„Meine dringende Bitte lautet: Keine Experimente machen!“
Sportveranstaltungen in China stellen Leistungssportler*innen vor große gesundheitliche Herausforderungen. Katharina Blume, Leiterin des medizinischen Teams, erläutert, worauf bei den World Games in Chengdu zu achten ist.

22.07.2025

Sie selbst hat aktiv Tennis gespielt. Als Verbandsärztin im Biathlon und im Rudern und als DOSB-Teamärztin bei den World Games 2022 in den USA und den Olympischen Spielen 2024 in Paris hat sie viele Erfahrungen angeeignet, die ihr bei der Betreuung eines Multisport-Events zugutekommen. Dennoch wird auch Dr. med. Katharina Blume zumindest ein wenig aufgeregt sein, wenn sie am 1. August in Frankfurt am Main in den Air-China-Flieger nach Chengdu steigt. In der 20-Millionen-Einwohner-Stadt in der südwestchinesischen Provinz Szechuan stehen vom 7. bis 17. August die World Games auf dem Programm, die Weltspiele der nicht-olympischen Sportarten. Die deutsche Delegation besteht aus 213 Athlet*innen und 106 Teammitgliedern, und die Kardiologin und Internistin, die am BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin arbeitet, ist mit ihrem Team für die medizinische Betreuung zuständig. Für ihr Engagement nimmt sie sich gezielt Zeit - außerhalb ihrer regulären Tätigkeit in der Klinik, teils im Rahmen von Urlaub, teils durch unbezahlte Freistellungen. „Solche Veranstaltungen sind für mich ein besonderes Highlight. Ich freue mich sehr darauf und hoffe, dass wir viele ruhige Momente erleben werden, um entspannt die Wettkämpfe verfolgen zu können.“
DOSB: Katharina, du leitest das medizinische Team, das die deutsche Delegation zu den World Games nach Chengdu begleitet. Wie viele Personen seid ihr und wie darf man sich eure Arbeit vor Ort vorstellen?
Katharina Blume: Wir sind zu siebt und kennen uns bereits zum Teil von vorherigen Events. Daniel Hensler ist Orthopäde und Unfallchirurg, gemeinsam mit ihm decke ich als Internistin und Kardiologin die wichtigsten medizinischen Kernbereiche ab. Dazu kommen unsere vier Physiotherapeuten Andreas Richter, Stefan Kalteis, Sandra Zitzler und Victoria Nolte und unser Psychologe Christian Heiss. Wir bieten medizinische Betreuung für das gesamte Team D, also nicht nur für die Athletinnen und Athleten, sondern auch für die Delegation. Wenige Verbände haben auch noch eine eigene medizinische Betreuung, mit der wir im ständigen Austausch sind und uns gegenseitig unterstützen.
Habt ihr vor Ort eigene Räume oder seid ihr mobil unterwegs?
Der Unterschied zu Olympischen Spielen ist, dass bei den World Games die Sportlerinnen und Sportler nach Sportarten untergebracht sind und nicht nach Nationen. Das macht es ein wenig schwieriger, den Überblick zu behalten. Wir haben im Cluster A, wo der Großteil der deutschen Delegation untergebracht ist, Räume in einem Komplex angemietet, der direkt neben dem Athletendorf liegt. Die Informationslage ist noch etwas spärlich, aber es sieht so aus, dass wir dort mit vielen Gesundheitsteams anderer Nationen untergebracht sind und deshalb so eine Art medizinisches Zentrum vorfinden werden. Ein Teil unseres Teams ist immer dort anzutreffen, vor allem hat unser Psychologe einen ruhigen Rückzugsraum für Gespräche. Wir werden aber auch im Cluster B regelmäßig anwesend sein. Außerdem sind wir an den Wettkampfstätten unterwegs, um den direkten Kontakt zu suchen und, wenn mal etwas freie Zeit bleibt, auch Sport schauen und anfeuern zu können. Wir machen selbstverständlich auch „Hausbesuche“, weil wir möchten, dass sich erkrankte Personen möglichst in ihren Zimmern isolieren, um die Ansteckungsgefahr so gering wie möglich zu halten.
Habt ihr vor Ort medizinisches Gerät oder nutzt ihr Einrichtungen, die die Organisatoren der Spiele bereitstellen?
Die Notfallversorgung ist sichergestellt, wir haben alles, um die Erstbehandlung bei Erkrankungen oder Verletzungen zu übernehmen. Bei schweren Verdachtsfällen oder Diagnosen nutzen wir die Anbindung an das Organisationsteam, da können wir auf alles Notwendige zurückgreifen, und aus Erfahrung wissen wir, dass die Versorgung in Asien sehr gut ist. Wir arbeiten eng mit den Teams vor Ort zusammen - relevante medizinische Entscheidungen werden stets im gemeinsamen Austausch getroffen, nicht an uns vorbei.
Dann lass uns über die wichtigsten Themen sprechen, die euch beschäftigen. Beginnen wir mit dem Klima, das Mitteleuropäer vor große Herausforderungen stellt: Temperaturen weit jenseits der 30 Grad, die auch nachts kaum unter diese Marke fallen, dazu eine extrem hohe Luftfeuchtigkeit. Worauf ist zu achten, um damit bestmöglich umzugehen?
Dieses Wetter darf man keinesfalls unterschätzen. Optimal wäre, man könnte eine Hitzeanpassung machen, die aber 14 Tage dauern kann. Diese Zeit hat man im Sport meistens nicht. Es ist aber gut, dass auch bei uns derzeit Sommer ist und die Aktiven sich im Training schon an die Bedingungen herantasten konnten. Viele Ratschläge, die wir geben, sind bekannt, es ist aber in Chengdu enorm wichtig, sie umzusetzen. Man sollte sich so wenig wie möglich unter freiem Himmel aufhalten, im Freien so oft und gut, wie es eben geht, Schatten aufsuchen. Eine Kopfbedeckung ist Pflicht, eine Sonnenbrille angeraten. Sonnencreme mit mindestens Lichtschutzfaktor 30 muss mehrfach am Tag aufgetragen werden, weil sie abgeschwitzt wird. Keine gute Idee ist es, sich mit freiem Oberkörper in die Sonne zu legen, weil das die Haut schädigt und erhitzt. Ein helles, atmungsaktives Shirt ist die weitaus bessere Variante. Zur Abkühlung empfehlen wir feuchte Handtücher und Kühlwesten. Man muss nicht übertreiben, aber dem gesunden Menschenverstand folgen.
Das schließt ein, Warnsignale des Körpers zu beachten, um Überhitzung oder gar einen Hitzschlag zu vermeiden. Welche können das sein?
Wer nicht mehr schwitzt und eine stark erwärmte Haut hat, sollte sich dringend abkühlen. Wer Schwindel oder Übelkeit verspürt, muss raus aus der Sonne und erholende Maßnahmen einleiten. Falscher Ehrgeiz kann hier fatale Folgen haben.
Eine Grundregel lautet, ausreichend zu trinken. Aber was bedeutet das? Ist nicht jeder Körper unterschiedlich und hat ein individuelles Bedürfnis?
Das stimmt, aber es gibt drei Faustregeln, die in puncto Flüssigkeitshaushalt wichtig sind. Erstens: Vor Training und Wettkampf für ausreichend Hydration sorgen. Das bedeutet, bis 30 Minuten vor der Belastung 500 bis 1.000 Milliliter zu sich zu nehmen. Zweitens: Während Training und Wettkampf ist eine kontinuierliche Flüssigkeitszufuhr entscheidend - nicht erst im Nachhinein mehrere Liter trinken. Ein sinnvoller Richtwert liegt bei rund 200 Milliliter alle 15 Minuten. Man kann das durch Wiegen vor und nach einer Belastung ganz gut kontrollieren. Ein Gewichtsverlust von mehr als zwei Prozent des Körpergewichts kann erhebliche Auswirkungen auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit haben und sollte unbedingt vermieden werden. Und drittens: Nach der Belastung immer nachjustieren, aber ebenfalls in kleinen Mengen. Der Urin liefert einen einfachen Hinweis auf den Flüssigkeitshaushalt: Eine dunkle bis gelbe Färbung weist auf einen Flüssigkeitsmangel hin. Ist der Urin hingegen hell oder nahezu klar, ist der Körper in der Regel gut hydriert.
Reicht es, Wasser zu trinken, oder braucht es Elektrolytgetränke?
In einem Klima, in dem man so stark schwitzt, ist es wichtig, Mineralstoffe zuzuführen. Das geht, indem man etwas Natriumsalz ins Wasser gibt. Wir empfehlen aber auch Elektrolytgetränke, die die notwendigen Reserven aufzufüllen helfen. Ein absolutes No-Go ist, sich vor Ort in Apotheken oder Supermärkten mit irgendwelchen Supplements zu versorgen!
Das sollte im Umgang mit Nahrungsergänzungsmitteln doch allen Athlet*innen klar sein, oder?
Sollte es, dennoch weisen wir immer wieder darauf hin. Nahrungsergänzung bitte nur dann einsetzen, wenn es Produkte sind, die auf der Kölner Liste stehen und damit geprüft und erlaubt sind. Und wenn man weiß, dass man sie verträgt.
Reicht denn das, was man in Deutschland nimmt, auch in China aus, oder braucht es wegen der klimatischen Belastungen dort zusätzliche Supplements?
Das Einzige, was wir manchen in den ersten Tagen zusätzlich empfehlen, sind Präparate mit Vitamin C und Zink, um die Infektionsanfälligkeit zu minimieren. Alles andere ist nicht notwendig - vorausgesetzt, es liegen keine Mangelzustände vor. Wenn alle nur das nehmen, was sie kennen, bekommen wir keine Probleme. Meine dringende Bitte lautet: Keine Experimente machen!
Das ist in China beim Thema Ernährung nicht ganz einfach. Geschichten von Athlet*innen, die kontaminiertes Fleisch zu sich genommen haben und danach positiv getestet wurden, gibt es immer wieder. Ist es ratsam, in Chengdu komplett auf Fleisch zu verzichten?
Es gibt kein grundsätzliches Verbot. Wir gehen davon aus, dass in den Unterbringungen sowie an den Wettkampforten qualitativ hochwertige Produkte zum Einsatz kommen. Bei Sportgroßveranstaltungen sind vegetarische und vegane Verpflegung längst Standard. Wer Unverträglichkeiten hat und sich mit Produkten aus der Heimat wappnen kann und möchte, sollte das tun. Aber wir gehen von einer sehr guten Versorgungslage aus und werden uns davon direkt nach Ankunft am 2. August auch ein Bild machen, um gegebenenfalls intervenieren zu können. Eine weitere dringende Bitte: Niemals an Straßenkiosks oder den typisch asiatischen Garküchen essen, wo nicht sichergestellt ist, dass das Hühnchen auch wirklich Hühnchen ist. Am besten nur im Dorf oder an den Wettkampfstätten verpflegen. Ansonsten drohen nicht nur Kontaminationen, sondern auch Magen-Darm-Infekte. Man muss sich immer bewusst machen: Wir sind beruflich in China und nicht als Touristen. Da ist es wichtig, sich so professionell wie möglich zu verhalten.
Die NADA empfiehlt das Führen eines Ernährungstagebuchs, um mögliche Quellen von Kontamination besser nachweisen zu können. Ist das sinnvoll?
Ich finde es sinnvoll, bezweifle aber, dass alle die Disziplin aufbringen, das zu tun. Hilfreich wäre es jedenfalls. Außerdem rate ich dazu, die Verpflegung als prioritär anzusehen und gut zu planen. „Meal Prep“ ist das Stichwort. Wer ohne Verpflegung zum Flughafen fährt, einen Zehn-Stunden-Flug hinter sich bringt und danach auch noch einige Stunden bis zur nächsten Mahlzeit warten muss, schwächt sich selbst. Deshalb empfehle ich, eine Tupperbox für die Reise zu präparieren, um vorbereitet zu sein.
Ein Thema, das oft unterschätzt wird, ist der Gebrauch von Trinkwasser. Wie viel Vorsicht ist in Chengdu geboten?
Auf keinen Fall sollte man Wasser aus der Leitung trinken und auch niemals Getränke mit Eiswürfeln bestellen. Wie gut die Qualität des Wassers ist, werden wir vor Ort herauszufinden versuchen. Unser Rat ist bis auf Weiteres, auch beim Zähneputzen nur abgekochtes oder in Flaschen befindliches Wasser zu verwenden, um das Risiko einer möglichen Infektion so gering wie möglich zu halten. Und bitte: Nicht aus geteilten Gefäßen trinken. Eigene Trinkflaschen und -gläser sind im Zuge der Infektionsvermeidung Pflicht. Zudem bitte ich auch darum, auf Speiseeis und Smoothies zu verzichten. Sie sind oft die Hauptquelle für Magen-Darm-Infektionen.
Ein weiteres Gesundheitsrisiko sind Klimaanlagen. Gerade wenn man draußen stark schwitzt und dann mit feuchter Kleidung in stark klimatisierte Räume kommt, ist die Erkältungsgefahr hoch. Was tun, um sich zu schützen?
Möglichst die feuchte Kleidung aus- oder zumindest etwas Trockenes überziehen. In den Zimmern empfehle ich einen Wechsel aus klimatisierter und frischer Luft. Und ich rate zu einem gesunden Mittelmaß. Nachts die Klimaanlage auf kleiner Stufe laufen lassen, die Räume nicht zu stark herunterkühlen. Damit trägt man zumindest dazu bei, dass der Rachenraum nicht zu stark gereizt wird, was eine Eintrittspforte insbesondere für virale Infekte sein kann.
Spezielle Impfungen sind für Chengdu nicht vorgeschrieben, es ist kein Malariagebiet. Ist Moskitoschutz dennoch Pflicht?
Insektenstiche tragen nicht zu einem guten Befinden oder optimaler Leistungsfähigkeit bei. Wir raten deshalb zum Gebrauch von Insektenspray, haben entsprechende Produkte in unserer Hausapotheke. Wer gestochen wird, sollte mit schmerzstillenden, kühlenden Gels und vielleicht auch einem Hitze-Pen, der die Proteine abtötet, arbeiten. Und bitte nicht kratzen, da dadurch Dreck und Bakterien in die Blutbahn geraten können, die zu Entzündungen führen. Es besteht aber kein Grund zur Panikmache. Ein normaler Stich tut nichts.
Die Zeitumstellung von sechs Stunden sorgt bei einigen Menschen für teils massive Probleme. Gibt es für den Flug nach China und die Tage danach Empfehlungen für das Schlafmanagement?
Wer es schafft, in den Tagen vor der Abreise jeweils eine Stunde früher als am Vortag ins Bett zu gehen, kann eine sanfte Anpassung an die Zeitverschiebung ermöglichen. Auf dem Nachtflug empfehlen wir, zumindest in der zweiten Hälfte zu schlafen. Unbedingt daran denken, Ohrenstöpsel und eine Schlafmaske im Gepäck zu haben. Ganz wichtig ist: Selbst wenn man im Flugzeug kein Auge zubekommt, muss der erste Tag in China durchgestanden werden. Sich morgens nach der Ankunft erst einmal einige Stunden ins Bett zu legen, kann den Rhythmus für viele Tage beeinträchtigen. Sich am ersten Tag wachzuhalten und dann in der ersten Nacht vor Ort gut zu schlafen, das ist die beste Variante.
Es gibt einige Menschen, die grundsätzlich schlecht schlafen oder unter Flugangst leiden. Sind Medikamente für diese Gruppe die beste Wahl?
Grundsätzlich lässt sich mit guter Schlafhygiene und gezielten Maßnahmen gegen Jetlag bereits viel erreichen. In Ausnahmefällen - wenn diese Strategien nicht ausreichen - kann vorübergehend auch der medikamentöse Einsatz, zum Beispiel Melatonin, sinnvoll sein. Wichtig ist nur: Wer auf Medikamente angewiesen ist, muss ein entsprechendes Rezept und ein Attest in englischer Sprache mitführen, um diese Medikamente einführen zu dürfen. Sie müssen sich außerdem in der Originalverpackung mit Beipackzettel befinden. Das betrifft aus unserer Delegation zum Glück nur sehr wenige. Aber es ist wichtig, dass man sich darauf vorbereitet.
Im Call mit den Athlet*innen hast du darauf hingewiesen, auf die von Corona bewährten Vorsichtsmaßnahmen zu achten - insbesondere in größeren Menschenansammlungen wie bei der Athletenparty am 12. August. Also ist wieder Maske und Abstand das Gebot?
So drastisch würde ich es nicht formulieren. Wir empfehlen aber, im Flugzeug, in Transportmitteln (Shuttle) und bei größeren Menschenansammlungen in geschlossenen Räumen, wie zum Beispiel im Flughafengebäude, eine Schutzmaske zu tragen und auf eine regelmäßige Händehygiene - Waschen und Desinfizieren - zu achten. Die Athletenparty kann ein Superspreader-Event sein, denn machen wir uns nichts vor: In einem Athletendorf gibt es immer viele Kranke, und nicht alle gehen verantwortungsbewusst damit um. Wir wünschen uns von allen, die Symptome aufweisen: Sagt rechtzeitig Bescheid, kommt zu uns, isoliert euch. Wir wissen, dass die meisten Athletinnen und Athleten Angst davor haben, dass wir sie aus dem Wettkampf nehmen. Umgekehrt ist es richtig: Wir geben alles dafür, dass sie an den Start gehen können. Aber da, wo es unverantwortlich ist, gegenüber sich selbst und den anderen, müssen wir reagieren.
Zum Abschluss: Wie erreicht man euch im Notfall oder auch nur, um Antworten auf dringende Fragen zu erhalten?
Wir bekommen alle ein Telefon gestellt, die Nummern werden wir, sobald wir sie haben, über die bekannten Kanäle veröffentlichen. Außerdem sind wir unter den bekannten Mailadressen zu erreichen, oder vor Ort in unseren Räumlichkeiten. Wichtig ist: Lieber einmal mehr melden als einmal zu wenig. Wir sind rund um die Uhr erreichbar. Grundsätzlich gilt: Prävention ist wichtiger als Therapie. Wenn alle danach handeln, werden wir erfolgreiche, gesunde und schöne Spiele erleben!
Das wünschen wir dir und deinem Team. Alles Gute und möglichst wenig Arbeit!