Mentale Gesundheit: Das sind die Angebote im DOSB
Birte Steven-Vitense und Leona Weber stellen aus ihrer Praxis als Welfare Officer dar, welche Unterstützung die Mitglieder des Team D in den Themenfeldern Mental Health und Schutz vor Gewalt bekommen.

24.11.2025

Wie viele Personen sind im DOSB hauptsächlich mit dem Thema Mentale Gesundheit befasst?
Die Themen Schutz vor Gewalt und Mentale Gesundheit im Leistungssport werden als Querschnittsthemen generell in der Arbeit des Gesundheitsmanagements im Geschäftsbereich Leistungssport mitgedacht und von dort aus auf interne und externe Anwendung geprüft. Es gibt also keinen Arbeitsbereich, der Mentale Gesundheit heißt und für den Personen hauptsächlich angestellt sind.
Seit wann ist das Thema als eigener Bereich auf der Agenda?
Die Sportpsychologie im Leistungssportsystem an sich hat das Thema mentale Gesundheit schon lange auf der Agenda. Aus strukturell-institutioneller Perspektive ist der „Welfare Officer“ seit den Olympischen Winterspielen in Peking 2022 während der Games Time eine feste Rolle für uns als NOK. Die Rolle in ihrer Grundform wurde vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) entwickelt und implementiert. Das IOC verdeutlicht damit, dass sportliche Wettbewerbe auf höchstem Niveau auch von einem Umfeld getragen werden sollen, das das Wohlergehen und den Schutz aller Teilnehmenden ernst nimmt und systematisch sowie professionell im Blick behält. Unter dem Begriff „Safe Sport“ fasst das IOC dabei die beiden Themenfelder Mentale Gesundheit (Mental Health) und Schutz vor Gewalt (Safeguarding) zusammen und gibt den NOKs über die Rolle des Welfare Officers für die jeweilige nationale Delegation eine Mit-Verantwortung in der Umsetzung während des Multisportevents.
Bekommt das Thema sowohl intern im DOSB als auch extern in der Sportgemeinschaft und der Gesellschaft mittlerweile die Aufmerksamkeit, die ihm gebührt?
Mentale Gesundheit - verstanden als ein Sammelbegriff für emotionales, psychologisches und soziales Wohlbefinden - ist heute sichtbarer, präsenter und ein Stück weit enttabuisiert, auch im Leistungssport. Psychologische Themen sind also insgesamt stärker in der Mitte der Gesellschaft angekommen, was einen wichtigen Fortschritt darstellt. Die Öffnung von prominenten Spitzensportler*innen hinsichtlich ihrer eigenen mentalen Verfassung hat dazu einen wertvollen Beitrag geleistet. Mentale Gesundheit sollte allerdings nicht als Diagnose, sondern als zentrales Entwicklungsthema begriffen werden. Psychische Störungsbilder, die sich klinisch diagnostizieren lassen, sind als wichtiges eigenes Themengebiet separat davon zu betrachten.
An wen richten sich grundsätzlich eure Angebote?
Grundsätzlich haben wir das Leistungssportsystem im Allgemeinen und natürlich unsere Mitgliedsorganisationen im Speziellen im Blick. Auf die Multisportevents bezogen: An alle Mitglieder des Team D während des Events selbst (Games Time).
Wenn wir zwischen Games Time und den Zeiträumen zwischen den Spielen unterscheiden: Was sind abseits der Olympischen Spiele die wichtigsten Themen im Bereich Mental Health, welche Angebote macht der DOSB den Athlet*innen, Trainer*innen und sonstigen Teammitgliedern in dieser Zeit?
Zwischen den Events ist das Ziel des Welfare-Officer-Teams, optimale Rahmenbedingungen zu schaffen, um für zukünftige Einsätze im Team D wirksam und sichtbar zu sein. Wir streben an, die Themen Mentale Gesundheit und Schutz vor Gewalt nachhaltig im Spitzensport zu positionieren, um damit das Bewusstsein für beide Themenfelder weiter zu stärken und gezielt ein gemeinsames Verständnis für die Arbeit im Leistungssportsystem aufzubauen. Wir wollen Brücken zwischen Menschen, Disziplinen und Systemen bauen, gleichzeitig wollen wir die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Gesundheitsmanagement (Ernährung, Medizin, Physiotherapie, Sportpsychologie) fördern und aktiv gestalten. Spitzensport stellt ganz klar auf Höchstleistung ab - dabei stehen sich Gesundheit und Leistung aber nicht gegenüber, sondern bilden im besten Fall eine untrennbare, wenn auch komplexe Einheit.
Wie ändert sich das Portfolio zu den Spielen? Zunächst in der Vorbereitung, was sind da die wichtigsten Themen auf der Agenda, und wie adressiert ihr diese an die Interessierten?
Vor Ort sehen wir unseren Beitrag als Welfare-Officer-Team vor allem darin, Räume zu schaffen: Räume für Reflexion, Klarheit, authentisches Miteinander, aber auch für Offenheit, Ehrlichkeit und Verletzlichkeit ohne Bewertung. Räume für Achtsamkeit und Entschleunigung, ohne dabei die Themen Druck und Hektik, die zwangsläufig bei Olympischen Spielen auftauchen und dazugehören, aus dem Auge zu verlieren. Räume, in denen wir verlässliche Ansprechpartner sind, unabhängig von Hierarchie, Funktion und Leistungskennzahlen. Unser Alleinstellungsmerkmal ist die weitgehende Unabhängigkeit und Neutralität, mit der wir auf die Situationen blicken und damit vielleicht auch neue Perspektiven eröffnen können. Wir möchten Eigenverantwortung, Orientierung und Klarheit in komplexen Situationen fördern und dazu beitragen, dass unabhängige und selbstbestimmte Entscheidungen auch unter Druck möglich sind. Unsere Arbeit soll kleine, spürbare Impulse schaffen, die dabei helfen können, unter dem verständlichen Druck der Olympischen Spiele klar zu bleiben, sich nicht zu verlieren - und vor allem handlungsfähig zu bleiben. Im Bereich Schutz vor Gewalt ist unser Ziel, das körperliche, emotionale und psychische Wohl aller Teilnehmenden des Team D auf der Agenda zu halten. Wir sind der zentrale Ansprechpartner für Schutzbelange und werden in die Klärung möglicher Vorfälle von physischer, emotionaler oder sexualisierter Gewalt einbezogen, wobei Vertraulichkeit gewahrt bleibt und unnötige Eskalation vermieden wird. Wir sind darin geschult, relevante Schutzrichtlinien und -verfahren anzuwenden, um mögliche Maßnahmen zu unterstützen, und wissen, welche Beteiligten einbezogen werden müssen. Das Welfare-Team kennt die konkreten Schutzmaßnahmen, die für die Olympischen Spiele umgesetzt wurden, sowie die Verantwortlichkeiten und verfügbaren Meldewege bei möglichen Anliegen. Wir haben dabei in allen Belangen die Betroffenenperspektive im Fokus und können in belastenden Situationen angemessen beraten und unterstützen.
Wie ist es während der Spiele? Mit wie vielen Personen seid ihr beispielsweise in Italien für das Thema Mentale Gesundheit aufgestellt, wie viele waren es in Paris, und wie viele Externe könnt ihr für ein Großereignis dazuziehen?
In Mailand/Cortina besteht unser Welfare-Officer-Team aus drei Personen. Wir besetzen physisch die beiden Zentralen Gesundheitsmanagement an den Standorten Mailand und Cortina, haben aber natürlich auch die weiteren Standorte im Blick. Zusätzlich sind vor Ort von den Verbänden auch sportpsychologische Expert*innen eingeplant. In Paris bestand das Welfare-Team aus vier Personen. Neben dem Team waren auch dort sportpsychologische Expert*innen für die Spitzenverbände im Einsatz.
Neu war in Paris der Fokus auf den Schutz vor Hate Speech in den sozialen Medien. Welche Erfahrungen habt ihr dort gesammelt und was habt ihr daraus für die Winterspiele 2026 gelernt?
Das Thema Hate Speech und Cyberbullying nimmt leider immer mehr zu. Auch während der Spiele in Paris gab es dazu Fälle im deutschen Team. Dank der guten Zusammenarbeit mit der Safe Sport Unit des IOC konnten Fälle vor Ort schnell bearbeitet und den Betroffenen geholfen werden. Das IOC nutzt ein KI-Tool für das Monitoring und die Analyse von Hate Speech während der Olympischen Spiele. Der DOSB geht sogar noch einen Schritt weiter und bietet dem Team D mit einem KI-Tool den Schutz der eigenen Social-Media-Kanäle an. In Paris haben das noch eher wenige Athlet*innen aktiv genutzt. Die Vorfälle haben aber gezeigt, dass es jeden treffen kann - auch Athlet*innen, die sonst weniger Medienpräsenz haben. Neben der technischen Unterstützung stehen wir in solchen Fällen auch für die Betreuung der Betroffenen zur Verfügung.
Wie bewertet ihr grundsätzlich die Bekanntheit eurer Angebote, und wie funktioniert generell die Zusammenarbeit mit den Athlet*innen?
Die Welfare-Rolle war in Paris von Beginn an kommuniziert - in Team-D-Calls, vor Ort über Aushänge und über die Team-D-App. Innerhalb der Zentrale Gesundheitsmanagement, in der auch die zentralen Dienste der Bereiche Medizin, und Physiotherapie angeboten werden, standen den Welfare-Officern ebenfalls eigene Räumlichkeiten zur Verfügung. Dennoch hat sich in der Rückbetrachtung der Spiele gezeigt, dass das Angebot noch nicht bei allen Team-D-Mitgliedern präsent war. Ein zentraler Bestandteil unserer Vorbereitung auf die Spiele in Mailand/Cortina ist es, nicht erst vor Ort sichtbar zu werden. Bereits im Rahmen der offiziellen Einkleidung erhalten alle Teammitglieder eine kleine mentale Skillsbox. Darin enthalten sind praxisnahe Werkzeuge, die im Alltag schnell nutzbar sind: zum Beispiel die MindConnection-Kartenbox. Vor Ort wird es ebenfalls wieder Aushänge mit unseren Kontaktinformationen geben, wir werden auch wieder in der Team-D-App sichtbar sein.
Welche Themen seht ihr in den kommenden Jahren als die wichtigsten an, gibt es vielleicht schon etwas in der Pipeline, an dem ihr arbeitet, was noch niemand kennt, oder habt ihr einen Wunsch für die Zukunft?
Wir haben die Vision „gesund erfolgreich, gemeinsam erfolgreich“ - daran arbeiten wir täglich. Unser Ziel ist es, die beiden Themenfelder Mentale Gesundheit und Schutz vor Gewalt im Leistungssport weiterzuentwickeln und sowohl die Handlungssicherheit als auch die Handlungsflexibilität aller Beteiligten zu erhöhen. Nicht als Gegenentwurf zu vorhandenem Leistungsdruck, sondern gerade weil „Leistungen unter Druck” den Kern von Spitzensport darstellen und ein professionelles Agieren unter Berücksichtigung von Themen wie mentaler Gesundheit als wesentlicher Beitrag zu einer gesunden und ganzheitlichen Leistungsentwicklung und -erbringung gesehen werden sollte.
Wer nun Gesprächsbedarf hat oder einfach mehr wissen möchte: Wie kommt man am besten mit euch in Kontakt? Gibt es eine offene Sprechstunde oder ähnliches?
Zunächst ist wichtig zu betonen, dass wir ein Thema wie Mentale Gesundheit in unserem Tagesgeschäft aus einer Management-Perspektive betrachten und bearbeiten. Daher bieten wir zum Beispiel auch keine offenen Sprechstunden für Athlet*innen an, stehen aber bei Informationsbedarf grundsätzlich allen Beteiligten des Leistungssportnetzwerkes und allen darüber hinaus Interessierten jederzeit zur Verfügung. Im Bedarfsfall verweisen wir an unser Expert*innen-Netzwerk. In operativer Perspektive stehen die sportpsychologischen Expert*innen der Spitzenverbände und Olympiastützpunkte den Athlet*innen und dem Betreuungspersonal ohnehin durchgängig als Gesprächspartner*innen zur Verfügung. Zwischen den Multisportevents wie den Olympischen Spielen sind wir als Welfare Officer nicht im Einsatz. Wenn jemand mehr wissen oder Ideen einbringen möchte, sind wir unter sportpsychologie(at)dosb.de ganzjährig erreichbar.


