Dem Rechtsextremismus keine Chance – Präventionsauftrag für den organisierten Sport

Die Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus und Diskriminierung von Minderheiten ist eine dauerhafte gesamtgesellschaftliche Aufgabe und zunehmend auch für den Sport eine große Herausforderung.

Die dsj führt bereits seit 20 Jahren kontinuierlich Projekte und Kampagnen mit sozialintegrativem Charakter durch. Auf Grund neuer Herausforderungen durch die Aktivitäten antidemokratischer Kräfte in vielen Bundesländern beschloss der Vorstand der Deutschen Sportjugend Anfang 2007, einen ehrenamtlichen Beauftragten für das spezielle Themenfeld zu ernennen und eine – ebenfalls ehrenamtlich tätige – Arbeitsgruppe (AG Sport! Jugend! Agiert!) einzusetzen. Dies entspricht dem Selbstverständnis der dsj, sich aktiv gegen Diskriminierungen einzusetzen. Die Integration von sozial Benachteiligten sowie von Menschen mit Migrationshintergrund und der Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sind dauerhafte gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die nur durch aktive tagtägliche Beteiligung vieler Kräfte gemeinschaftlich geleistet werden können.

Hintergrund

Seit sechs Jahren untersucht ein Team des Institutes für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld unter der Leitung von Prof. Wilhelm Heitmeyer die Einstellungen der Bundesbürgerinnen und –bürger gegenüber sogenannten „Minderheiten" (Deutsche Zustände). Stetig wiederkehrendes Ergebnis dieser repräsentativen Befragung ist: fremdenfeindliche, antisemitische und rassistische Grundauffassungen sind bei einem nicht unwesentlichen Teil der Bevölkerung vorhanden.

Dieses Einstellungspotenzial erleichtert es rechtsextremen Personen, Gruppen und Parteien, ihr menschenverachtendes Gedankenkonstrukt zunehmend in der bundesdeutschen Gesellschaft zu verankern. Der Bereich des organisierten Sports ist von diesen Tendenzen nicht verschont geblieben, schon allein deshalb nicht, weil es im sportlichen Alltag durchaus Anschlussstellen für einen solchen „negativen Gedankentransport" gibt:

Da sind Trainerinnen und Trainer, Eltern, Vereinsfunktionäre, die am Spielfeldrand stehen und schon achtjährige Fußballakteure mit Vokabeln „anfeuern", die fast nahtlos in Veröffentlichungen rechtsextremer Parteien passen. Da wird – manchmal gedankenlos, manchmal gezielt – das gegnerische Team beleidigt, da werden einzelne Kinder auf das Schlimmste herabgewürdigt, mit Worten beschimpft. Diese vermeintlich vom Ehrgeiz getriebenen Erwachsenen transportieren damit eine Haltung, die in sich undemokratisch daher kommt; gleichzeitig vermitteln sie den Kindern eine desolate Vorbildlichkeit. In späterer Zeit wundern sich dieselben Eltern, Trainerinnen und Trainer und Vereinsfunktionäre, wenn die inzwischen zehn- oder zwölfjährigen Akteure Mitspieler/-innen anspucken, beleidigen, schubsen oder treten und mit einschlägigen u. U. rassistischen Schimpfworten belegen. Vergessen wird von solchen Verantwortungsträgerinnen und -trägern, dass jungen Menschen im Sport in erster Linie Spaß an der Bewegung und Freude am Miteinander in einer Gemeinschaft vermittelt werden soll(te)! Ein gewalttätiger, abwertender, diskriminierender Wortschatz jedoch bewirkt exakt das Gegenteil – und setzt Gedanken frei, die den Weg bereiten für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Erklärungsmuster der Forschungsgruppe um Heitmeyer.

Strategien antidemokratischer Kräfte

Die Versuche organisierter antidemokratischer Kräfte, ihre Einstellungen im Sportbereich stärker zu verankern unterscheiden sich in Methodik, Umfang und Effektivität. Die folgenden Beispiele sollen dies verdeutlichen:

  • Einzelpersonen oder Gruppen aus der rechtsextremen Szene gründen selbst Vereine, die teilweise in Vereinsregister eingetragen sind, Trainingsstunden durchführen und an Freizeitturnieren teilnehmen.
  • Szeneangehörige nutzen öffentliche Sportveranstaltungen zur Selbstdarstellung und tragen bei dieser Gelegenheit beispielsweise T-Shirts mit einschlägigen Parolen und
  • Szeneangehörige streben Vereinsmitgliedschaften und Ehrenamtsfunktionen an.

Organisationen aus der rechtsextremen Szene nutzen Sport als Mittel ihrer ideologischen Arbeit. Eine als neonazistisch zu bezeichnenden Organisation führt seit mindestens 10 Jahren mehrfach im Jahr „Kinder- und Jugendzeltlager" durch. Nach ihren eigenen Veröffentlichungen und Beobachtungen von Sicherheitsbehörden besteht ein wesentlicher Teil des „Lagerlebens" aus Sportangeboten: Ausdauerwandern, Klettern, Balancieren, Orientierungsläufe, Kugelstoßen, Speerwerfen, Bogenschießen und Mannschaftsspiele gehören zum Repertoire. „Betreut" werden die Acht- bis Achtzehnjährigen u. a. von rechtskräftig verurteilten Akteuren aus der rechtsextremen Szene. Bis zu 500 Kinder und Jugendliche sollen allein im Jahr 2007 an solchen „Lagern" teilgenommen haben – und längst nicht alle waren Kinder von Eltern, die selbst der einschlägigen Szene nahe stehen.

Handlungsansätze und Maßnahmen der dsj

Zu den Aufgaben von Dachorganisationen des deutschen Sportes zählt die Entwicklung wirksamer, nachhaltiger und praxisorientierter Strategien und Maßnahmen zur Prävention, um die weitere Verbreitung diskriminierender und menschenfeindlicher Einstellungen zu verhindern.

Die dsj, die sich schon durch ihre Satzung eindeutig positioniert und seit längerer Zeit zahlreiche Projekte mit integrativem, demokratieförderndem Charakter fördert, hat gemeinsam mit allen Landessportjugenden, allen Jugendorganisationen der Spitzenverbände und der Jugendorganisationen der Verbände mit besonderer Aufgabenstellung im Oktober 2007 ein Positionspapier beschlossen, das nach Aussage des Vorsitzenden der Deutschen Sportjugend, Ingo Weiss „allen verdeutlicht, dass der Einsatz gegen Rassismus und Diskriminierung eine Pflichtaufgabe des deutschen Sports ist".

Aktuell hat die dsj ein umfangreiches Konzept auf den Weg gebracht, dessen Umsetzung jenseits aller tagesaktuellen und nicht immer von Sachlichkeit geprägten Diskussionen um Gewalt, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit konsequent verfolgt wird. „Dem Rechtsextremismus keine Chance – Handlungsansätze und Maßnahmen der Deutschen Sportjugend im Deutschen Olympischen Sportbund e.V." lautet der vollständige Titel des im Oktober 2007 erarbeiteten Eckpunktepapiers. Folgende Leitziele sind hier benannt:

Der organisierte Sport muss

  1. sich in diesem Thema auf Dauer eindeutig positionieren: zum einen muss er sich gegen die Vereinnahmung durch rechtsextreme Organisationen verwahren, zum anderen seine Potenziale durch sozialpräventive Maßnahmen kenntlich machen,
  2. den Sportvereinen den Rücken stärken: die Angebote für Kinder und Jugendliche zur sinnvollen Freizeitgestaltung müssen erhalten und gerade dort aus- gebaut werden, wo sinnstiftende Freizeitangebote wegzubrechen drohen,
  3. die im Sport tätigen Multiplikator/-innen im kompetenten Umgang mit rechtsextremen Phänomenen und den dabei notwendigerweise auftretenden Konflikten und Interessenkollisionen unterstützen,
  4. über den sportlichen Kern der Aufgaben von Sportvereinen und -verbänden hinaus Maßnahmen fördern, die rechtsextremen Tendenzen in all ihren Facetten Grenzen setzen und Sportvereine davor bewahren, für die Zwecke von Rechtsextremen funktionalisiert zu werden.

Die Umsetzung der Handlungsansätze und Maßnahmen wird durch eine Reihe unterschiedlicher Problemstellungen erschwert. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass ein Interesse am Thema in erster Linie dann vorhanden ist, wenn einschlägige Sachverhalte bekannt werden, die in Verbindung mit dem Sportbereich stehen. Anfragen und Bitten um Beratung sind meist verbunden mit dem Ansinnen, das Thema nicht zu hoch zu hängen oder doch wenigstens keine Vereins- oder Verbandsnamen zu nennen.

Vertreterinnen und Vertreter des Sportes auf Landes- und Bundesebene haben die „Pflichtaufgabe" verinnerlicht, regionale oder lokale Akteure neigen nach wie vor gern dazu, Geschehenes zu verharmlosen, klar erkennbare Tendenzen klein zu reden – manchmal aus Scham, häufig aus Angst um den berühmten Imageverlust. Stehen z.B. Landtags- oder Kommunalwahlen bevor, regt sich der Politikbereich, will fördern, unterstützen, initiieren. Sind die Wahlen Geschichte, werden solche Regungen meist ebenso schnell Historie.

Nicht zu unterschätzen ist die Fülle der Belastungen, denen die Sportvereine im Land ausgesetzt sind. Sie sollen „soziale Randgruppen einbinden", „mit Schulen und Kindergärten kooperieren", „sich in der Bürgergesellschaft engagieren", „Bewegungsräume erschließen", „offen sein für neue Sportangebote", „ehren- und hauptamtliches Personal qualifizieren", natürlich im Breiten- und möglichst auch noch im Leistungssport erfolgreich sein, Sponsoren gewinnen und finanziell gesund agieren – und dann eben auch noch sozialintegrative Projekte fördern und durchführen, interkulturelle Kompetenz erlangen und nachhaltig antirassistisch wirken. Bei diesen vielschichtigen Anforderungen ist das dauerhafte Interesse an der Umsetzung antirassistischer und antidiskriminierender Konzepte an der Basis nicht immer so ausgeprägt, wie sich Dachorganisationen dies vorstellen.

Der Prozess der Umsetzung und möglichst dauerhaften Implementierung im Rahmen der „Pflichtaufgabe" wird einige Jahre in Anspruch nehmen. Da zumindest die ehrenamtlichen Akteure im organisierten Sport relativ häufig wechseln, ist ein sehr kontinuierliches Agieren ohne Rücksichtnahme auf saisonale Ausschläge notwendig. Das Lernfeld Demokratie ist eben ein Spielfeld, auf dem ständig nachgespielt wird!

Gerd Bücker, Leiter der dsj-AG Sport! Jugend! Agiert!