Die Zukunft hat begonnen

Die Feier zum 25-jährigen Bestehen sind vorbei, die Mittel für die nächsten Jahre zugesagt. Wo steht das Programm „Integration durch Sport“? Die Antwort hat mit Flüchtlingen und Werten zu tun.

Die verstärkte Immigration verändert und erweitert die Anforderung an die IdS-Akteure. (Quelle: lassedesignen/Fotolia)
Die verstärkte Immigration verändert und erweitert die Anforderung an die IdS-Akteure. (Quelle: lassedesignen/Fotolia)

Vor 25 Jahren, da war doch was. Etwas, das kürzlich ganz groß gefeiert wurde. Richtig: Vor 25 Jahren, im Herbst 1989, entstand – neben der Deutschen Einheit natürlich – das Programm „Integration durch Sport“ (IdS). Zunächst hieß es zwar anders, nämlich „Sport für alle – Sport mit Aussiedlern“, und es wurde noch nicht vom DOSB organisiert, sondern vom Deutschen Sportbund, seinem Breitensportvorgänger. Aber im Kern handelte es sich um eben jenes Projekt, das heute nicht nur in der sportlich-sozialen Arbeit des DOSB einen festen Platz einnimmt, sondern auch „ein wichtiger Bestandteil der vom Bund geförderten Integrationsarbeit“ ist. So sagte es Bundesinnenminister Thomas de Maizière vor den etwa 120 geladenen Besuchern des Jubiläumsfestakts im Berliner Haus der Kulturen der Welt (siehe Meldung).

Ein Vierteljahrhundert: Was sich in diesem Zeitraum getan, wie sich das Programm strukturell und inhaltlich entwickelt hat, wurde schon zusammengefasst an dieser Stelle. Aber der runde Geburtstag wirft auch die Frage auf, wo IdS heute steht und wohin es steuert – respektive wie der kürzlich geschaffene Budgetrahmen ausgefüllt wird: Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat dem DOSB die weitere Projektförderung zugesagt. Bis 2017 stehen wie bisher 5,4 Millionen Euro jährlich zur Verfügung.

Der Integrationsauftrag wird größer

Wo steht das Programm? Die Antwort ergibt sich bis zu einem gewissen Grad aus der gesellschaftlichen Entwicklung. Der Bundesinnenminister sagte beim Festakt: „Wir erleben derzeit eine große Zuwanderung. Gemeinsames Sporttreiben bietet eine echte Chance, in unserem Land Fuß zu fassen und eine Heimat zu finden“; DOSB-Präsident Alfons Hörmann bezeichnete Sportvereine als „soziale Tankstellen für Leute, die zunächst als Fremde in einen Ort kommen“. Im Ganzen heißt das: Die verstärkte Immigration verändert und erweitert die Anforderung an die IdS-Akteure. Wo es mehr Neuankömmlinge gibt, wächst etwa die Nachfrage nach Sprachunterricht und bürokratischer Hilfe, wie sie viele der rund 750 Stützpunktvereine anbieten. Und das ist nicht alles. Nie waren persönliche Betreuung und Kontakte zu sozialen und Hilfseinrichtungen so wichtig wie heute. Unter jenen Neuankömmlingen sind ja viele von Krieg und Gewalt Vertriebene. Menschen, die meist Hals über Kopf aus Syrien, Irak oder Afghanistan fliehen mussten, darunter viele Kinder und viele Traumatisierte. In den ersten drei Quartalen 2014 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über 25.000 Asylanträge bewilligt – im gesamten Jahr 2011 waren es 10.000 Anträge. Für den DOSB respektive das Programm IdS ist diese Zahl insofern entscheidend, als sich der vom Zuwendungsgeber, dem BAMF, formulierte Integrationsauftrag nur auf anerkannte Asylbewerber bezieht. Auch nicht anerkannten Flüchtlingen gezielt und möglichst flächendeckend Angebote zu machen, wäre das Gebot der Stunde. „Aber dafür bräuchten wir Mittel, die über jene für das Programm ,Integration durch Sport' hinausgehen", sagt Karin Fehres, Direktorin Sportentwicklung des DOSB.

Und obwohl an vielen Stellen die notwendigen Mittel fehlen, kümmern sich Sportvereine und -verbände mit eindrucksvollem Engagement um die Flüchtlinge. Zwei Beispiele von vielen: Die Sportjugend Baden-Württemberg fördert im Rahmen einer „Integrationsoffensive“ lokale Initiativen, die sich zum Teil explizit an Flüchtlinge richten. Und nach dem Bayerischen Landessportverband hat auch der Landessportbund Niedersachsen eine pauschale Unfall- und Haftpflichtversicherung für Flüchtlinge und Asylsuchende abgeschlossen, die in seinen Vereinen aktiv werden; die Versicherten müssen dafür weder gemeldet werden noch Mitglieder sein. Überdies machen viele Vereine –  gerade die integrativ engagierten – spontan Angebote für Asylsuchende. Und abgesehen von all dem schließen etwa IdS-Angebote im öffentlichen Raum ja niemanden aus; nicht zufällig begann der 20-jährige Fußballprofi Eroll Zejnullahu, einst mit seiner Familie aus dem Kosovo nach Berlin geflohen, seine Karriere auf den Streetsoccer-Feldern von IdS (siehe Interview).

Der Wandel im Innern

Wer immer die Teilnehmer sind: Wo das Programm steht, spiegelt sich auch in Werten und Grundsätzen. Was etwa unter „Integration“ zu verstehen ist, definieren Wissenschaft, Politik und auch organisierter Sport heute anders als vor zehn oder zwanzig Jahren. Das geltende Positionspapier von IdS beschreibt den Begriff als „wechselseitigen Prozess“: Das Programm will nicht eine soziale Gruppe, nämlich die der Zugewanderten und ihrer Nachkommen, „integrieren“; es regt vielmehr den Austausch zwischen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte an. Ziel: kulturelle Unterschiede nicht als trennend, sondern als bereichernd zu erleben – und im Übrigen nicht zu wichtig zu nehmen. Dass es dazu der gezielten Ansprache Zugewanderter bedarf, mag paradox klingen; es erklärt sich vor allem damit, dass diese Menschen im Sport unterrepräsentiert (von der Teilgruppe Jungs abgesehen) und sozial überdurchschnittlich oft benachteiligt sind.

Das Integrationsverständnis spiegelt sich in weiteren Prinzipien des Programms. Etwa im Ziel der weiteren interkulturellen Öffnung des Sports und seiner Organisationen. Diese Öffnung steht im engen Zusammenhang mit einem weiteren Prinzip, dem sogenannten partizipativen Ansatz: Die Teilnehmenden sollen zur Mitarbeit, Mitsprache und Mitgestaltung in Sportvereinen und -verbänden angeregt werden, sei es als Vorstandsmitglieder, Trainer oder freiwillige Helfer. Und auch der moderne Blick auf  Migrantensportvereine leitet sich letztlich aus dem Integrationsverständnis ab: Sofern diese den Grundsätzen von Freiheit und Demokratie folgen, sind sie selbstverständlich potenzielle Partner des Programms. Längst vorbei die Zeiten, dass man Organisationen dieser Art – nicht nur im Sport – kulturelle Abschottung vorwarf.

Integration ist ein nie endender Prozess, der sich dennoch beschleunigen lässt: indem Erfahrung genutzt und Wissen gestreut wird. Daraus ergibt sich ein Hauptelement des aktuellen Selbstverständnisses von IdS: Das Programm ist ein Kompetenzzentrum, das sein Know-how nicht nur an Stützpunktvereine und im Übrigen nicht nur auf Anfrage hin weitergibt. Sondern ebenso durch selbstorganisierte Fachveranstaltungen. Und vor allem durch ein erweitertes Bildungsangebot, das auch nichtsportliche Partner sowie sportliche Nichtpartner des Programms anspricht. Zum Beispiel sollen interkulturelle Inhalte in immer mehr Übungsleiterausbildungen einfließen – „train the Trainer“ in Sachen Integration.

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier als DOSB-Blog veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.

(Autor: Nicolas Richter/DOSB)


  • Die verstärkte Immigration verändert und erweitert die Anforderung an die IdS-Akteure. (Quelle: lassedesignen/Fotolia)
    Die verstärkte Immigration verändert und erweitert die Anforderung an die IdS-Akteure. (Quelle: lassedesignen/Fotolia)