Aufruf zum Dialog zwischen Opfern und Tätern

Eine umfangreiche Tagesordnung mit 17 Punkten, darunter den „Umgang mit einst in Dopingpraktiken verwickelten Trainern“, hatte sich der Sportausschuss des Deutschen Bundestages in der vorletzten Sitzungswoche vorgenommen.

Birgit Boese von der Doping-Opfer-Beratungsstelle, ist selbst durch Doping schwer geschädigt. Copyright: picture-alliance
Birgit Boese von der Doping-Opfer-Beratungsstelle, ist selbst durch Doping schwer geschädigt. Copyright: picture-alliance

Trotz aller Befürchtungen im Vorfeld überraschte die Diskussion über eines der emotionalsten Sport-Erbstücke nach der deutschen Wiedervereinigung mit ihrer sachlichen und unaufgeregten Qualität. Allein in der Auseinandersetzung über den von der Fraktion Bündnis90/DIE GRÜNEN eingebrachten Antrag „Dopingvergangenheit umfassend aufarbeiten“ blitzte die ein oder andere emotionale Äußerungen auf. CDU-Obmann Klaus Riegert wertete den Antrag als „Blödsinn in Potenz“, und SPD-Sportsprecherin Dagmar Freitag identifizierte einen Nebensatz im Antrag, der eine dauerhafte Unterstützung der Opfer fordere, als „brisant und gefährlich“. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse und der klaren Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Regierungs-koalition und der FDP hatte dies allerdings den Charakter parteipolitischer Auseinander-setzungen.

Deutlich ernsthafter und substantieller wurde die Diskussion über Opfer und Täter des Staats-dopings in der DDR und ihre Nachwirkungen bis heute geführt. Dr. Klaus Zöllig, der Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfevereins (DOH), schilderte die Wut und den Zorn vieler Opfer, die sich von den juristisch ausgefeilten Formulierungen im Brief der Leichtathletiktrainer aus Neue verhöhnt vorkämen. „Die von den Trainern abgegebene Erklärung wird von den Dopingopfern als Affront angesehen“, sagte Zöllig. Die im Konjunktiv gehaltene Formulierung über Folgeschäden sei für die Opfer ein Schlag ins Gesicht. Der Ausschussvorsitzende Dr. Peter Danckert (SPD) wertet die Erklärung der Trainer als „Steine statt Brot“ und kritisiert das Fehlen einer emotionalen Dimension. Er räumt jedoch ein, dass er als beratender Anwalt eine ebensolche Formulierung den Trainern empfohlen hätte.

DOSB-Generaldirektor Dr. Michael Vesper schilderte die Maßnahmen des organisierten Sports seit Gründung des DOSB. Er verwies dabei auf die mit Hilfe des Bundes gelungene schnelle Umsetzung der Opferentschädigung und die Vergabe einer umfangreichen Forschungsarbeit zum Doping in Ost und West. Vesper sprach sich erneut gegen eine Generalamnestie aus: „Wir vertreten weiterhin das Prinzip der Einzelfallentscheidung und werden auch vor Vancouver den Trainern die Unterzeichnung eine Ehren- und Verpflichtungserklärung abverlangen. Für auftretende Zweifelsfälle ist die unabhängige Steiner-Kommission eingerichtet worden.“ Er bot einen „runden Tisch“ unter Vermittlung des DOSB zwischen Opfern und Tätern an.
Die Förderung dieses Dialogs unterstützte auch Dagmar Freitag. „Brauchen wir wirklich noch Aufarbeitung? Ich denke, wir wissen fast alles“, sagte die SPD-Abgeordnete. „Ich bin dafür, dass Trainer und Dopinggeschädigte einander zuhören und sich offen den Fragen des Anderen stellen.“ Für eine Akzentverlagerung von einer rechtlichen zu einer moralisch-ethischen Diskussion plädierte auch Dr. Danckert.

Der Ehrenvorsitzende des Deutschen-Leichtathletik-Verbandes, Prof. Helmut Digel, schilderte aus Sicht des DLV die Aufarbeitung des Doping-Erbes mit zahlreichen Kommissionen. Kriterium im DLV sei bei seinem Amtsantritt 1993 gewesen, dass leitende Funktionsträger nicht mehr beschäftigt worden seien. „Alle Trainer in der DDR waren Teil eines Hochleistungsmanipulationssystems. Nicht wenige ihrer Top-Athleten wollten Doping oder haben es gar verlangt. Doping beschränkte sich aber nicht allein auf den Osten.“ Im Licht dieser nicht neuen Erkenntnis hat der DOSB mit Hilfe von Bundesmitteln eine umfangreiche wissenschaftliche Aufarbeitung der Dopingpraktiken in Ost und West angeschoben. Nach Auskunft von Jürgen Fischer, dem Leiter des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISP), läuft derzeit noch die Ausschreibung. Der Ausschuss-Vorsitzende Danckert regte an, dass das Forschungsprojekt „von einer Art Beirat“ unter Beteiligung von Dopingopfern begleitet werden sollte.


  • Birgit Boese von der Doping-Opfer-Beratungsstelle, ist selbst durch Doping schwer geschädigt. Copyright: picture-alliance
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