Die Digitalisierung im Sport

Im Interview spricht Dr. Frank Biendara, Geschäftsführer IT & Digitales im Deutschen Fußball-Bund (DFB), zu den Herausforderungen und Perspektiven für Vereine und Verbände.

Auch im Sport gehört die Digitalisierung dazu. Foto: picture-alliance
Auch im Sport gehört die Digitalisierung dazu. Foto: picture-alliance

Die Führungs-Akademie des DOSB hat für ihren jüngsten Newsletter das folgende Interview geführt.

Herr Dr. Biendara, seit Oktober 2017 sind Sie als Geschäftsführer IT & Digitales für den DFB tätig, davor haben Sie namenhafte Unternehmen beraten und die Umsetzung von digitalen Prozessen begleitet. So waren Sie unter anderem für das gesamte Informationsmanagement der Messe Frankfurt zuständig. Welche Rolle spielen IT und Informationsstrukturen in einem Verband wie dem DFB und wo sehen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Prozessen und Anforderungen der in der freien Wirtschaft tätigen Unternehmen?

FRANK BIENDARA: Aus meiner Sicht spielt Digitalisierung überall eine große Rolle. Es fängt an bei Kernprozessen eines Unternehmens oder Verbands, geht weiter bei Interaktionen mit Kunden, wobei „Kunde“ im Sport natürlich symbolisch steht für Fans, Trainer, Spieler, Funktionäre, haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter und sich auch von  der beruflichen  Nutzung  bis zur privaten Nutzung spannt. Jeder erwartet heute Informationen und Funktionen auch in digitaler Form. Die Digitalisierung spielt also nicht punktuell eine Rolle, sondern eigentlich überall. Was den Unterschied zwischen den Anforderungen an die Digitalisierung von Seiten der in der freien Wirtschaft tätigen Unternehmen bzw. von Seiten der Vereine und Verbände anbelangt, so stelle ich fest, dass dieser gar nicht so groß ist, wie man vielleicht vermuten würde. Denn die Grundstrukturen sind in diesem Zusammenhang sehr ähnlich zwischen einem klassischen Industrieunternehmen und einem Verein/Verband. Dies fängt an bei den Organisationsstrukturen. Auch ein Verein oder Verband hat Entscheidungs-, Informations- und Lernprozesse sowie die entsprechenden Organisationsstrukturen. Sport wird häufig nicht so stark mit Technologie in Verbindung gebracht wie beispielsweise der Maschinenbau, wo modernste Technologien in der Sache selbst liegen. Der Fußball beispielsweise ist eine sehr emotional getriebene Sportart, da denkt man nicht automatisch an Digitalisierung und muss vielleicht an der ein oder anderen Stelle noch Überzeugungsarbeit leisten, damit die Digitalisierung auch im Fußball oder im Sport allgemein eine bedeutendere Rolle einnimmt. Der DFB selbst hat natürlich auch noch die Herausforderung, sowohl die Digitalisierung des Spitzensports also auch des breiten Amateursports unter eine einheitliche Strategie zu bringen. Nimmt man jetzt noch die Abstimmung mit den Regional- und Landesverbänden dazu, ist das ein wirklich spannendes Thema.

Auch wenn die Digitalisierung im Sport vielleicht noch keinen ähnlich hohen Stellenwert eingenommen hat, wie in der Wirtschaft, so ist die Digitale Transformation dennoch ein brandaktuelles Thema, das im Hinblick auf Organisationsstrukturen, Arbeitsprozesse und Angebotsformate auch im Sport vielseitig diskutiert wird. Was bedeutet für Sie Digitale Transformation bzw. Digitalisierung und wo sehen Sie mögliche Herausforderungen, die auf den organisierten Sport zukommen?

Aus meiner Sicht legt der Begriff Digitale Transformation eine besondere Betonung auf den Veränderungsprozess, während Digitalisierung einfach nur eine relativ neutrale Aussage für Modernisierung im Hinblick auf Technologien ist. Zu den begrifflichen Abgrenzungen gibt es in der Literatur allerdings unzählig viele Definitionen und Meinungen.

Blicken wir auf die Digitalisierung, so teilt sich diese in zwei große Bereiche. Der erste Bereich ist sehr konkret. Hier findet man Themen, die sich im Wesentlichen mit Prozessoptimierung beschäftigen, mit digitalen (kostenlosen) Services oder aber auch mit digitalen Geschäftsfeldern und –angeboten. Ganz konkret am Beispiel Fußball ist das im Bereich der Prozessoptimierung das „DFB.net“, wo Prozesse in der Vereins- und Verbandsstruktur durch den Einsatz von Softwareprodukten erheblich erleichtert und effizienter gestaltet werden. Im Bereich Services ist das beispielsweise „Fußball.de“, ein Serviceangebot für den Amateurfußballer, wo Spielpläne und Ergebnisse dargestellt werden können. Digitale Geschäftsfelder können beispielsweise Online-Ticketing, Sitzplatz-Upgrades oder eine digitale Stadionnavigation sein.

Der zweite große Bereich betrifft die Rahmenbedingungen der Digitalisierung. Die Digitalisierung erfolgt mit einer exponentiellen Geschwindigkeit. Schauen wir uns beispielsweise die Entwicklung des Telefons an, das vor ca. 150 Jahren erfunden wurde und sich bis in die 1960er Jahre nicht gravierend verändert hat. Mit der Einführung des iPhones vor 10 Jahren ist die Entwicklung plötzlich explodiert. Mit dieser exponentiellen Entwicklung kann der Mensch nur schwierig umgehen. Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass wir die digitale Zukunft nicht vorhersehen können. Wir wussten nicht, dass das Internet oder das iPhone kommt und als diese dann da waren, dass das Thema der Apps relevant werden würde. Wie es weitergeht – Stichwort Big Data, Machinelearning, Künstliche Intelligenz - wissen wir ebenso wenig. Und genau deshalb geht es in diesem zweiten großen Bereich darum, dass wir uns als Vereine oder Verbände fit machen für „egal was kommt“. Wir müssen Strukturen und Vorgehensweisen schaffen, die es uns ermöglichen – egal wie die Zukunft aussieht - gewappnet zu sein.

Wenn sich Vereine und Verbände nun, wie Sie sagen, „fit machen“ möchten für die Digitalisierung: Wie könnte eine Digitalisierungsstrategie für eine Sportorganisation aussehen? Wie können Organisationen an das Thema herangehen und welche Punkte gibt es inhaltlich zu beachten?

Wie ich gerade dargestellt habe, gibt es einige Elemente, die im Hinblick auf das Thema Digitalisierung wichtig sind. Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, genau diese Elemente in der Planung einer digitalen Strategie zu berücksichtigen. Das heißt zunächst einmal, die Themen Prozessoptimierung, digitale Services und digitale Geschäftsmodelle in den Blick zu nehmen und zu überlegen, wie wir uns als Verband in diesen Bereichen aufstellen können und wollen. Ein ganz wichtiger Aspekt ist hier auch die Frage der Priorisierung: Ist es uns also wichtiger, die internen Prozesse des Verbands zu optimieren, wollen wir für unsere Mitglieder Services erbringen oder wollen wir uns als Verband vielleicht sogar darauf konzentrieren, Einnahmen zu generieren durch Digitalisierung? Es muss also eine klare übergreifende Vision entwickelt werden. Interessant ist es auch, einen Blick über den Tellerrand zu werfen: Was machen andere Sportorganisationen oder Unternehmen bereits in diesem Bereich? Und hier kann man sich dann Inspiration holen von Organisationen, die im Hinblick auf digitale Prozesse, Services oder Geschäftsmodelle vielleicht schon einen Schritt weiter sind. Wichtig ist dabei jedoch, dass die eigene Identität des Vereins oder Verbands gewahrt bleibt. Also die Botschaft lautet hier natürlich nicht, blind zu übernehmen und bspw. ein Wirtschaftsunternehmen sein zu wollen, sondern einzelne Punkte auf den Sport zu übertragen, unter Berücksichtigung der Vereins- und Verbandsstrukturen.

Ein ganz wichtiger Punkt ist hier auch der zweite zuvor erwähnte Teil, nämlich die Rahmeninitiativen. Neben der angesprochenen Priorisierung ist es meines Erachtens wichtig, sich mit einer gewissen agilen Vorgehensweise zu beschäftigen. Agile Vorgehensweise bedeutet, dass man schrittweise vorgeht, moderne Techniken der Entscheidungsfindung einsetzt, schnell zu Entscheidungen kommt und auch bestimmte Arten der Teamzusammenarbeit fördert, die effizienter sind. Auch das Thema Innovation sollte in den Blick genommen werden. Innovationen entwickeln sich rasant und es ist eigentlich nicht möglich, sich dem Thema Innovation nebenbei zu widmen. Vielmehr sollten Teams zusammengestellt werden, die sich strukturiert und systematisch mit dem Thema Innovation beschäftigen. Und dann analysieren, welche technologischen Innovationen beispielsweise im Fußball oder im Reitsport eingesetzt werden können und erörtern, ob Themen wie Virtuelle Realität oder Big Data für den eigenen Sport relevant sind. Digitalisierung kennt keine Grenzen. Ich empfehle daher, Teams zu bilden, auch über den eigenen Verband hinaus und sich zusammenzuschließen mit anderen Vereinen und Verbänden, denn wenn man zusammenarbeitet, wird man auch stärker und man kann sich zusammen mehr leisten, als wenn man alleine agiert.

In der Zusammenarbeit – sowohl innerhalb der eigenen Organisation als auch mit entsprechenden Partnern - sollten möglichst viele Menschen involviert und aktiviert werden. Wie gelingt es nun – als Dachverband, als Vorstand oder als Impulsgeber – die Untergliederungen, Mitarbeiter/-innen und Kollegen für das Thema Digitalisierung zu öffnen und mögliche Veränderungsprozesse anzustoßen?

Es gibt zwei Dinge, die man tun muss. Zunächst einmal muss die Führungsspitze ein klares Statement abgeben, dass sie Digitalisierung auch wirklich will. Digitalisierung entsteht nicht aus sich selbst, sondern braucht auch ein klare Rückendeckung durch das Top-Management. Nur so erfolgt eine Art Beispielcharakter und nur so werden Energien frei, die die Kolleginnen und Kollegen darin unterstützen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Der zweite Punkt ist der, dass – wie ich glaube – viele Leute einfach überzeugt werden wollen und auch können. Unabhängig vom Alter bekommt jeder heutzutage mit, wie sehr die Digitalisierung das Leben beeinflusst. Praktisch jeder hat heute ein Handy. In U-Bahnen sieht man fast nur noch Menschen, die an ihren Handys herumtippen. Die Sinnhaftigkeit der Digitalisierung ist eigentlich relativ klar mittlerweile, auf dieser Basis muss man die Leute dann beteiligen und ihnen das Gefühl geben „wir gestalten die Zukunft gemeinsam“. Wenn man ihnen ein solches Gefühl der Beteiligung gibt, dann engagieren sie sich gerne in diesem Themenbereich.

Skeptiker wird es immer geben. Ein Hauptargument der Digitalisierungskritiker ist häufig das Thema „Datenschutz“. Wo liegen mögliche Konfliktlinien zwischen digitalen Prozessen in Verbänden und rechtlichen Verpflichtungen durch den Datenschutz?

Zunächst einmal ist Datenschutz extrem wichtig. Interaktion beruht immer auf Vertrauenswürdigkeit und wenn man Sorge hat, dass die eigenen Daten nicht vertrauenswürdig geschützt sind, dann wird man auch im Bereich der Digitalisierung eher misstrauisch sein. Der zweite Punkt ist, dass man den Personen die Sicherheit gibt, dass ihre persönlichen Daten nur so eingesetzt werden, wie sie es auch selbst wollen. Also dass sie individuell entscheiden können, ob sie Informationen teilen und beispielsweise in sozialen Netzwerken veröffentlichen möchten oder auch nicht. Und in dem Augenblick, wo die einzelnen Personen über die Verwendung der eigenen Informationen entscheiden können, hat man häufig diesen berühmten Knoten durchschlagen. Die individuelle Steuerung der Informationsfreigabe ist also aus meiner Sicht einer der Schlüssel.

Das sind dann einige Themen, mit denen sich die Sportorganisationen auseinandersetzen können und vielleicht auch müssen. Haben Sie noch weitere Anmerkungen oder Anregungen, die Sie den Sportorganisationen mit auf den Weg geben möchten?

Ich kann nur ermutigen, sich mit dem Thema Digitalisierung aktiv auseinanderzusetzen. Die Digitalisierung kommt und niemand von uns wird in der Lage sein, dies zu verhindern. Und dann ist es eben gut, wenn man dieser Digitalisierung nicht passiv ausgesetzt ist, sondern aktiv damit umgeht, dass man sich also sagt „WIR steuern, wie Digitalisierung bei uns im Fußball, im Eishockey, im Handball oder wo auch immer verläuft“. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt und ich merke an verschiedenen Stellen – nicht nur im Sport – dass einige immer noch sehr passiv agieren und das halte ich nicht für sehr sinnvoll.

Dennoch gilt es, nicht in blinden Aktionismus zu verfallen, sondern eine Strategie zu entwickeln und auf dieser Basis Einzelmaßnahmen zu erzeugen. Denn wenn man sich nur punktuell mit diesen Themen beschäftigt, dann wird daraus ein Flickenteppich und letztendlich kein schönes Gesamtbild.

(Quelle: Führungs-Akademie)


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