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Andi Wellinger will bereit sein, wenn es wirklich zählt

Der zweifache Skisprung-Olympiasieger spricht im Team-D-Format „Trainingsfrei“ über die Höhepunkte seiner Karriere, sein Ziel für die Winterspiele in Mailand Cortina und die Folgen aus dem norwegischen „Anzug-Skandal“.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

18.11.2025

Ein Skispringer bei Nacht
Andi Wellinger liebt Flutlichtspringen.

Auf der Suche nach den Erfolgsgeheimnissen besonders hochdekorierter Athleten sind es oft die basalen Erkenntnisse, die überzeugen. Andreas Wellinger, zweifacher Olympiasieger im Skispringen, hat für seine Leistungsbilanz zumindest eine einleuchtende Erklärung: „Meine Leidenschaft zum Beruf machen zu können, ist ein Privileg, das ich sehr zu schätzen weiß. Dem Traum des Menschen, fliegen zu können, sind wir Skispringer relativ nah. So lange ich motiviert bin und es Spaß macht, werde ich springen“, sagt der 30-Jährige im Team-D-Format „Trainingsfrei“, das zum Start der Weltcupsaison 2025/26 an diesem Freitag in Lillehammer (Norwegen) auf den Team-Deutschland-Kanälen ausgespielt wird. Und wer dem gebürtigen Traunsteiner im Interview mit Team-D-Host Konstantin Füller zuhört, der erlebt einen Mann, dem die Liebe zu seinem Sport Höhenflüge ermöglicht hat, die er manchmal selbst nicht für möglich gehalten hätte.

Bis zu seinem 16. Lebensjahr hatte sich Wellinger, der am liebsten Andi genannt werden möchte, nicht zwischen Langlauf und Springen entscheiden können und war deshalb in der Nordischen Kombination gestartet. „Erst als ich einen Zwei-Minuten-Vorsprung aus dem Springen in der Loipe nicht mehr durchbringen konnte und drei Minuten nach dem Sieger ins Ziel gekommen bin, habe ich gewusst, dass ich mich aufs Skispringen konzentrieren sollte.“ Das tat er 2012 – und holte bei den Olympischen Jugendspielen in Seefeld (Österreich) direkt Gold im Mixed-Team-Wettkampf sowie Rang vier im Einzel. „Das war für mich die beste Vorbereitung für Olympia. Zwei Jahre später bei meinen ersten Winterspielen in Sotschi war ich nicht mehr so überwältigt“, sagt er.

Winterspiele 2018 in Südkorea sind Wellingers Karriere-Highlight

Wellingers Olympiageschichte startete 2014 in Russland mit Gold im Teamwettbewerb. Da war er 18 Jahre alt und stand ein Jahr vor dem Abitur. „In dem Alter als Olympiasieger nach Hause zu kommen, das ist bis heute etwas sehr Besonderes für mich“, sagt er. Dennoch sind es die Spiele von Pyeongchang vier Jahre darauf, die aus seiner langen Liste an Erfolgen herausstechen. Gold im Einzel von der Normalschanze, dazu Silber von der Großschanze und mit dem Team – „das war absolut überwältigend und das Highlight meiner Karriere!“ Dass im Skispringen nach dem Höhenrausch auch Tiefflüge drohen, erfuhr der 1,84 Meter große Athlet vom SC Ruhpolding im Jahr nach den Triumphen von Südkorea. Im Sommertraining zerschmetterte er sich im Juni 2019 das Knie. Es folgten ein Jahr Pause und zwei weitere Saisons mit großen Schwierigkeiten, die für seinen Sport notwendige Leichtigkeit zurückzugewinnen.

„Ich bin ein Bauchmensch, aber in der Phase hat mir das Instinktive gefehlt, und ich konnte nicht wirklich analysieren, was der Grund dafür war“, erinnert er sich. Kurz vor den Winterspielen 2022 in Peking erkrankte er zudem an Corona, so dass er die Reise nach China nicht antrat. „Ich hätte dort kein Faktor sein können“, sagt er. Erst ein Materialwechsel im Sommer 2022 brachte die Wende, in der Saison 2022/23 schaffte Wellinger nach sechs Jahren Wartezeit in Lake Placid (USA) wieder einen Weltcupsieg und holte bei der WM in Planica (Slowenien) Gold mit dem Mixed-Team, ebenfalls sechs Jahre nach seinem ersten WM-Triumph. Aus dieser Phase hat er einen wichtigen Glaubenssatz übernommen. „Man kann im Skispringen Erfolge nicht planen. Man muss bereit sein, seine Bestleistung abzuliefern, aber ob es dann reicht, hängt davon ab, ob man in den Flow kommt.“

  • Andreas Wellinger

    Es geht gar nicht darum, wer was gemacht hat, sondern darum, dass unser Sport darunter in der Breite sehr gelitten hat und wir diese Suppe jetzt gemeinsam auslöffeln müssen.

    Andi Wellinger
    Zweifacher Olympiasieger im Skispringen
    SC Ruhpolding

    Ob ihm das im Februar 2026 gelingen wird, wenn der olympische Wanderzirkus in Norditalien Station macht, bleibt abzuwarten. „Mein Ziel ist, dann in der Form zu sein, dass eine Medaille möglich ist“, sagt er. Seine Vorfreude auf den Saisonhöhepunkt ist indes schon jetzt riesig. „Wir können mit dem Auto anreisen, Familie und Freunde können dabei sein. Dafür nehmen wir in Kauf, dass wir es wegen der großen Entfernung nicht ins Deutsche Haus nach Cortina schaffen werden“, sagt er. Die Wettbewerbe in Predazzo/Val di Fiemme, die auch Langlauf und Kombination umfassen, „werden sich wahrscheinlich eher wie eine Nordische Ski-WM anfühlen und nicht wie Olympia. Aber mir ist es lieber, traditionelle Wintersportorte zu nutzen, wo die Tradition noch gelebt wird, anstatt an einem Ort alle Sportstätten neu zu bauen, die dann nicht mehr genutzt werden“, sagt er.

    Gespannt ist Andi Wellinger darauf, wie stark die Auswirkungen des „Anzug-Skandals“ um die Norweger Marius Lindvik und Johann André Forfang aus der vergangenen Saison nachhallen. „Dieser Vorfall hat dazu geführt, dass es einige Regeländerungen gibt, die ein neues Setup erfordern. Es war ein sehr intensiver Sommer, ich bin mit meiner Materialabstimmung noch immer nicht ganz zufrieden“, sagt er. Der Zorn über das rücksichtslose Vorgehen des norwegischen Teams bei der Heim-WM in Trondheim im März ist auch bei Wellinger nicht verraucht. „Es geht gar nicht darum, wer was gemacht hat, sondern darum, dass unser Sport darunter in der Breite sehr gelitten hat und wir diese Suppe jetzt gemeinsam auslöffeln müssen.“

    Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee ist sein größter Wunsch

    Gelegenheiten dazu gibt es in der neuen Saison genug. Zwischen dem Weltcupstart, der die Springer im Anschluss an das Wochenende in Lillehammer Mitte kommender Woche nach Falun (Schweden) und am darauffolgenden Wochenende nach Ruka (Finnland) führt, und den Olympischen Spielen liegt zum gewohnten Zeitpunkt Ende Dezember/Anfang Januar die Vierschanzentournee. Dürfte er wählen, würde Andi Wellinger einen Gesamtsieg beim prestigeträchtigsten Wettbewerb seines Sports sogar einem weiteren Olympiagold vorziehen. „Es wird Zeit, dass mal wieder ein Deutscher gewinnt. Am 6. Januar wird es so weit sein. Nur das Jahr müssen wir noch herausfinden“, sagt er augenzwinkernd.

    Sollte es nicht 2026 sein, dann ist der Team-Deutschland-Athlet auch darauf vorbereitet. „Als Sportler bist du getrieben davon, Perfektion abzuliefern. Aber nur einer kann ganz oben stehen. Meine Motivation war immer, es wieder und wieder nach ganz oben zu schaffen. Dass das nicht immer geht, ist mir aber bewusst.“ Und so wird Andi Wellinger die kommenden Weltcupwochen zu nutzen versuchen, um bereit zu sein, wenn es richtig zählt.

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