„Menschenrechte sind unverhandelbar, unteilbar und universell verbindlich für alle!“
Joachim Rücker ist Geschäftsführer des Menschenrechts-Beirats des DOSB und erklärt, welche Aufgaben dieser erfüllt, welche Konfliktfelder in Zukunft drohen und warum die Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele ein Modellprojekt werden kann.

22.07.2025

74 Jahre ist er alt, aber von Ruhestand hält Joachim Rücker wenig, und das ist gut für den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Im Anfang 2023 begründeten Menschenrechts-Beirat ist der promovierte Wirtschaftswissenschaftler, der in Stuttgart lebt, als Geschäftsführer eine prägende Stütze. Die Erfahrungen, die Rücker aus seinen Stationen im Auswärtigen Amt und bei den Vereinten Nationen, deren Menschenrechtsrat er 2015 als Präsident führte, mitbringt, sind für die ehrenamtliche Arbeit im organisierten Sport Gold wert. 14 Mitglieder hat das Gremium, dem DOSB-Präsident Thomas Weikert vorsitzt. Dreimal im Jahr wird unter Projektleitung von Kirsten Witte-Abe, Leiterin Organisationsentwicklung im DOSB, getagt, einmal davon in Präsenz. So geschehen in der vergangenen Woche in Berlin, was wir zum Anlass genommen haben, mit Joachim, der auch Mitglied im 2023 einberufenen Lenkungskreis der Olympiabewerbung ist, über die wichtigsten Inhalte der Arbeit und die brennendsten Zukunftsthemen zu sprechen.
DOSB: Joachim, in wenigen Sätzen erklärt: Warum braucht ein Dachverband wie der DOSB einen Menschenrechts-Beirat?
Joachim Rücker: Das Thema Menschenrechte und deren Einhaltung hat auch im Sport immens an Bedeutung gewonnen. Die „Guiding Principles on Business and Human Rights“ der Vereinten Nationen, kurz UNGP, standardisieren den Umgang mit den menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten und sind als Richtschnur für Unternehmen, aber auch Verbände und Organisationen zu verstehen. Wenn eine Organisation, wie 2022 der DOSB, sich in ihrer Satzung zu den Menschenrechten bekennt, dann ist es wichtig, sich dazu begleitend externer Expertise zu bedienen. Das tun wir mit dem Beirat, in dem zwar auch Vertreter*innen aus DOSB-Mitgliedsorganisationen, aber überwiegend Externe sitzen, die das Präsidium des DOSB in allen Menschenrechtsfragen beraten.
Beraten bedeutet, dass ihr Empfehlungen gebt, aber keine Entscheidungsbefugnis habt oder bindende Rechtsvorschriften erarbeitet?
Korrekt. Wir verstehen uns als kritische Begleitung, die Positionen erarbeitet und klare Meinungen vertritt, ohne damit jedoch aktiv in die Politik des DOSB einzugreifen. Nach unserer Gründung wurde zunächst eine Risikoanalyse erstellt, aus der sich verschiedene Tätigkeitsfelder ergaben. Auf dieser Grundlage wurde dann die Menschenrechts-Policy des DOSB erarbeitet. Mittlerweile geht es um die Umsetzung der Policy, den Aktionsplan.
Ist ein solcher Beirat ein deutsches Phänomen, oder gibt es Vergleichbares in anderen Nationen auch?
Auch andere Nationen, die die UNGP umsetzen, haben einen Menschenrechts-Beirat im Sport, aber allzu viele sind es meines Wissens noch nicht. In erster Linie sind es nord- und westeuropäische Staaten, die zum Beispiel aktuell unter der Führung Dänemarks zusammenarbeiten, um ein internationales Leitbild für die Verankerung von Menschenrechten bei Sportgroßveranstaltungen zu erstellen.
Menschenrechte sind doch seit vielen Jahren schon ein wichtiges Thema. Wie kommt es, dass es den Beirat im DOSB erst seit drei Jahren gibt?
Das liegt daran, dass die UNGP erst 2011 entwickelt wurden. In den 2010er-Jahren ging es dann zunächst um Unternehmen. Erst Anfang dieses Jahrzehnts kam die Einsicht, dass sie auch für Verbände und Organisationen analog anwendbar sind. Entsprechend hat der DOSB 2022 das Thema in seine Satzung aufgenommen und es kam zur Gründung des Beirats.
Geht es bei eurer Arbeit vorrangig darum, die Menschenrechte und deren Einhaltung als wichtiges Thema sichtbar zu machen, oder gibt es tatsächlich substanzielle Veränderungen, die durch die UNGP und deren Umsetzung möglich werden?
Es geht um beides. Einerseits ist es wichtig, dem Thema dauerhafte Sichtbarkeit zu geben. Andererseits hat es zum Beispiel auf Unternehmensebene mit dem Lieferkettengesetz - auch wenn die entsprechende Berichterstattung derzeit suspendiert ist - substanzielle Veränderungen gegeben, die etwa dazu geführt haben, dass Kinder- und Zwangsarbeit in den Lieferketten so weit wie irgend möglich ausgeschlossen wird.
Dann lass uns konkret über ein paar Themen sprechen, die euch im Beirat bewegen. Ihr habt vergangene Woche euer Jahrestreffen in Berlin gehabt. Was waren die wichtigsten Punkte auf der Tagesordnung?
Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass wir uns nicht zufällig in Berlin getroffen haben. Berlin ist aktuell auch Austragungsort der World University Games, die hauptsächlich in Nordrhein-Westfalen stattfinden. Wir haben uns mit dem Menschenrechtskonzept dieser Weltspiele der Studierenden ausführlich befasst und es als durchaus vorbildlich eingeordnet. Deshalb war es schön, sich vor Ort auch direkt von diesem Sportgroßevent inspirieren zu lassen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass aus den vergangenen Jahren viele Lehren gezogen wurden und das Thema Menschenrechte sehr gut in Sportgroßveranstaltungen integriert werden kann. Das ist ja auch bei der UEFA Euro 2024 gut gelungen. Aber um die Frage zu beantworten: Ein Schwerpunkt war der Umgang mit antidemokratischem Verhalten.
Ein Thema, zu dem die verschiedenen DOSB-Gremien verstärkt Nachfragen oder auch Hilferufe aus Vereinen und Verbänden erhalten. Was ist aus Sicht des Beirats hierbei besonders wichtig?
Dass wir spüren und wertschätzen, dass sich der DOSB und auch die Deutsche Sportjugend sehr intensiv damit befassen. Es geht im Kern darum, das Problem, das durch antidemokratische Haltungen und Handlungen vonseiten extremistischer Parteien und Gruppen entsteht, als solches zu erkennen, ernst zu nehmen und vor allem praktische Unterstützung bei der Handhabung zu leisten. Es gibt dazu im DOSB und bei der dsj klare Positionierungen, ein fundiertes Rechtsgutachten und eine Handreichung, an der sich Vereine und Verbände orientieren können. In dieser komplexen Thematik stehen wir beratend zur Seite. Wir sind der Überzeugung, dass wir den Kampf gegen extremistische Tendenzen deutlich verstärken müssen.
Auf der Mitgliederversammlung im Dezember 2024 hat der DOSB die Einführung eines Safe Sport Codes beschlossen, der es ermöglicht, interpersonelle Gewalt auch unterhalb der strafrechtlichen Schwelle zu bekämpfen. Welchen Anteil hat der Menschenrechts-Beirat an dieser Entwicklung?
Die Dynamik, die zur Implementierung des Codes geführt hat, gab es schon vor unserer Gründung, deshalb möchte ich mich hier nicht mit fremden Federn schmücken. Er ist aus dem Bedarf entstanden, den der organisierte Sport wahrgenommen hat. Wir haben die Entstehung aber begleitet und halten die Einführung von Abhilfemechanismen für ein extrem wichtiges Thema. Überall dort, wo ein Mensch diskriminiert oder ausgegrenzt wird, keinen barrierefreien Zugang zum Sport hat, verbal oder körperlich bedroht oder gar missbraucht wird, braucht es Mechanismen und Ansprechpartner*innen, die das verhindern. Dazu beraten wir.
Achtet ihr als Beirat auch darauf, dass diese Themen bei der deutschen Bewerbung um die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele mitgedacht werden?
Selbstverständlich, denn wir sind der Überzeugung, dass wir mit dieser Bewerbung, der wir sehr positiv gegenüberstehen, ein weiteres Modellprojekt schaffen können für die Beachtung der Menschenrechte in einer Sportgroßveranstaltung. Zum Wie werden wir beraten. Wir beobachten auch mit Interesse, dass die neue IOC-Präsidentin Kirsty Coventry erwägt, eine Arbeitsgruppe zum Thema Bewerbungsprozess und Vergabe einzurichten.
Die Erwähnung des IOC ist eine gute Überleitung von nationalen zu internationalen Problemfeldern. Der Umgang mit Krisen und Kriegen und die damit zusammenhängende Suspendierung von Athlet*innen aus kriegstreibenden Nationen und deren Wiederzulassung wird immer wieder kritisiert. Welchen Standpunkt vertritt der Beirat?
Der Umgang des IOC und der Fachverbände mit Athlet*innen aus Russland und Belarus war nach unserer Gründung ein wichtiger Themenkomplex. Eines unserer Mitglieder hat auf Bitte des Präsidiums ein Gutachten dazu erstellt. Aus unserer Sicht fehlt es nach wie vor an klaren Kriterien, welche Sanktionen wann und wie greifen, wenn Völkerrechtsverletzungen oder Verletzungen der Olympischen Charta vorliegen. Wir werden an diesem Thema dranbleiben.
Eure Position deckt sich in dieser Frage nicht vollständig mit dem Vorgehen der DOSB-Spitze. Ist das aus deiner Sicht ein Problem?
Unsere Rolle ist ja klar definiert. Wir sind dazu da, zu verschiedenen menschenrechtlichen Themen unsere Positionen zu erarbeiten und zu vertreten, und das tun wir. Auf dieser Grundlage beraten wir das Präsidium, nicht mehr und nicht weniger. Im Übrigen bin ich beeindruckt davon, und das ist auch die Sicht des gesamten Beirats, mit welchem Engagement und welcher Sorgfalt die Verantwortlichen in den DOSB-Führungsgremien mit dem Thema Menschenrechte umgehen. In Präsidium und Vorstand wird verstanden, dass der Sport an vorderster Front steht und große Hebelwirkung hat.
Antidemokratische Tendenzen gibt es beileibe nicht nur in Deutschland zu beklagen. Ein Blick auf die USA als Gastgeber der nächsten Fußball-WM der Männer 2026 und der Olympischen und Paralympischen Spiele 2028 in Los Angeles lässt viele erschaudern angesichts des Umgangs mit Transgender-Athlet*innen oder Menschen aus von der Trump-Regierung „unerwünschten“ Nationen. Wie groß ist eure Sorge, dass die Menschenrechte weltweit immer stärker unter Restriktionen leiden werden?
Groß, weil die Tendenzen unverkennbar sind, dass die Menschenrechte schlicht nicht beachtet werden. Wir müssen immer wieder darauf hinweisen: Menschenrechte sind unverhandelbar, unteilbar und einklagbar, sie gelten verbindlich universell für alle Menschen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 und das UN-Vertragssystem bilden die Grundlage für ihren weltweiten Schutz. Dass es an vielen Stellen auf der Welt an der Umsetzung hapert, ist uns bewusst. Gerade deshalb müssen wir im Kampf gegen ihre Relativierung oder Nichtbeachtung zusammenstehen.
Es gibt kritische Stimmen, die fordern, sich auf die wesentlichen Bereiche zu konzentrieren und vermeintlichen Minderheitenthemen wie Transgender-Policy nicht einen so großen Raum zu geben. Aber ist genau das nicht der Sinn hinter dem Schutz von Menschenrechten, dass sie eben für alle gelten müssen und auch und gerade Minderheiten Unterstützung benötigen? Welchen Stellenwert hat zum Beispiel der Umgang mit Transgender-Athlet*innen für euch im Beirat?
Wir haben das Thema natürlich auf dem Schirm. Es geht zunächst darum, die Begrifflichkeiten zu ordnen, zum Beispiel den Unterschied zwischen DSD und transgender wahrzunehmen. Wie wir hören, soll es beim IOC auch eine Arbeitsgruppe zum Thema Frauenkategorie im Sport geben. Ich bin zuversichtlich, dass der DOSB und auch wir als Beirat dazu beitragen können, in welcher Form auch immer.
Dann wünschen wir euch weiterhin viel Erfolg bei der Erfüllung eurer Aufgaben und danken herzlich für das Gespräch.
Sport und Menschenrechte
Das Thema „Sport und Menschenrechte“ ist in den letzten Jahren immer mehr in das Zentrum der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt. Der DOSB arbeitet systematisch daran, Menschenrechtsverletzungen vorzubeugen und mit seiner Strahlkraft positiv in die Gesellschaft hineinzuwirken.