Berliner Kinder-Projekt mit Beispielwirkung

"Fit mit Fidelio" - so heißt ein Projekt des Berliner Sport-Gesundheitsparks e.V., der seinen Sitz in Wilmersdorf hat. Die Angebote des Vereins richten sich an Jung und Alt.

Mit Fidelio soll bei Kindern eine langfristige Verhaltensänderung erzielt werden. Foto: picture-alliance
Mit Fidelio soll bei Kindern eine langfristige Verhaltensänderung erzielt werden. Foto: picture-alliance

Sie gebrauchen dabei nie den erhobenen Zeigefinger. Stattdessen setzt man auf die "sanfte Pädagogik" des Beispiels, der Überzeugung und des Mitnehmens der Klientel, an die man sich wendet. Bei "Fit mit Fidelio" ist Teil der Erfolgsgeschichte.

Fidelio macht "Angebote für Kinder mit Übergewicht und Bewegungsmangel". Endré Puskas, Ideengeber und Namensstifter sagt: "Ich dachte mir, nomen est omen: Wer sich bewegt, ist fidel und aktiv. Die Kinder und Jugendlichen, die zu uns kommen, sind anfangs oft passiv, niedergeschlagen, verstecken sich. Das hat viel mit dem Übergewicht zu tun. Mit Fidelio wollen wir langfristig eine Verhaltensänderung erzielen", sagt der Sportwissenschaftler, der sich gleich auf mehreren Spezialgebieten wie Herzsport, Adipositas oder Sport mit Diabetikern auskennt.

Als Siebenjähriger kam der gebürtige Ungar mit den Eltern nach Deutschland, arbeitete als Volleyballcoach beim VC Olympia Berlin und führte Nachwuchsteams zu deutschen Meistertiteln. Seit gut einem Jahrzehnt – ideelle Vorbereitung und bescheidene Anfänge dazu gezählt – ist Fidelio seine Herzenssache. Was sich daraus entwickelt hat, ist bemerkenswert. Vor allem, seitdem der oben genannte Verein Sport-Gesundheitspark, der seinen Namen wörtlich ernst nimmt, über die neue Harald-Mellerowicz-Halle verfügt, die vor drei Jahren eingeweiht wurde.

Insgesamt 400 Kinder und Eltern rennen und schwitzen

Seitdem boomt Fidelio. Los ging es mit ein paar Eltern und 100 Kindern – heute rennen, schwitzen und bewegen sich insgesamt etwa 400 Kids und Eltern bei Fidelio. Die 330 Kinder sind über die ganze Woche in 37 Gruppen verteilt, die Väter und Mütter nutzen den Sonntag, um sich parallel dazu ebenfalls zu bewegen. "Das ist ganz wichtig, weil die Rolle des Beispiels in den sozialen Schichten, die wir ansprechen, von herausgehobener Bedeutung ist", sagt Puskas. Er meint damit sozial Benachteiligte und Migranten, die in den Gruppen einen Anteil von rund 50 Prozent ausmachen. Auch in den Ferien gibt es keine Pause. "Gerade die Regelmäßigkeit, die permanente Integration von Bewegung in den Alltag der Kinder ist so wichtig", sagt Puskas.

Der Bogen reicht von den 5- bis zu den 18-Jährigen. Immer drei Jahrgänge sind in einer Gruppe. Gymnastik, Ergometer, Bewegungsbad, Spiele, Kraftübungen, alles dabei. Puskas geht es nicht darum, eine Sache perfekt zu lehren, sondern in alles reinschnuppern, sich austesten zu lassen und "aus keiner Einheit rauszugehen, ohne nicht irgendwas besser gemacht zu haben".

Insgesamt verfügt Puskas über 14 Honorarkräfte. Trainer oder Kursleiter bei Fidelio zu sein verlangt keine Ausschnitt-Kompetenz für nur ein Gebiet. Es braucht den universellen Sportfachmann, der zugleich Pädagoge und Sozialarbeiter ist. "Der Trainer lebt vor, wie das mit dem Sport geht, wie man was bewältigt, wie befriedigend es sein kann, wenn man sein Ziel erreicht – die Kids bekommen das ja ansonsten nicht mit, weil sie es in der Schule oder im Alltag nicht erleben. Viele kleine Schritte auf der Erfolgsleiter machen sie peu á peu selbstbewusster."

Sport hilft bei Integration

Puskas liebt es, dass man sehr direkt Wirkungen sieht. Über den Sport verändert sich die Körpersprache. Persönliche Erfolge spielen eine große Rolle, um Spaß und Motivation zu entwickeln. Genau das ist die Philosophie von Fidelio. "Spaß haben sie zuvor in der Schule nicht kennengelernt. Stattdessen Muster erlernt, wie sie Situationen vermeiden, in denen sie in Bedrängnis kommen. Sie ziehen sich ängstlich zurück, schauspielern, vergessen mit Absicht die Sportsachen. Eine Überlebensstrategie, die sie ins Abseits stellt. Das müssen wir aufbrechen", sagt Puskas. Bei Migranten-Familien kommt das Gefühl hinzu, fremd zu sein. "Dabei bietet gerade der Sport die Chance, das zu verändern. Wenn ich so etwas spüre, dann gehe ich hin und sage: Sieh mich an, ich bin ein Migrant, und der Sport hat mir geholfen!"

Finanziell stellt die Teilnahme bei Fidelio keine Hürde dar, die sozialen Ausschluss bedeuten könnte. Normal kostet die erste Wochen-Trainingseinheit 18 Euro pro Monat, die zweite 10. 20 Euro übernimmt in der Regel die Krankenkasse, wenn der Arzt eine Rehasport-Verordnung verschreibt. "Damit landen wir bei acht Euro und das ist angesichts des hochwertigen Angebots sehr günstig", sagt Puskas. Denn Fidelio heißt auch Integration Gesunder in den Alltag (einmal pro Monat findet eine Ernährungsberatung statt). Sozial schwache Kids und Familien werden in ein spezielles Präventionsprogramm eingebunden. "Eltern oder Großeltern vor Ort dabei zu haben, ist ideal, im direkten Kontakt erreicht man am meisten", sagt Puskas.

Viele Fragen zum Thema beantwortet die Webseite www.fit-mit-fidelio.de. Einstweilen haben die Fidelio-Macher ein Netzwerk aufgebaut, organisieren Workshops an Schulen, werden von der Charité und der Humboldt-Universität unterstützt, wo zwei laufende Doktorarbeiten das Programm gewissermaßen wissenschaftlich evaluieren. Die "Fidelios" kommen aus ganz Berlin, sie nehmen mitunter weite Wege auf sich. Überzeugt hat das Projekt längst auch Juroren diverser Institutionen, die Fidelio gewürdigt haben: Im Herbst 2010 wurde es in dem von den Bundes-ministerien für Gesundheit sowie Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz getragenen Bundeswettbewerb Unser Verein – IN FORM geehrt, zuvor gab es Auszeichnungen bei der Aktion Teamplayer sowie beim DOSB-Wettbewerb "Sterne des Sports".

Kinder bleiben zwei Jahre im Programm

Zwei Jahre sind die Regel, die Puskas für die Mehrheit seiner Schützling im Fidelio-Programm anstrebt. "Dann sollen die Ziele erreicht sein. Und ein Bedürfnis gewachsen sein, nun möglichst ein Leben lang Sport zu treiben und sich zu bewegen. Wir vermitteln die Kids dann an einen Verein, wo sie weitermachen können." In den Vereinen des organisierten Sports, merkt er an, gebe es aber noch viel zu wenig allgemeine Sportangebote für weniger Begabte. Die könne nicht nur Fidelio auffangen, eine größere Breite sei notwendig. Denn Ziel des Projekts sei es eben nicht, mal eben das Gewicht zu reduzieren, sondern zu langfristiger Bewegung zu motivieren.

Dass dies dringlich gefordert ist, haben die gerade von Berlins Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) vorgelegten Zahlen aus Vorschuluntersuchungen von 53.000 Hauptstadt-Kindern belegt: 18 Prozent waren verhaltensauffällig, 11 Prozent übergewichtig, in einzelnen Stadtbezirken sogar nahe 20 Prozent. Wenn die generelle Entwicklung in Deutschland und Europa so weiter gehe, sagt der Sportwissenschaftler Wolf-Dietrich Brettschneider, werde im Jahre 2030 die Hälfte der Kinder übergewichtig sein. Eine britische Studie kommt gar zu dem dramatischen Schluss, die heutige "Generation XXL" könne als erste Altersklasse vor ihren Eltern sterben.

 

(Autor: Klaus Weise)


  • Mit Fidelio soll bei Kindern eine langfristige Verhaltensänderung erzielt werden. Foto: picture-alliance
    Mit Fidelio soll bei Kindern eine langfristige Verhaltensänderung erzielt werden. Foto: picture-alliance