Ein Besuch in der Medaillenschmiede des deutschen Sports
Das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten sorgt seit 1963 für technische Innovationen, die den Unterschied machen können. Die Herausforderungen sind groß, Leidenschaft und Expertise der gut 90 Mitarbeitenden aber noch größer.

01.12.2025

Um die Stahltür zu öffnen, die eins der Heiligtümer des Hauses schützt, muss Ronny Hartnick, den man beileibe nicht als halbe Portion bezeichnen kann, eine Menge Kraft aufwenden. Als sie endlich zur Seite schwingt und den Blick freigibt auf einen zwölf Meter langen Tunnel, der aussieht wie eine MRT-Röhre, in die man bequem zehn Menschen auf einmal hineinschieben könnte, erfüllt ein Strahlen sein Gesicht. „In diesem Gerät haben wir den Vierer gefertigt, mit dem die deutschen Kanuten in Paris Gold gewonnen haben“, sagt er – und wirkt dabei wie ein stolzer Vater, der seine Kinder für ein Einser-Zeugnis lobt. Wie viel Herzblut und Leidenschaft in diesem von außen unscheinbaren Industriekomplex an der Tabbertstraße in Berlin-Oberschöneweide stecken – das wird in dem Moment greifbar, in dem Ronny Hartnick vor dem größten von vier Autoklaven steht und dem Besuch aus dem DOSB dessen Bedeutung näherzubringen versucht.
Der 46-Jährige ist stellvertretender Direktor und Chef der Abteilung Projektleitung im Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES). Gemeinsam mit dem Institut für Angewandte Trainingswissenschaften (IAT) in Leipzig bildet der eingetragene Verein das wissenschaftliche Fundament des deutschen Hochleistungssports. Vorsitzender des gemeinsamen Trägervereins ist DOSB-Vizepräsident Prof. Dr. Martin Engelhardt, Olaf Tabor als Vorstand Leistungssport im DOSB ist ebenfalls als Vorstandsmitglied involviert. Gäbe es das FES nicht, wäre die Medaillenbilanz von Team D bei Olympischen Spielen noch dürftiger, insbesondere die Stärke im Eiskanal fußt auf dem, was an der Tabbertstraße entwickelt wird. „Bausteine für Olympiasiege“, so lautet das Motto, das die rund 90 Mitarbeitenden ihrer Arbeit vorangestellt haben. Und wer die Gelegenheit bekommt, das Institut zu besuchen, der kann sich davon überzeugen, wie intensiv dieser Leitspruch gelebt wird.
11,008 Millionen Euro kommen aus Bundesmitteln
Einen wichtigen Teil der Verantwortung dafür trägt Michael Nitsch. Der 60-Jährige, geboren in Ost-Berlin, gelernter Maschinenbauer und seit 1992 im FES tätig, ist seit sieben Jahren dessen Direktor und ein Mann, der klare Worte schätzt. „Unser Anspruch ist es, in den Sportarten, die wir betreuen, die besten Sportgeräte der Welt zu liefern“, sagt er, „dafür braucht es Weltklasse-Arbeitsbedingungen, um die wir immer aufs Neue kämpfen müssen.“ 12,564 Millionen Euro beträgt der Haushaltsetat für das laufende Jahr, davon kommen 11,008 Millionen aus Bundesmitteln. Steuergeld also, dessen Verwendung penibel kontrolliert wird. „Wenn wir unsere Leistung nicht nachweisen können, verlieren wir unsere Existenzberechtigung. Das ist die Herausforderung, der wir uns jedes Jahr aufs Neue stellen. Wir sind als eingetragener Verein nicht auf Gewinnmaximierung aus, sondern darauf, dem deutschen Sport die besten technologischen Rahmenbedingungen zu ermöglichen“, sagt er.
Auf drei Säulen fußt die Arbeit des Instituts: Entwicklung von Sportgeräten, Entwicklung von Mess- und Informationssystemen und Bereitstellung wissenschaftlicher Unterstützungsleistungen. „Nur rund zehn Prozent unseres Etats gehen in die Verwaltung und Administration unseres Instituts. Fast alles, was wir haben, stecken wir in den Sport“, sagt Michael Nitsch. Die größte Herausforderung besteht darin, Personal zu finden, das bereit ist, den Wettbewerb anzunehmen, dem sich das FES stellt. Rund 70 Prozent des Haushalts fließen in den Personaletat. Und wenn man weiß, dass die Belegschaft zu großen Teilen aus hochqualifizierten Ingenieuren verschiedener Fachrichtungen, Software- und Messtechnikentwicklern sowie Metall- und Kunststoffspezialisten besteht, dann ist es leicht auszurechnen, dass diese Fachleute in der freien Wirtschaft deutlich mehr Geld verdienen könnten.
„Alle, die bei uns sind, tun das, weil es sie reizt, sich im Wettbewerb um die besten Ideen zu messen. Und auch, weil sie es spannend finden, das Team D zu unterstützen und zu dessen Erfolg beizutragen“, sagt Ronny Hartnick. Dabei helfe natürlich eine Sportbegeisterung, die viele Mitarbeitende mitbringen. „In erster Linie aber geht es darum, dass sie besessen davon sind, auf ihrem Gebiet die Besten zu sein und Technik zu entwickeln, die auch fünf Jahre später noch innovativ ist, denn das ist der Vorsprung, den wir brauchen, um Weltspitze zu sein“, sagt der gebürtige Cottbuser, der Maschinenbau studiert hat, 1998 als Schüler nach dem Abi zum Praktikum ins FES kam und seit 2005 dort fest angestellt ist.
Diesen Weg beschreiten auch heute noch viele der Mitarbeitenden. 20 studentische Praktikant*innen und sieben Werkstudent*innen sind aktuell im FES tätig, es besteht eine enge Kooperation mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin. „Wir versuchen, eine enge Bindung zum potenziellen Nachwuchspersonal aufzubauen, bevor die Angebote aus der freien Wirtschaft kommen“, erklärt Ronny Hartnick, während er den DOSB-Besuch schnellen Schrittes durch die Flure des dreistöckigen Institutsgebäudes führt.
Die Fachverbände sind nicht vertraglich verpflichtet, FES-Produkte zu nutzen, sie dürfen auch mit externen Herstellern arbeiten, was manchmal auch passiert. „Das ist zwar nicht schön, aber gehört zum Wettbewerb dazu“, sagt Michael Nitsch. Manchmal verlangen die Regeln internationaler Sportverbände die kommerzielle Verfügbarkeit, jedoch sind die Entwicklungen in der Regel exklusiv dem deutschen Leistungssport vorbehalten. Und die Resultate sind in Medaillen messbar. Bei den Olympischen Winterspielen in Peking vor vier Jahren waren FES-Entwicklungen an 21 der 27 gewonnenen Medaillen beteiligt. Im Sommersport stieg der FES-Beitrag von zehn aus 37 Medaillen 2021 in Tokio auf zwölf aus 33 in Paris 2024. „Wir sind stolz auf diese Zahlen, aber wir ruhen uns darauf sicherlich nicht aus“, sagt Michael Nitsch.
Austausch mit internationalen Kollegen erweitert den Horizont
Als das FES 1963 in der damaligen DDR gegründet wurde, zählten nur die Wassersportarten Kanu, Rudern und Segeln zu seinen Kunden. Heute werden zusätzlich die Disziplinen Bob, Eisschnelllauf, Radsport, Rodeln, Skeleton, Ski alpin und Ski nordisch, Schwimmen und Triathlon betreut. Auch im Parasport ist das Institut in sechs Disziplinen engagiert. Von den fünf Standorten mit 185 Mitarbeitenden, die 1989 im FES-Dienst standen, sind nur Berlin als Zentrale und Oberhof als Außenstandort für Rodeln und Skeleton geblieben. Nach der Wiedervereinigung gab es im Westen auch bezüglich des FES die bekannten Bestrebungen, alle Verbindungen zum DDR-Sport zu kappen. „Zum Glück wurde damals aber der Mehrwert erkannt, den das Institut bietet. Wenn man heute Vergleichbares aufbauen wollte, würde das ein Vielfaches kosten“, sagt Ronny Hartnick.
In Deutschland sucht man Vergleichbares vergeblich. International ist das Australian Institute of Sport (AIS) am ehesten mit dem FES komparabel, auch in Großbritannien, wo British Cycling technischer Vorreiter ist und eine hohe Zahl an Formel-1-Ingenieuren ihre Wurzeln hat, wird auf Vorsprung durch Technik gesetzt. „Wir tauschen uns durchaus mit internationalen Kollegen aus, das befruchtet die eigenen Prozesse und erweitert den Horizont. Aber alle hier wissen, wie viel man in Gesprächen sagen darf. Wenn uns jemand verlässt, dann bisher nie zur direkten Konkurrenz“, sagt Ronny Hartnick. Angebote zum Beispiel aus China, das an deutscher Technologie weiterhin großes Interesse zeigt, habe es natürlich schon gegeben. Angenommen wurden sie nicht.
Wodurch das FES besonders besticht, ist die Möglichkeit, eine technische Innovation von der Idee über die Konzeption und Produktion bis zur Instandhaltung aus einer Hand anzubieten. Die Wege zwischen den Abteilungen sind kurz, die Abstimmungshierarchien flach. „Dadurch sind wir in der Umsetzung in der Regel deutlich schneller“, sagt Ronny Hartnick. Spezialanfertigungen oder hohe Stückzahlen von Bauteilen, die die Produktionskapazität im FES überschreiten, werden auch mal an externe Partner ausgelagert. „Aber alle Prototypen und alle für die Wettkämpfe benötigten Sportgeräte wie Schlitten, Bobs oder Fahrräder kommen aus Schöneweide“, sagt Hartnick, der seine praktischen Erfahrungen über viele Jahre im Radsport sammelte.
Ein Rundgang durch die Büroräume und Werkstätten ist auch für Techniklaien hochinteressant. Umso erstaunlicher mutet es an, dass längst nicht alle DOSB-Verbandsberater*innen und Sportdirektor*innen der Fachverbände schon einmal den Weg in die Tabbertstraße gefunden haben. „Wir würden uns sehr freuen, wenn noch mehr Funktionsträger, die unsere Arbeit bewerten oder in ihren Sportarten nutzen, zu Besuch kommen würden. Wir wollen unsere Arbeit transparent darstellen und zeigen gern, was hier trotz manchmal knapper Mittel alles möglich ist“, sagt er.
Und hält anschließend Wort. Jede der Werkstätten im Erd- und Mittelgeschoss der Liegenschaft, die der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) gehört und seit dem Jahr 2000 vom FES genutzt wird, steht dem Besucher vom DOSB offen. Es gibt Versuchslabore, in denen an Innovationen getüftelt wird, von denen am Ende nur zehn Prozent das Licht der Öffentlichkeit erblicken – Forscher*innenschicksal, das den Mut zum Risiko, den es für nachhaltige Innovationen braucht, einschließt. In zwei Räumen sind mehrere Dutzend 3-D-Drucker 24/7 in Betrieb. Ehrfürchtig schaut der Laie einem Fünf-Achs-Fräszentrum bei der Arbeit zu, an anderer Stelle wird mittels einer 6000-bar-Hochdruckpumpe ein Wasser-Sand-Gemisch derart kraftvoll einsetzt, dass damit zentimeterdicker Stahl geschnitten werden kann. „Wer da den Finger reinhält, hat keinen Finger mehr“, sagt Ronny Hartnick. Macht aber niemand, die Feinmechaniker, die hier arbeiten, sind ebensolche Fachleute wie die Quereinsteiger aus anderen Berufen. „Wir brauchen Leute, die von der Norm abweichen“, sagt Hartnick.
Athlet*innen werden ermutigt, Feedback zu geben
Das gilt auch für die Werkstatteinrichtung. Besonderen Eindruck hinterlässt der im Texteinstieg schon erwähnte Autoklav, ein gasdicht verschließbarer Druckbehälter, in dem bei einer Temperatur von bis zu 120 Grad und einem Überdruck von sieben bar die Kohlefaserprodukte „gebacken“ werden, wie es im Fachjargon heißt. Das sorgt dafür, dass die aus Kohlefaser gefertigten Bauteile noch leichter und steifer sind. „Genau diese Prozente, die wir dadurch herausholen, sind es, die den Unterschied machen können“, sagt Ronny Hartnick. Den Unterschied von Hundertstelsekunden, die in Präzisionssportarten im Eiskanal über Olympiasiege entscheiden, und den sie im FES aus allen Einzelkomponenten herauszukitzeln versuchen. Wenn man weiß, dass allein der Rahmen eines Wettkampfrads aus 600 einzelnen Kohlefaserzuschnitten besteht und das ganze Rad aus 1700, kann man ermessen, wie viel Detailversessenheit notwendig ist, um nachhaltige Optimierungen möglich zu machen.
Besondere Freude haben sie deshalb im FES an Athleten, die sich für die technischen Feinheiten interessieren und ihre Sicht der Dinge einbringen. Dass hier nur die männliche Form verwendet wird, ist zwar nicht zu 100 Prozent korrekt. Das Klischee jedoch, dass Männer mehr Begeisterung für Technik mitbringen, bestätige sich immer wieder, sagt Ronny Hartnick. Das kann manchmal anstrengend sein, deshalb sei es für die Mitarbeitenden auch vollkommen okay, wenn das Vertrauensverhältnis so groß ist, dass man sie einfach machen lässt. Man ermutige jedoch ständig alle Athlet*innen, zu ihren Sportgeräten oder zur Messtechnik Feedback zu geben. „Die Erfahrungen, die die Sportlerinnen und Sportler machen, sind für uns extrem wertvoll. Sie sind es doch, für die wir die Arbeit machen!“
Damit diese Arbeit auch künftig den Unterschied ausmachen kann, wird auf der Vorstandssitzung des Trägervereins am 5. Dezember in Frankfurt am Main das neue „Zukunftskonzept 2033“ der Institute IAT und FES zur Abstimmung gestellt. Inhalte daraus werden vorab nicht verraten. „Was ich sagen kann: Wenn wir uns alle eng zusammenschließen, können wir für den deutschen Sport auch weiterhin richtig was bewegen“, sagt er zum Abschied. Daran besteht nach einem Nachmittag voller Inspiration wahrlich kein Zweifel.



