"Ein Architekt, der das Fundament der Olympischen Bewegung modernisiert und stabilisiert hat."
Zum Abschied von Thomas Bach als IOC-Präsident blickt Michael Vesper in einem persönlichen Brief auf gemeinsame Jahre und eine bis heute tragende Freundschaft zurück.

23.06.2025

Lieber Thomas,
nun ist es rund ein Vierteljahrhundert her, seit wir uns zum ersten Mal trafen und miteinander sprachen. Nach meiner Erinnerung war das in Paderborn – bei einer Veranstaltung zur damaligen Olympiabewerbung von Düsseldorf Rhein-Ruhr, an der Du als IOC-Vizepräsident und ich als NRW-Sportminister teilnahmen. Seither sind wir uns unzählige Male begegnet, und daraus ist eine enge Freundschaft entstanden, die bis heute trägt.
Ein weiteres Ereignis ist mir haften geblieben: die Eröffnung des Max-Ernst-Museums in Brühl im September 2005, das ich als auch für Kultur zuständiger Minister gefördert hatte. Damals war ich bereits aus der Landesregierung ausgeschieden, eingeladen hatte uns der Initiator Hans-Peter Krämer, Schatzmeister des NOK und Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Köln, und beim Buffet sprachen wir über den damals schon heiß diskutierten Fusionsprozess von DSB und NOK.
Das war eine ziemlich schwere Geburt, die ohne Dich als Geburtshelfer wohl nicht gelungen wäre. Ende 2005 trafen sich die beiden Organisationen in Köln zu getrennten „Bundestagen“. Während der DSB mit großer Mehrheit zustimmte, war es beim NOK äußerst knapp mit 2 Stimmen über dem notwendigen Quorum.
Am 20. Mai 2006 folgte dann in der Frankfurter Paulskirche die festliche Gründungsversammlung des neuen DOSB, bei der Du zu dessen erstem Präsidenten gewählt wurdest. In Deiner – wie üblich: nicht besonders knapp gehaltenen – Grundsatzrede hast Du all die Themen angesprochen, die uns auch heute noch bewegen: etwa das Bekenntnis zur Leistung, die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund durch Sport, die Herausforderungen demographischen Wandels, den Kampf gegen Doping, die notwendige Professionalisierung in den Verbänden einschließlich des DOSB und natürlich die gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports, der künftig „mit einer Stimme“ sprechen werde. Die Rede ist auch heute noch erstaunlich aktuell – außer dass der Bundespräsident nicht mehr Horst Köhler heißt, der Bundeskanzler nicht mehr Angela Merkel und der Sportminister nicht mehr Wolfgang Schäuble.
Diesen neuen DOSB dann zusammen mit vielen anderen aufzubauen, war unsere gemeinsame Herausforderung in den folgenden sieben intensiven Jahren. Ihr hattet mich zum ersten Generaldirektor berufen – als Scharnier zwischen Präsidium und Geschäftsstelle. Von Anfang an beeindruckte mich das große Vertrauen, das zwischen uns entstand und beständig wuchs – die wichtigste Ressource für erfolgreiche Arbeit. Und es gelang recht schnell, den neuen Dachverband zu einer Einheit zu schmieden – nicht ohne Konflikte, aber die konnten wir fair und respektvoll bereinigen.
Allerdings gab es auch Rückschläge. Der schlimmste Moment unserer aktiven Zusammenarbeit war sicher die Abstimmung von Durban im Juli 2011, als die Winterspiele 2018 vom IOC nicht an München, sondern schon im ersten Wahlgang an PyeongChang vergeben wurden. Dass wir zuvor in Garmisch-Partenkirchen ein Referendum mit 58 Prozent gewonnen hatten (im Unterschied zu späteren Referenden in München und Hamburg, die jeweils knapp scheiterten), kam dadurch leider nicht zum Tragen.
Gut zwei Jahre später, im September 2013, wurdest Du dann in Buenos Aires zum neunten Präsidenten des IOC gewählt. In den 12 Jahren Deiner Amtszeit hast Du das IOC in einzigartiger Weise weiterentwickelt – und das, obgleich sie von Beginn an durch eine Reihe wirklich wuchtiger Krisen gekennzeichnet war: zunächst den russischen Dopingskandal, dann die Pandemie, die die Verschiebung der Spiele in Tokio um ein Jahr erzwang, schließlich die Auswirkungen des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine und jetzt auch der Kriege in Nah-Ost.
Mittelpunkt waren für Dich stets die Athletinnen und Athleten und ihre Bühne, die Olympischen Spiele: deren einzigartige Universalität und deren Kraft, Brücken zu bauen und Türen zu öffnen – oder, wie Nelson Mandela es ausdrückte, „die Welt zu verändern“. Darum hast Du schon nach wenigen Wochen die Olympische Agenda 2020 angestoßen, die 40 konkrete Maßnahmen umfasste, um die Olympische Bewegung nachhaltiger, transparenter und glaubwürdiger zu machen. Nachdem diese Reformen umgesetzt waren, hast Du mit der Agenda 2020+5 gleich noch einen draufgesetzt. In diesem Zug hat das IOC auf Deinen Vorschlag das jahrhundertalte Olympische Motto „Citius, Altius, Fortius“ um den Begriff „Communiter“ ergänzt, ein wichtiges Signal, dass es um sportliche Höchstleistung und zugleich um Freundschaft, Respekt und Solidarität geht.
Deine über die Amtszeit hinauswirkenden Leistungen aufzuzählen, würde zu weit führen, aber einige nenne ich stichwortartig:
- Das IOC als Organisation, aber auch die Spiele sind athletenfreundlicher, jünger und weiblicher geworden, in Paris hat das IOC erstmals gleichviele Startplätze an Frauen wie an Männer vergeben;
- die Bewerbungsverfahren um die Ausrichtung Olympischer Spiele sind jetzt einfacher, flexibler und kostengünstiger;
- der Kampf gegen Doping wurde durch zusätzliche Mittel und Maßnahmen verstärkt und unabhängiger;
- die Beachtung der UN-Menschenrechtscharta wurde in die Anforderungen für Ausrichterländer aufgenommen;
- seit 2016 nimmt an den Spielen im Sommer jeweils ein Flüchtlingsteam teil;
- neue Sportarten und Disziplinen wie Skateboard, 3x3 Basketball, Breakdance und Klettern machen die Spiele auch für junge Menschen attraktiver;
- die wirtschaftliche Basis des IOC ist auf viele Jahre gesichert.
Und auch das ist ein Ergebnis Deiner Arbeit: Das IOC wird weltweit respektiert und gehört, nicht nur von der Vollversammlung der UN und den G20-Treffen. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung verfolgte die Olympische Spiele von Paris. Viele Städte in vielen Ländern wollen sie ausrichten – im Moment gerade auch wieder in Deutschland.
Du merkst: ich habe sehr gern mit Dir zusammengearbeitet und Zeit verbracht und dabei auch das eine oder andere Glas Rotwein – keine „Brühe“ – geleert. Du bist kein Revolutionär, sondern einer, der behutsam und planvoll verändert, der eine Idee zunächst entwickelt, sie in zahllosen Gesprächen prüft, abwägt und modifiziert, um sie schließlich in die Gremien einzubringen und umzusetzen. Eher bist Du ein Architekt, der das Fundament der Olympischen Bewegung modernisiert und stabilisiert hat.
Am 23. Juni, dem Olympic Day 2025, endet damit eine Ära. Dir folgt mit Kirsty Coventry eine Präsidentin nach, deren Beschreibung sich wie Bach‘sche Programmatik anfühlt: Sie ist Olympiasiegerin, eine junge Frau mit kleinen Kindern, auch in politischer Hinsicht erfahren und stammt aus Afrika. Eine solche Führung hat das IOC in den 130 Jahren seines Bestehens noch nicht gesehen.
Danke für Deine Freundschaft und ad multos annos!
Herzlichst, Dein Michael!
Zur Person Michael Vesper
Michael Vesper übernahm 2006 das Amt des Generaldirektors im neu gegründeten Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Nach einer Strukturreform wurde er 2014 DOSB-Vorstandsvorsitzender. Er blieb der Olympischen Bewegung auch nach seinem altersbedingten Ausscheiden aus dem DOSB zum Jahreswechsel 2017/18 treu und ist bis heute Senior Adviser im IOC. Außerdem hat er seit 2018 das Amt des Präsidenten des „Direktoriums für Vollblutzucht und Rennen“, also des Deutschen Galopprennsportverbands, inne.
Vor seinem Engagement im DOSB war er zwei Jahrzehnte Landespolitiker in Nordrhein-Westfalen. Als Minister verantwortete er ein umfangreiches Spektrum: Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Kultur und Sport.