„Generell gilt: Immer auf den eigenen Körper hören!“
Christine Joisten, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, erläutert die wichtigsten Verhaltensregeln für das Sporttreiben in der dunklen Jahreszeit sowie den Umgang mit Impfungen und Nahrungsergänzung.

06.10.2025

DOSB: Frau Professorin Joisten, der Herbst läutet die kalte, dunkle Jahreshälfte ein. Warum ist es so wichtig, gerade jetzt das Sporttreiben nicht zu vernachlässigen?
Christine Joisten: Generell fördert regelmäßige Bewegung die Herz-Kreislauf-Gesundheit, stärkt das Immunsystem und den Bewegungsapparat, verbessert den Stoffwechsel und die Psyche – Effekte, die in der Erkältungssaison und bei weniger Tageslicht besonders wertvoll sind. Als Ziel sollten 150 bis 300 Minuten pro Woche moderate oder 75 bis 150 Minuten wöchentlich intensive Bewegung plus zwei Krafteinheiten in der Woche erreicht werden.
Ist im Herbst und Winter Sport im Freien oder in der Halle besser, und was sind die wichtigsten Unterschiede im Hinblick auf gesundheitliche Effekte?
An sich wirkt beides erst einmal gleichermaßen gut. Draußen profitiert man zusätzlich von Tageslicht, was der zirkadianen Stabilisierung, also einem gesunden 24-Stunden-Rhythmus sowie der Stimmung zuträglich ist, drinnen von planbarer Temperatur und rutschfestem Untergrund. Kälte erhöht allerdings den Wärmeverlust und kann Leistung mindern, wenn man unzureichend aufgewärmt ist. Deshalb im Freien bewusst wärmen und auf Funktionskleidung achten. Drinnen ist das Verletzungsrisiko durch Ausrutschen oder Unterkühlung geringer, auf engerem Raum besteht aber eine höhere Infektionsgefahr zur Erkältungszeit. Entscheidend ist aber vor allem die Regelmäßigkeit, nicht der Ort.
Was ist beim Aufwärmen für Sport im Freien in den kommenden Monaten besonders zu beachten?
Es empfiehlt sich ein dynamisches Warm-up, zum Beispiel durch Mobilisieren und lockeres Antraben, über zehn Minuten. Danach kann man den Hauptteil starten, aber in den ersten Minuten etwas langsamer angehen. Sinnvoll ist auch, die Kleidung nach dem Zwiebelprinzip zu wählen: Funktionsunterwäsche, isolierende Schicht, wind-und wasserdichte Außenschicht, trockene Socken, Handschuhe und Mütze.
Muskelverletzungen wegen zunehmender Kälte sind eine Gefahr. Was tun, wenn die Muskeln nach dem Sport schmerzen oder sich tatsächlich eine Verletzung zeigt?
Leichte Muskelschmerzen nach ungewohnter Belastung sind meist harmloser Muskelkater. Er entsteht durch kleinste Faserschäden und Entzündungsreaktionen, die sich in den folgenden zwölf bis 72 Stunden bemerkbar machen. In diesem Fall helfen aktive Erholung, sanftes Dehnen, Wärme, lockeres Auslaufen oder Radfahren. Der Schmerz ist zwar unangenehm, verschwindet aber folgenlos von selbst nach einigen Tagen. Treten jedoch starke, stechende Schmerzen während oder unmittelbar nach der Belastung auf, möglicherweise begleitet von einer Schwellung, einem Hämatom oder Bewegungseinschränkung, deutet dies auf eine Muskelverletzung hin. Dies sollte ärztlich abgeklärt werden. Als Erstmaßnahme sollte die betroffene Extremität entlastet und vorsichtig gekühlt werden, begleitet von Kompression und Hochlagerung.
Der Herbst gilt als Hochzeit für Erkältungen. Was lässt sich tun, um diese zu vermeiden, und wie schützt man sich beim Sport im Freien optimal?
Im Herbst steigt das Risiko für Erkältungen deutlich an, deshalb lohnt es sich, vorbeugend auf einige Punkte zu achten. Wichtig sind eine gute Hygiene wie regelmäßiges Händewaschen und Hustenetikette, ausreichend Schlaf sowie eine abwechslungsreiche, vitamin- und mineralstoffreiche Ernährung. Beim Sport selbst gilt: Lieber maßvoll trainieren, anstatt in Phasen von Müdigkeit oder erhöhter Belastung ein extremes „All-out“-Programm zu absolvieren, da dies das Immunsystem sogar vorübergehend schwächen kann. Für den Sport im Freien bedeutet das konkret: warm starten, sich also mit einem kurzen Aufwärmprogramm auf Betriebstemperatur bringen, atmungsaktive Kleidung im Zwiebelprinzip tragen, darauf achten, nicht auszukühlen oder zu verschwitzt im Freien zu verweilen, und sich nach der Einheit zügig umzuziehen. Wer regelmäßig und in moderatem Umfang aktiv ist, stärkt nachweislich sein Immunsystem und reduziert das Risiko, in der Erkältungssaison krank zu werden.
Und wenn es einen doch erwischt, was sind die wichtigsten Regeln zum Bekämpfen des Infekts und im Hinblick auf den Wiedereinstieg in den Sport?
Wenn eine Erkältung oder Infektion auftritt, gilt als wichtigste Regel: Bei Fieber, Muskelschmerzen, Husten oder Schluck- und Brustschmerzen ist Sport tabu. In dieser Phase braucht der Körper Ruhe, um das Immunsystem nicht zusätzlich zu belasten und ernsthafte Komplikationen wie etwa eine Herzmuskelentzündung zu vermeiden. Handelt es sich nur um leichte Symptome der oberen Atemwege wie eine laufende Nase oder leichtes Kratzen im Hals, kann man vorsichtig Spaziergänge oder sehr leichte Bewegung einbauen. Sollte sich der Zustand verschlechtern, bitte ein oder zwei Tage pausieren. Erst wenn die Beschwerden vollständig abgeklungen sind, sollte man den Sport schrittweise über ein bis zwei Wochen wieder steigern. Wichtig ist, auf Warnzeichen zu achten: Treten Atemnot, Brustschmerzen oder Herzstolpern auf, muss eine ärztliche Abklärung erfolgen. So bleibt der Wiedereinstieg sicher und das Risiko für Folgeerkrankungen wird minimiert.
Im Herbst und Winter treibt es viele Menschen vermehrt in die Sauna. Wie setzt man diesen Wärmereiz möglichst zielführend ein, was ist für optimales Saunieren zu beachten?
Zwei bis drei Saunagänge von jeweils acht bis 15 Minuten mit Abkühl- und Ruhephasen können das Herz-Kreislauf-System günstig beeinflussen und subjektiv entspannen. Wichtig ist, ausreichend zu trinken, Alkohol zu meiden und bei akuten Infekten oder Fieber nicht zu saunieren. Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollten vorab ärztlich klären, in welchem Umfang das Saunieren für sie geeignet ist. Oft wird dann empfohlen, die Temperatur nicht über 80 Grad zu steigern und sich anschließend lauwarm statt eiskalt zu baden.
In diesen Wochen wird wieder verstärkt für Impfungen gegen die Grippe oder das Coronavirus geworben. Für wen sind sie sinnvoll, und welche Vorsichtsmaßnahmen sind im Zusammenhang von Impfung mit sportlicher Betätigung wichtig?
In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission die saisonale Grippeimpfung insbesondere für Menschen ab 60 Jahren, für chronisch Erkrankte, Schwangere sowie für Personen, die im Gesundheitswesen oder in Pflegeeinrichtungen arbeiten. Auch die jährliche Covid-19-Auffrischungsimpfung wird vor allem für die gleichen Risikogruppen empfohlen. Wer sich impfen lässt, sollte in den ersten 24 bis 48 Stunden auf hochintensive sportliche Belastungen verzichten. Leichte Bewegung wie Spazierengehen oder Radfahren ist in der Regel unproblematisch, solange keine systemischen Impfreaktionen wie Fieber, starke Müdigkeit oder Gliederschmerzen auftreten. Generell gilt: Auf den eigenen Körper hören – wenn man sich fit fühlt, spricht nach kurzer Schonzeit nichts gegen moderate Aktivität.
Auch psychische Belastungen nehmen im Herbst in der Regel zu. In welcher Form kann Sport helfen, hier gegenzusteuern, und welchen Sport empfehlen Sie?
Gerade in der dunklen Jahreszeit klagen viele Menschen über Stimmungstiefs oder fühlen sich psychisch stärker belastet. Bewegung wirkt nachweislich antidepressiv – die Effekte sind in Studien teilweise vergleichbar mit leichten bis moderaten medikamentösen oder psychotherapeutischen Maßnahmen. Besonders gut untersucht sind Ausdaueraktivitäten wie Gehen oder Laufen, gezieltes Krafttraining und auch Yoga. Empfehlenswert ist ein Einstieg mit drei Einheiten pro Woche à 30 bis 45 Minuten, wobei eine Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining besonders effektiv ist. Optimal ist Bewegung im Freien bei Tageslicht, weil zusätzlich die Lichtwirkung die Stimmung hebt. Auch der soziale Aspekt ist wichtig: Wer mit anderen trainiert – sei es in einer Gruppe, im Verein oder durch feste Verabredungen – bleibt meist länger am Ball und profitiert zusätzlich vom Gemeinschaftserlebnis.
Ein ganz wichtiger Punkt ist die Ernährung, die sich im Herbst und Winter, vor allem über die Advents- und Weihnachtszeit, verändert. Was empfehlen Sie, um den Körper nicht zu stark zu belasten?
Mediterrane Kost oder das Pendant aus dem Norden – die Nordic Diet – ist auch im Winter optimal: viel Gemüse und Obst, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Nüsse und hochwertige Pflanzenöle. Ein- bis zweimal pro Woche sollte fettreicher Seefisch auf dem Speiseplan stehen. Auf eine ausreichende Eiweißzufuhr achten – Richtwert ist 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht, ab 65 Jahren 1,0 bis 1,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Gerade in der Advents- und Weihnachtszeit empfiehlt es sich, Portionsgrößen im Blick zu behalten und Zucker sowie Alkohol zu begrenzen.
Ebenso wichtig ist die Flüssigkeitszufuhr. Ändert sich die empfohlene Trinkmenge, wenn es kalt ist und man beim Outdoor-Sport nicht mehr so viel schwitzt? Und wie stehen Sie zur Frage, auch mal warme Getränke wie Tee zu sich zu nehmen?
Das Durstempfinden kann bei Kälte gedämpft sein, obwohl Flüssigkeitsverluste durch Atmung, trockene Luft und Kleidung bestehen. Daher sollte man vor, während und nach dem Sport regelmäßig trinken. Bei längeren Belastungen über 60 bis 90 Minuten können Elektrolyte sinnvoll sein. Warme Getränke wie ungesüßter Tee sind empfehlenswert, sie unterstützen die Thermoregulation und werden in der kalten Jahreszeit vom Körper besser akzeptiert.
Braucht es im Herbst und Winter zusätzliche Unterstützung durch Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine, Mineralstoffe? Welche empfehlen Sie?
Generell braucht man keine Nahrungsergänzungsmittel, wenn kein nachgewiesener Mangel besteht. Die Basis sollte immer eine ausgewogene Ernährung sein. Allerdings ist im Winter in Deutschland die körpereigene Vitamin-D-Synthese reduziert. Daher empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung bei fehlender Sonnenexposition eine Supplementierung mit 20 µg pro Tag. Gegebenenfalls ist eine Blutuntersuchung sinnvoll, um tatsächlichen Bedarf und Dosierung individuell festzulegen.
Vielen Dank für das Gespräch, kommen Sie gesund und bewegt durch den Herbst!
Unsere Gesprächspartnerin
Prof. Dr. med. Christine Joisten (57/Köln) ist Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention e.V. (DGSP) und in deren 113-jährigen Geschichte die erste Frau an der Spitze. Sie war bis zu ihrer Wahl Vizepräsidentin für Standesfragen sowie für Aus-, Weiter- und Fortbildungswesen. Sie ist Fachärztin für Allgemeinmedizin mit den Zusatzbezeichnungen Sportmedizin, Ernährungsmedizin und ärztliche Psychotherapie und lehrt im Bereich der Medizin und der Sportwissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln, wo sie die Abteilung für Bewegungs- und Gesundheitsförderung leitet. Ihre Schwerpunkte liegen auf der Förderung von Bewegung aller Altersgruppen, der Prävention und der Behandlung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen sowie auf der Diabetesprävention. Seit 1998 engagiert sich Joisten im Vorstand des Sportärztebundes Nordrhein, dessen Vorsitzende sie ist. Desweiteren ist sie Mitglied zahlreicher Initiativen und Gremien wie dem Ausschuss „Public Health“ der Bundesärztekammer, der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter sowie stellvertretende Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats für Gesundheitsmonitoring und Gesundheitsberichterstattung des Robert-Koch-Instituts.