Für mich war das das bisherige Highlight dieser Spiele. Ich war so berührt, dass ich Tränen in den Augen hatte“, sagt Sina Diekmann. Ihre Empfehlung an den Weltverband FISU ist klar: „Die Inklusion von Para Sport sollte unbedingt beibehalten und 3x3 dauerhaft ins Programm aufgenommen werden.“ In zwei Jahren, wenn die südkoreanische Stadt Chungcheong vom 1. bis 12. August 2027 nächster WUG-Gastgeber wird, soll Para-Taekwondo Teil der Spiele sein.
Teil Olympischer Spiele könnte das Lohrheide-Stadion nicht werden, dazu ist das Fassungsvermögen der Leichtathletik-Arena mit rund 16.000 überdachten Plätzen nicht groß genug. Für die WUG jedoch präsentiert sich die traditionsreiche Sportstätte in komplett neuem Look. „Die Spiele waren ein Anlass für den Neubau, aber nicht der einzige“, sagt Ute Feinweber aus dem Referat Sport und Bewegung der Stadt Bochum. Die blaue Laufbahn erinnert zwar an das Berliner Olympiastadion, „es ist aber capri-blau und nicht Hertha-blau“, sagt Ute Feinweber, die als besonderes Feature den Kaltgang hervorhebt, der unter der kompletten Haupttribüne entlangführt und für Umkleide-, Antidoping- und Medizinräume, aber auch zur Lagerung genutzt wird. Ein weiterer Clou ist die 30x70 Meter große Freilufthalle mit luft- und lichtdurchlässigem Dach, die bei fast jeder Witterung Sportbetrieb ermöglicht. Im kommenden Jahr soll sich die deutsche Leichtathletik-Elite bei den nationalen Meisterschaften von den Vorzügen der neuen Lohrheide überzeugen.
Mittelpunkt der WUG-Welt ist in diesen Tagen allerdings Essen. Ein Drittel der 18 Sportarten - Fechten, Gerätturnen, Judo, Rhythmische Sportgymnastik, Taekwondo und Tischtennis - finden in der Messe Essen statt, dazu über die Stadt verteilt noch Basketball (gemeinsam mit Duisburg und Hagen), Bogenschießen und Tennis. Der Grugapark, hervorgegangen aus der ersten Großen Ruhrländischen Gartenbau-Ausstellung im Jahr 1929, wird für das kulturelle und sportliche Rahmen- und Mitmachprogramm genutzt. „95 Prozent der Kapazität der acht Hallen werden gebraucht. Hier wird am deutlichsten, dass wir ein Multisportevent sind“, sagt Niklas Börger, CEO der Veranstaltungs gGmbH. „Die Komplexität dieser Veranstaltung ist enorm, wir sind sehr zufrieden und nehmen die vielen positiven Rückmeldungen der Athletinnen und Athleten als Lohn für unsere Bemühungen.“
Die Ausgestaltung der Hallen mit den üblichen schmucklosen Stahlrohrtribünen wirkt funktionell, und während der Observer Tour am Mittwochnachmittag sind diese Tribünen auch sehr übersichtlich belegt. Für Sina Diekmann ist das jedoch wenig überraschend. „Ich bin Realistin und wusste, dass nicht zu jedem Zeitpunkt und bei jeder Sportart alle Plätze belegt sein würden. Aber ich bin mit der Zuschauerresonanz sehr zufrieden, wir haben schon mehrere Hunderttausende Besucher und Duisburg ist bis zum Ende schon ausverkauft. Und die Stimmung ist selbst dann, wenn es nicht voll ist, sehr gut.“ Vor allem die günstigen Preise - ein Tagesticket mit Zugang zu allen Sportarten ist in der Messe Essen schon ab 13 Euro erhältlich - seien für die strukturell sehr heterogene Region ein wichtiger Faktor.
Was also sind die Lerneffekte, die die Fußball-Schiedsrichterin, die Spiele bis hoch zur Frauen-Bundesliga leitet, an das Koordinationsteam der NRW-Olympiabewerbung weitergeben wird? „Dass wir sehen, wie sportbegeistert die Region ist und sie durchaus in der Lage ist, große internationale Events durchzuführen. Und dass das dezentrale Konzept funktionieren kann, wenn man für eine enge Vernetzung sorgt.“ Sie selbst werde noch ein gutes Jahr in ihrer Funktion mit dem Projekt und dessen Abwicklung beschäftigt sein, erste Mitarbeitende aus dem rund 300 Personen umfassenden Organisationsteam werden aber bereits in der kommenden Woche verabschiedet. „Das erfüllt mich schon jetzt mit Wehmut. Ich freue mich darauf, in den kommenden Wochen in Ruhe alle Bilder und Berichte auf mich wirken zu lassen, denn dazu ist aktuell keine Zeit“, sagt sie. Die World University Games 2025 werden sie, davon ist sie überzeugt, ihr ganzes Leben lang begleiten. „Es ist für mich das erste Event dieser Größenordnung in leitender Funktion, das bleibt für immer“, sagt sie. Und sollte doch noch etwas Größeres kommen, 2036, 2040 oder 2044, dann ist Sina Diekmann dank der Erfahrungen dieser Tage bereit dafür.