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„Diese Mannschaft ist wirklich eine große Familie“

Die deutschen Basketballer sind nun amtierender Welt- und Europameister. Im DOSB-Interview ordnet Sportdirektor Peter Radegast den EM-Triumph ein, lobt die Spieler und das Trainerteam und erläutert, wie der Verband nachhaltig profitieren kann.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

15.09.2025

Eine Mannschaft feiert mit einem Pokal
Kapitän Dennis Schröder (mit Pokal) feiert mit der deutschen Basketball-Nationalmannschaft den Triumph bei der EM in Lettland.

Peter Radegast war müde, als ihn die DOSB-Verbandskommunikation am Montagnachmittag auf dem Mobiltelefon erreichte, und alles andere wäre auch eine Überraschung gewesen. Schließlich galt es für den Sportdirektor des Deutschen Basketball-Bundes (DBB), am Sonntagabend in Riga den EM-Titel zu feiern, den die Männer-Nationalmannschaft gewinnen konnte – erst zum zweiten Mal nach 1993. Nach dem Rückflug nach Frankfurt am Main wurden Team und Staff am Montagmittag in der Zentrale von Hauptsponsor ING begeistert gefeiert, ehe sich Spieler und Verantwortliche auf den Weg in ihre Heimatorte machten. Um den Triumph einzuordnen, nahm sich Radegast (55), der von 2010 bis 2015 zum ersten Mal Sportdirektor war und dieses Amt seit Mai 2024 erneut bekleidet, dennoch Zeit.

DOSB: Peter, die deutschen Basketballer sind amtierender Welt- und Europameister. Wenn du dir diesen Fakt auf der Zunge zergehen lässt, welche Emotionen löst er in dir aus?

Peter Radegast: Man will sich dauerhaft kneifen, weil man es einfach nicht glauben kann. Dass wir nach dem WM-Triumph von 2023 nun auch den EM-Titel geholt haben, ist verrückt und unwirklich. Und wenn ich ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass es wohl niemanden im DBB gegeben hat, der sich das vor ein paar Jahren ernsthaft hätte vorstellen können.

Wie habt ihr den Triumph gefeiert?

Die Kabinenparty zog sich so lange hin, dass wir, nachdem die Pflichten in der Medienarbeit erledigt waren, erst gegen 2 Uhr in einem Hotel in der Altstadt von Riga waren. Dort haben wir in geschlossener Gesellschaft mit rund 100 Menschen gefeiert. Uns war wichtig, dass die gesamten Familien der Spieler, die anwesend waren, dabei sein konnten. Geschlafen haben die wenigsten, ich war um 5.30 Uhr im Hotel, habe aber nur etwas geruht, weil um 7.15 Uhr bereits das Gepäck abgeholt wurde. In Frankfurt war dann von ING alles so perfekt organisiert wie vor zwei Jahren nach dem WM-Sieg. Am Montagnachmittag haben wir uns voneinander verabschiedet. Die meisten Spieler müssen direkt zurück zu ihren Vereinen. Aus Riga in die Liga, das ist das Motto. Ein wirklich straffes Programm, aber die Jungs kennen es ja nicht anders.

Wie realistisch schien es dir vor Turnierstart, dass diese Mannschaft EM-Gold gewinnen würde?

Unser Kapitän Dennis Schröder hatte ja vorher gesagt, dass wir nicht zur EM fahren, um nur anzutreten, sondern um Gold zu holen. Aber dann gab es in der Vorbereitung doch die eine oder andere holprige Phase mit einigen verletzten und kranken Spielern und nicht zuletzt der schweren Erkrankung unseres Cheftrainers Alex Mumbrú. Deshalb habe ich zwar nicht den Glauben an das Team verloren, aber mir war schon klar, dass das nicht ganz einfach werden würde.

Holprige Phase ist eine charmante Umschreibung dafür, dass einem Team kurz vor dem Saisonhöhepunkt der Cheftrainer wegbricht. Wie schlimm stand es wirklich um Alex Mumbrú?

Er war richtig krank. Er hat ja selbst verraten, dass es sich um eine akute Entzündung der Bauchspeicheldrüse infolge von Gallensteinen gehandelt hat. Die Schmerzen müssen furchtbar gewesen sein, im Krankenhaus in Tampere (Vorrundenspielort, d. Red.) hat er starke Schmerzmittel bekommen, um Ruhe zu finden. Zum Glück wurden nach einigen Tagen die Entzündungswerte besser, aber er hätte eigentlich weiterhin komplett ins Bett gehört. Er wollte aber das Team nicht im Stich lassen, wollte sogar zurück auf die Bank, das hat ihm aber unsere medizinische Abteilung nachdrücklich untersagt. Im Achtelfinale gegen Portugal hat er es versucht, aber gespürt, dass ihm die Energie fehlt. Dass er das eingestanden und zum Wohle des Teams und für das Erreichen der Ziele in die zweite Reihe zurückgetreten ist, ist eine Entscheidung gewesen, die ihm sehr schwergefallen ist, aber für die er höchsten Respekt verdient.

Dann kam die denkwürdige Pressekonferenz, in der sich die Mannschaft komplett hinter ihren Coach stellte, auch um Falschmeldungen in den Medien entgegenzutreten. Wie hast du das erlebt?

Ich war überwältigt von der Reaktion des Teams, die komplett von den Spielern kam, nachdem in spanischen Medien gemutmaßt wurde, Alex sei nicht mehr Cheftrainer. Sie wollten ein Zeichen setzen, dass sie zusammenstehen und der Coach selbstverständlich weiter der Chef ist, auch wenn er zunächst nicht auf der Bank dabei sein konnte. Als Maodo Lo dann das Wort ergriffen hat, war zu spüren, wie unglaublich dieser Zusammenhalt ist. So etwas kann nur authentisch funktionieren, wenn das Team wie eine große Familie ist. Alle haben auf Topniveau zusammengearbeitet, ich möchte deshalb auch niemanden herausheben, sondern ziehe vor allen meinen Hut.

  • Peter Radegast

    Vom 4. bis 13. September nächsten Jahres sind wir mit Berlin Gastgeber der Frauen-WM, und die wollen wir nutzen, um unserem Sport einen weiteren Schub zu geben. Es ist schön, im Fernsehen und Livestream so erfolgreich zu sein und tolle Quoten zu erzielen. Aber unser Sport muss für die Fans auch live erlebbar sein, und dafür ist die Frauen-WM eine super Chance.

    Peter Radegast
    Sportdirektor
    Deutscher Basketball-Bund

    Alan Ibrahimagic sollte man aber schon besonders würdigen. Als Assistenzcoach derart selbstverständlich die Chefrolle zu übernehmen und diese so gut auszufüllen, ohne irgendwelche Ansprüche zu stellen, das ist eine besondere Leistung.

    Alan hat seine Rolle extrem gut ausgefüllt, keine Frage. Es prasselte einiges auf ihn ein, was er in der Form nicht kannte. Unsere Medienabteilung hat mich anfangs gebeten, darauf aufzupassen, dass er zu den Live-TV-Interviews nach den Spielen kommt. Das hat nach einem Mal üben super geklappt. Er hat mit Alex perfekt zusammengearbeitet, sie waren eine echte Einheit. Auch da hat sich der besondere Zusammenhalt gezeigt. Wir sind ihm dafür sehr, sehr dankbar. Aber ich möchte auch erwähnen, dass die Mannschaft es ihm so einfach wie möglich gemacht hat. Dennis hat seine Rolle als Kapitän und Führungsspieler komplett gelebt, das war herausragend. Aber das gilt für alle Jungs im Kader, die alle genau wussten, was sie zu tun hatten, um den Erfolg abzusichern. Isaac Bonga hat in einem Interview gesagt, ihm sei es vorgekommen wie eine Klassenfahrt mit ein bisschen Basketball mit Freunden. Das trifft es sehr gut.

    Tatsächlich hat jeder Spieler im Kader seine speziellen Momente gehabt. Welches Bild ist für dich das prägende dieser EM, welches wird immer im Kopf bleiben?

    Oh, das ist hart, da kann ich mich kaum für eins entscheiden. Die Vorrunde haben wir dominiert, da gab es in vielen Spielen mehrere, die zweistellig getroffen haben. Dass das Achtelfinale gegen Portugal angesichts der klaren Favoritenrolle schwierig werden würde, war mir klar. Das härteste Spiel war das Viertelfinale gegen die Slowenen, da haben wir nicht auf unserem Topniveau gespielt, aber uns dennoch durchgekämpft. Solche Siege braucht ein großes Team. Nach dem Halbfinale gegen Finnland war mir klar, dass wir bereit für das Finale gegen die sehr starken Türken sind. Und das war dann ein wirklich würdiges Endspiel mit Höhen und Tiefen, in dem die Jungs bewiesen haben, warum sie ganz oben stehen. Dennoch glaube ich: Das Bild, das für immer bleibt, ist diese Pressekonferenz für Coach Mumbrú.

    Wenn man amtierender Welt- und Europameister ist, werden die Entwicklungsschritte, die möglich sind, um noch besser zu werden, naturgemäß kleiner. Welche sind dennoch möglich und nötig, um dort oben zu bleiben?

    Bislang hatten wir mit diesem Team kaum Rückschritte. Manche werten vielleicht die Olympischen Spielen als einen solchen, wo wir Vierter wurden. Ich sehe eher den Erfolg, es dort ins Halbfinale geschafft zu haben. Wir müssen aber damit rechnen, dass es Rückschläge geben kann. Dennoch haben wir frisches Blut in der Hinterhand, unsere U 19 ist Vizeweltmeister. Dazu kommen Spieler wie Moritz Wagner, Isaiah Hartenstein und David Krämer, die diesmal verletzt gefehlt haben. Das Team wird sich sicherlich punktuell verändern, aber der Geist bleibt bestehen. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, was die kommenden Jahre angeht.

    2026 gibt es für die Männer kein großes internationales Turnier. Wie bleibt das Nationalteam trotzdem erlebbar?

    Wir haben einige Heimspiele, ob in der WM-Qualifikation oder im Supercup, und das ist auch sehr wichtig. Allerdings wird die Mannschaft im November, wenn das nächste Zeitfenster für die Nationalteams ansteht, ein anderes Gesicht haben, weil die Jungs, die in der NBA oder in der EuroLeague spielen, dann nicht dabei sind. Aber es ist trotzdem die deutsche Nationalmannschaft, und es wird spannend sein zu sehen, was die Spieler aus der zweiten und dritten Reihe einbringen können.

    Wie schafft ihr es als Verband, nachhaltig von diesem Triumph zu profitieren?

    Das tun wir schon seit einigen Jahren. Wir hatten in der Pandemie keinen Mitgliederverlust, sind danach langsam gewachsen und verzeichnen seit dem WM-Titel und vor allem seit dem Gold der 3x3-Frauen bei Olympia in Paris einen echten Boom, die Zahlen sind regelrecht in die Höhe geschossen. Der Druck auf die Vereine und die Kommunen, ausreichende Nutzungszeiten für die Hallen anzubieten, wird dadurch immer höher. Wir arbeiten ebenfalls daran, im Marketing unser Portfolio weiter auszubauen, aber auch da sind wir schon sehr gut aufgestellt. Und auch wenn die Männer 2026 kein Großevent haben: Vom 4. bis 13. September nächsten Jahres sind wir mit Berlin Gastgeber der Frauen-WM, und die wollen wir nutzen, um unserem Sport einen weiteren Schub zu geben. Es ist schön, im Fernsehen und Livestream so erfolgreich zu sein und tolle Quoten zu erzielen. Aber unser Sport muss für die Fans auch live erlebbar sein, und dafür ist die Frauen-WM eine super Chance. Wenn alle gesund bleiben, haben wir auch dort ein Team, das um die Medaillen mitkämpfen kann.

    Finden wir zum Abschluss dennoch den Dreh zurück zu den Männern. Wie schafft ihr es, nun weiterhin die Bodenhaftung zu bewahren?

    In der Tat ist das etwas, das wir im Blick haben. Wir hätten auch EM-Silber gebührend gefeiert, denn auch das wäre eine großartige Leistung gewesen. Wir dürfen nicht so vermessen sein und glauben, dass wir jetzt bei jedem Turnier die Medaillen locker einsammeln. Es spricht für das Team, dass es mit aller Macht nach dem größtmöglichen Erfolg strebt. Eine Silber-Party wäre sicherlich nicht so rauschend gewesen, aber wir hatten einen Plan B. Dennoch bin ich froh, dass Plan A gegriffen hat. Das war der bestmögliche Abschluss dieses Sommers.

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