Das Wichtigste aus dem „Deutschen Kinder- und Jugendsportbericht“ (Teil 6)

Nach dem „Ersten Deutschen Kinder- und Jugendsportbericht“ im Jahre 2003 ist Ende letzten Jahres der „Zweite Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht“ mit dem Schwerpunkt „Kindheit“ erschienen.

Das Wichtigste aus dem Kinder- und Jugendsportbericht wird in einer Serie präsentiert. Copyright: picture-alliance
Das Wichtigste aus dem Kinder- und Jugendsportbericht wird in einer Serie präsentiert. Copyright: picture-alliance

Nach dem „Ersten Deutschen Kinder- und Jugendsportbericht“ im Jahre 2003 ist Ende letzten Jahres der „Zweite Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht“ mit dem Schwerpunkt „Kindheit“ erschienen. Dieser Bericht hat sich zum Ziel gesetzt, die Bedeutung von Bewegung und Sport von Kindern im Hinblick auf die individuelle Entwicklung zu beschreiben und dabei mögliche (positive) Effekte zu analysieren. Der Bericht wird mit Unterstützung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung herausgegeben von Prof. Dr. Werner Schmidt (Uni Duisburg-Essen) sowie unter Mitarbeit von Prof. Dr. Renate Zimmer (Uni Osnabrück) und Prof. Dr. Klaus Völker (Uni Münster). Er wendet sich „an alle, die das Kinderwohl im Auge haben“. In einer siebenteiligen Serie werden wichtige Inhalte des Berichtes vorgestellt. Im Teil 6 der Serie geht es um die Bedeutung des Sportengagements in unterschiedlichen Settings (z.B. im Sportverein):

Wer über Sportengagements von Kindern in unterschiedlichen Settings spricht, der denkt dabei zunächst an eine geläufige Unterscheidung von sportlichen Aktivitäten im institutionellen Rahmen (z.B. im organisierten Sport) und im informellen Bereich (z.B. in der Wohnumgebung, in Parks). Von beiden Bewegungsbereichen ist in diesem Abschnitt des neuen Kindersportberichtes in jeweils einem Aufsatz die Rede. Ferner geht es um Aspekte des Leistungssports von Kindern, respektive um die Ausrichtung einer angemessenen Förderung mit Blick auf eine möglichst erfolgversprechende Karriere im späteren Lebensalter. In einem weiteren Beitrag wird Deutschland als „Entwicklungsland“ apostrophiert - nämlich wenn es um die frühkindliche Erziehung und Bildung sowie die Bewegungsbedeutung im internationalen Vergleich geht. Hier sind uns vor allem die skandinavischen Länder um einiges voraus. Denn dort existiert beispielsweise ein flächendeckendes System von Ganztagsschulen, dort bestehen günstigere Betreuungsrelationen und dort ist der Anteil der Lehrkräfte mit fachbezogener Ausbildung für das Fach Sport sehr viel höher.

Während in der Vergangenheit die Freizeit von Kindern primär und summarisch als die Zeit des weitläufigen „Spielens“ gedeutet wurde, wissen wir heute aus neuesten Studien, dass rund zwei Drittel aller Nachmittagstermine von Kindern auf das System des Sports entfallen. Musische, künstlerische und religiöse „Termine“ folgen weit abgeschlagen danach. Die zentrale Rolle des Sportvereins mit seiner hohen Anziehungskraft für Kinder ist damit gleichsam vorgespurt: Keine andere soziale Altersgruppe ist so eng mit dem System Sport verknüpft wie die Präadoleszenz (Kinder von zehn bis 13 Jahren). Die Kehrseite dieser sogenannten Versportlichung der Kindheit bedeutet allerdings auch, dass eine immer frühere Abkehr der Altersgruppe vom Sportverein stattfindet. Die prinzipielle Attraktivität von Sportvereinen lässt sich im zahlenmäßigen Befund so ausdrücken: Rund 80% der Kinder gefällt es dort „sehr gut“ oder „ziemlich gut“ (ermittelt auf einer fünfstufigen Skala). Die Bindung an den Sportverein resultiert in erster Linie aus der guten Atmosphäre bzw. der positiven Stimmung, basiert in zweiter Linie auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe bzw. Mannschaft. Die Möglichkeit „wie ein Leistungssportler trainieren“ zu können, ist demgegenüber für die Kinder selbst in der Wertigkeit nachgeordnet.

Was die Sportartpräferenzen angeht, dominieren bei den Jungen nach wie vor die Sportspiele mit der herausragenden Position des Fußballs; im späteren Kindesalter steigt das Interesse an Kampfsport. Bei den Mädchen kommt es nach neueren Erhebungen innerhalb der Domäne der individuell-ästhetisch-kompensatorischen Sportarten zu einer Verlagerung in Richtung Tanz und Gymnastik zu ungunsten des Turnens, wobei die größten Zuwachsraten in den letzten zehn Jahren hier der Fußballsport aufweist. Um die frühzeitige Abkehr der Kinder vom Sportverein einzudämmen bzw. ganz zu verhindern, wird speziell den Sportfachverbänden ein konzeptionelles Überdenken ihrer inhaltlichen Angebote empfohlen, und zwar mehr in Richtung einer Schulung allgemeinkoordinativer und sportartübergreifender Anteile, gepaart mit einer verstärkten pädagogisch-psychologischen Qualifizierung der Lehrkräfte.

In ähnlicher Hinsicht argumentieren Prof. Dr. Eike Emrich (Uni des Saarlandes) und Privat-Dozent Dr. Arne Güllich (TU Kaiserslautern) in ihrem Beitrag zum „Leistungssport im Kindes- und Jugendalter“, in dem sie sich kritisch mit der frühzeitigen Kaderaufnahme am Ende der Kindheit und einer zu frühen sportartspezifischen Spezialisierung auseinandersetzen, weil aufgrund des einseitigen Trainings motivationale Ermüdungserscheinungen zu befürchten sind. Indirekt bedeutet das aber eine Stärkung der Vereine, respektive einer abwechslungsreichen sportmotorischen Vielseitigkeitsschulung. In Auswertung ihrer aktuellen Studien lässt sich zu-sammenfassend darlegen: „Frühzeitig leistungsstärkere, erfolgreichere Sportler werden relativ häufig durch vormals unterlegene Sportler überholt“ (S. 416) - mehr noch und dies fast formelhaft: „Je früher der Einstieg, desto früher der Ausstieg aus Förderprogrammen“ (S. 421).

Im letzten Beitrag dieses Themenkomplexes und damit im allerletzten des Kindersportberichtes referiert Dr. Jaana Eichhorn aus dem Ressort Jugendarbeit im Sport bei der Deutschen Sportjugend über „Soziale Initiativen und Projekte des organisierten Sports“. Solche zentralen und dezentralen sportbezogenen Maßnahmen und Modelle gelten insbesondere sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Die Anzahl solcher Programme wird gegenwärtig bundesweit auf rund 1.500 geschätzt. Die häufigsten Interventionsfelder liegen dabei bisher auf der Integrationsarbeit und der Gewaltprävention, während der Komplex „Ernährung und Bewegung“ als ein neues Aufgabenfeld immer mehr an Bedeutung zu gewinnen scheint. Allen Anstrengungen gemeinsam ist die Erkenntnis, das Medium Sport in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen einzusetzen, um drängende gesellschaftliche Problemlagen abfedern zu helfen. Nicht zuletzt - so schreibt die Autorin ganz am Ende - ist es daher notwendig, Studien zu konzipieren, die die (ehrenamtlich) erbrachten Leistungen von Sportvereinen auf diesen wichtigen Interventionsfeldern thematisieren, sie kennzeichnen und sie angemessen würdigen sowie in ihren nachhaltigen Wirkungen analysieren.

Werner Schmidt (Hrsg., unter Mitarbeit von Renate Zimmer & Klaus Völker): Zweiter Deutscher Kinder- und Jugendsportbericht. Schwerpunkt: Kindheit. Schorndorf 2008: Hofmann. 520 S.; 39,90 Euro.


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