"Rassismuskritik endet nicht mit einem Projekt"
Projektreferentin Sunbal Mahmood blickt in ihrer Abschlussrede auf drei Jahre „(Anti-)Rassismus im organisierten Sport“ zurück. Sie spricht über Erfolge, Lernmomente und darüber, warum echte Veränderung nur gelingt, wenn Betroffene gehört werden, Repräsentation geschaffen wird und rassismuskritische Haltung zur gelebten Praxis wird

18.11.2025

Wir möchten diesen Abschluss gerne nutzen, um zu reflektieren. Ich möchte sehr gerne an alle Anwesenden appellieren, heute zuzuhören und Sacken zu lassen bevor reagiert wird. Wenn wir uns mehr zuhören würden und versuchen würden unser Gegenüber zu verstehen oder uns in dessen Situation reinzuversetzen, wäre schon das schon ein Anfang. Auch bei Rassismuskritik geht es in erster Linie um Zuhören, Ernstnehmen, Glauben schenken.
Wir machen alle Fehler, wir sagen mal etwas Falsches und tun etwas Unüberlegtes. Aber es ist wichtig, offen genug zu sein, dass man sich selbst reflektieren kann. Einsicht zu zeigen. Daraus zu lernen und zu wachsen.
Durch die Vorstellung unserer Highlights in diesem Projekt möchten wir inspirieren, Mut machen und vor allem auch zeigen: Es war möglich, sich drei Jahre mit dem Thema im Dachverband des organisierten Sports auseinanderzusetzen, euch und weitere Personen dazuzuholen und einiges in Bewegung zu setzen.
Mir persönlich ist es ein großes Anliegen, Menschen mit an Bord zu holen, die selbst von Rassismus betroffen sind und im Themenbereich aktiv sind. Wir können diese Arbeit nicht machen, ohne Betroffene einzubeziehen und ihnen echte Teilhabe zu ermöglichen. Wir brauchen alle – weiße Menschen und BPoC. Nur dann können wir wirklich etwas verändern. Es reicht nicht, dass wir als Einzelkämpfer*innen isoliert rassismuskritische Arbeit leisten. Vernetzung ist hierbei so wertvoll: Man kann dadurch Erfahrungen miteinander teilen, was dazu führt, dass man realisiert, man ist nicht ganz so alleine mit der Arbeit, wie es sich oftmals anfühlt;
Wir können Frust ablassen – und ja, das ist wertvoller als es sich erst einmal anhört. In dieser Arbeit erleben v.a. rassifizierte Menschen tagtäglich sehr viel Verletzung. Mit all diesem Gewicht ist es nicht einfach, die Arbeit weiterzuführen. Umso wichtiger ist, dass wir dranbleiben. Dass wir sichtbar sind. Und dass wir für Personen, die nach uns kommen werden, Wege und Möglichkeiten schaffen.
Und wir können durch gegenseitige Stärkung, Teilen unserer Erfahrung, Einblicke und Wissen Strategien entwickeln, Dinge ins Rollen bringen und auch Großes bewirken.
Wichtig ist dabei jedoch, dass wir das nicht nur ehrenamtlich tun. Es braucht in den Sportstrukturen bis an die Spitzenebene Repräsentation. Der Sport ist momentan kein Spiegel der Gesellschaft, wenn es um die Repräsentation von versch. Menschengruppen in den Strukturen geht. Hier muss viel passieren, doch dafür braucht es Platz am Tisch. Machtabgabe.
Oder den ersten Schritt machen und offene, neue Stellen diverser besetzen. Dabei die eigenen möglichen Vorurteile und Stereotype erkennen und kritisch hinterfragen. Wenn wir Menschen aufgrund ihres Aussehens ihre Kompetenzen aberkennen, dann sorgt das für Diskriminierung. Ich möchte an Menschen, die Machtpositionen besetzen und möglicherweise darüber mitentscheiden können, wem sie die Türen in die Strukturen öffnen und wem nicht, adressieren: „Wie wahr ist der Satz wirklich ‚Es bewerben sich einfach keine BPoC bei uns?‘“ Und wenn er genau so stimmt, dann die Rückfrage: „Warum?“ Wird womöglich keine Repräsentation nach außen gezeigt? Sind die Strukturen nicht rassismuskritisch aufgestellt? Sind es rein weiße Organisationen und Strukturen? Und ist es wirklich wahr, dass sich keine BPoC beworben haben oder hat man aufgrund eigener Voreinstellungen diese nicht als passend für die Stelle erachtet? Das sind wichtige Fragen, die sich gestellt werden müssen.
Wir haben in unseren Highlights über all die Maßnahmen und Ziele gesprochen, die wir erreicht haben. Darüber sind wir sehr glücklich, denn manche werden auch Spuren im organisierten Sport bzw. der Sportlandschaft hinterlassen.
Wir wollen aber auch Lernmomente festhalten und sichtbar machen, wo noch Lücken sind. Denn wenn wir viel geschafft haben, dann ist noch umso mehr vor uns.
Im Rahmen des Projekts wurde die unabhängige Studie der Bergischen Uni Wuppertal veröffentlicht. Diese legt einen Grundstein für die Forschung zu Rassismus in Sport, welche bisher sehr dünn ist. Die Studie wird im Anschluss vorgestellt und wird wichtige Erkenntnisse benennen – Erfahrungen Schwarzer Sportler*innen, Engagement sowie Nicht-Engagement. Klar wird, dass es weitere anschließende Forschungen braucht. Es fehlen Zahlen, Daten und Fakten zu Rassismus im Sport – diese sind notwendig für Argumentationen und Handlungsempfehlungen.
Menschen, die von Rassismus negativ betroffen sind, kennen diese Fakten. Doch ihr Wort allein hat leider nicht gereicht. Eine Kollegin kam auf mich zu, nachdem ich die Kernaussagen der Studie vorgestellt hatte und sagte: „Das sind ja richtig traurige Zahlen.“
Ja, sind sie. Aber warum reagiere ich so nüchtern? Vielleicht weil ich mir die meisten Ergebnisse der Studie bereits denken konnte. Für die einen ist Rassismus sehr sichtbar und für andere so unsichtbar. Ich bedanke mich beim Forschungsteams, dass sie Fakten erforscht und auf Papier gebracht haben, damit sie von der Mehrheitsgesellschaft hoffentlich endlich auch wahrgenommen werden.
Eine weitere Leerstelle im Sport, die uns während unserer Projektlaufzeit immer deutlicher wurde: Unabhängige Anlauf- und Beratungsstellen zu Rassismus im Sport. Betroffene fühlen sich von den Sportstrukturen nicht aufgehoben. Diese Entwicklung – oder Nicht-Entwicklung- sorgt dafür, dass Betroffene wieder einmal selbst die Initiative ergreifen: Es gründen sich Selbstorganisationen, wie ROOTS – Against Racism in Sports, die Mentoring, Empowerment und Awarenessarbeit für den Sport leisten. Die Gründung und Aktion zeigt: Wo Strukturen starr sind, entstehen zwangsweise neue Wege. Das verdeutlicht, wie ausbaufähig die Verantwortungsübernahme seitens des organisierten Sports selbst ist.
Ich möchte gerne darauf aufmerksam machen, dass wir alle dasselbe Ziel haben, weswegen wir uns hier zusammengefunden haben. Wir müssen diese Kräfte bündeln und möglichst miteinander statt gegeneinander arbeiten. Dabei darf das zentrale Thema Rassismus im Sport aber nicht außen vorgelassen werden. Hierzu zählt auch, dass Personen, die nicht negativ von Rassismus betroffen sind, denjenigen zuhören und Glauben schenken, die es sind.
Dabei heißt es auch: Aushalten. Mit anderen Meinungen und Perspektiven umgehen lernen. Wenn wir ein ungutes Gefühl haben, während das Gegenüber von seinen oder ihren Erfahrungen berichtet, dann ist es wichtig, dass wir uns fragen: „Warum möchte ich mich verteidigen, obwohl es gar nicht um mich geht?“ „Warum möchte ich meinem Gegenüber die Erfahrung absprechen?“ „Warum reagiere ich sofort, statt zuzuhören und zu glauben?“
Diese inneren Konflikte müssen wir erkennen und kritisch hinterfragen. Es ist ungemütlich, sich mit Rassismus auseinander zu setzen. Keine Frage. Aber wie ungemütlich ist es dann wohl, tagtäglich davon betroffen zu sein? Ich möchte hiermit sagen: Ich verstehe, dass es nicht einfach ist. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass wir einen Schritt nach vorne gehen und da ansetzen, zu sagen: Es gibt Rassismus. Rassismus ist sichtbar und klar benannt. Erst dann können wir dem entgegenwirken.
Veränderung braucht Mut. Sie braucht Geduld. Und sie braucht langfristige Perspektiven.
Rassismuskritik lässt sich nicht in Projektlaufzeiten pressen.
Und nachhaltige Veränderung gelingt nur, wenn Repräsentation nicht als Zusatz gilt, sondern Grundhaltung & Handlung wird.
Wir haben auch gelernt, wie entscheidend Haltung „von oben“ ist.
Wenn Führungsebenen sich klar positionieren, wird auf einmal vieles möglich.
Wenn nicht – bleibt vieles blockiert.
Top-Down kann also tatsächlich Fortschritt schaffen – aber: Nur, wenn wir selbstkritisch bleiben. Denn nach Beginn dieses Projektes war eines schnell klar: Wir können keine rassismuskritische Arbeit nach außen leisten, wenn wir nicht auch nach innen kritisch sind.
Also trotz unserer stolzen Momente und Highlights, die wir heute präsentiert haben, wissen wir es gibt auch Ernüchterung.
Trotzdem – oder gerade deshalb – möchten wir diesen Moment feiern. Dieses Projekt hat durch viele von euch einiges bewegt. Wir konnten einen Schritt nach vorne machen. Und wir spüren, dass Bewegung da ist.
Wir sind traurig darüber, dass wir genau an dieser Stelle unsere Arbeit beenden müssen. Gleichzeitig sind wir hoffnungsvoll und optimistisch, wenn wir euch alle heute hier sitzen sehen. Das zeigt: Das Thema ist noch lange nicht vorbei. Menschen sind da, denen es wichtig ist und die dranbleiben werden.
Vielen Dank an alle, die mit Haltung, Energie und Herzblut dabei waren und heute hier sind.
Lasst uns dranbleiben. Strukturen verändern. Rassismuskritik im Sport verankern. In den Verbänden, in den Vereinen und in uns selbst.

„(Anti-) Rassismus im organisierten Sport“
Anfang 2023 haben die Deutsche Sportjugend im DOSB e.V. (dsj) und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) das gemeinsame Projekt „(Anti-) Rassismus im organisierten Sport“ gestartet. Das Projekt bietet die große Chance, die Antirassismusarbeit in der Vereins- und Verbandslandschaft nachhaltig zu stärken und Ideen für die Strukturen des organisierten Sports weiterzuentwickeln.


