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„Lisas Literatur-Likes“: Ein Buch, das meine Perspektive verändert hat

Lisa Mayer (29), Bronzegewinnerin bei Olympia in Paris mit der 4x100-Meter-Sprintstaffel, gibt in ihrer Kolumne Literaturtipps und empfiehlt in Teil sechs den Essay-Band „Eure Heimat ist unser Albtraum“.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

23.06.2025

Buchcover auf E-Reader
Die Worte Eure und unser sind bewusst in derselben Farbe wie der Hintergrund gehalten.

Warum dieser Autor und dieses Buch? 

Über ein Instagram-Profil bin ich auf das Buch „Eure Heimat ist unser Albtraum“ gestoßen. Louisa Dellert führt ein Café mit kleiner Buchhandlung in Braunschweig und stellt auf ihrem Profil immer mal wieder Bücher vor. Die Thematik des 2019 erschienen Essay-Bands, der von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah herausgegeben wurde, hat mich direkt angesprochen, auch weil ich mal wieder etwas anderes als einen klassischen Roman oder Thriller lesen wollte. 

Worum geht es? 

„Eure Heimat ist unser Albtraum“ ist ein Sammelband aus 14 gesellschaftskritischen Essays von verschiedenen Autor*innen vielfältiger Herkunft. Jeder Essay beschäftigt sich mit einem thematischen Schwerpunkt, wie zum Beispiel Arbeit, Essen oder Blicke. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff „Heimat“ haben alle gemein. „Heimat“ ist ein mittlerweile politisch aufgeladener Begriff, nicht zuletzt durch das 2018 umbenannte „Heimatministerium“. Auch wird er leider im rechten Gedankengut immer mehr zum zentralen Motiv. Für mich persönlich ist Heimat der Ort, an dem ich aufgewachsen bin und wo ich mich zu Hause fühle. Aber es ist wichtig zu betonen, dass Heimat kein Ort sein muss, sondern vielmehr ein Gefühl beschreibt; es ist also weniger eine örtliche als eine emotionale Heimat, die in den Texten thematisiert wird. 

Womit punktet das Buch besonders? 

Im Vorwort wird genauer auf das Cover eingegangen. Die Worte „Eure“ und „unser“ sind bewusst im selben Lila-Ton wie der Hintergrund gehalten. Die Herausgeber*innen und Verfasser*innen maßen sich nicht an, über die Zuteilung von „Ihr“ und „Wir“ zu entscheiden, „sondern jede*r Leser*in bestimmt für sich selbst: Will ich in einer Gesellschaft leben, die sich an völkischen Idealen sowie rassistischen, antisemitistischen, sexistischen, heteronormativen und transfeindlichen Strukturen orientiert? Oder möchte ich Teil einer Gesellschaft sein, in der jedes Individuum, ob Schwarz und/oder jüdisch und/oder muslimisch und/oder Frau und/oder queer und/oder nicht-binär und/oder arm und/oder mit Behinderung gleichberechtigt ist?“ (Zitat S.9). Die Essays dienen dem Leser als Einstieg in sensible, hochkomplexe gesellschaftliche Debatten, sie fordern zum Nachdenken auf und regen dazu an, sich und seine Denkweise zu hinterfragen. Neben den persönlichen Perspektiven der Autor*innen verweisen sie auch immer wieder auf die Verankerungen in strukturellen Ebenen.

Wie war das Lesegefühl? 

Insgesamt ist es kein Buch, das man einfach mal so „wegliest“. Im Gegenteil: Ich habe es immer mal wieder in die Hand genommen, ein, zwei Essays gelesen und dann wieder weggelegt. Ich hatte das Empfinden, jedem Essay seinen Raum geben zu wollen. Ich habe mir bewusst die Zeit genommen, um über das Inhaltliche nachzudenken. Einige Essays habe ich auch noch ein zweites Mal gelesen, bevor ich zum nächsten weitergegangen bin. Die Essays unterscheiden sich in ihrer Schreibweise teils deutlich voneinander. Einige sind rational und analytisch geschrieben, andere wiederum mit Humor und dem Hang zur Ironie, wiederum andere wirken aus großen Emotionen heraus verfasst, sie sind wütend und anklagend. Diese Subjektivität in vielen Essays hat mich zu Beginn verwundert, da ich sonst von solchen Bänden eher eine objektivere Schreibweise gewöhnt bin und diese erwartet hatte. Aber im Verlauf der Lektüre habe ich mich damit gut zurechtgefunden, habe angefangen, mich selbst und meine Denkstrukturen zu hinterfragen und in manchen Alltagsszenen an Passagen aus bestimmten Essays gedacht. Ich habe das Gefühl gewonnen, dass ich dank der Lektüre ein wenig wachsamer durch den Alltag gehe und manche Situation anders ansehe und bewerte.

War der Umfang angemessen?

Da es kein klassischer Roman mit durchgängiger Handlung ist, die man von Anfang bis Ende verfolgen möchte, kann ich diese Frage nur dahingehend beantworten, dass ich als Leserin selbst bestimmen kann, in welchem Umfang ich die Lektüre der 272 Seiten angehe. Jeder Essay ist für sich abgeschlossen, ich empfehle aber, wie bereits geschrieben, sich Zeit für die Nachbereitung zu nehmen und Raum für Gedanken einzuplanen. 

Werde ich den Autor und/oder die Thematik weiterverfolgen? 

Themen wie Diskriminierung, Ausgrenzung, Identität, kulturelle Vielfalt und Zugehörigkeit sind in unserer heutigen Zeit wichtiger denn je. Ich will und werde mich damit noch mehr auseinandersetzen. Manche vorurteilsbehafteten Muster sind – auch strukturell bedingt – sehr stark in unserem Denken und Handeln verankert und können dank der Beschäftigung mit ihren Hintergründen durchbrochen werden.

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