DOSB-Ethikpreis rückt Präventionsarbeit in die Öffentlichkeit

Der Heidelberger Hochschullehrer Prof. Dr. Gerhard Treutlein erhält am 16. September den Ethikpreis des DOSB. Im Interview spricht Treutlein über Vorbeugung, Verantwortung und den Umgang mit Kritik.

Gerhard Treutlein hat sich den Schutz von Jugendlichen vor Doping zur Lebensaufgabe gemacht. Foto: picture-alliance
Gerhard Treutlein hat sich den Schutz von Jugendlichen vor Doping zur Lebensaufgabe gemacht. Foto: picture-alliance

Treutlein hat den Schutz von Jugendlichen vor Doping und dessen gesundheitlichen Folgen zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Für die Deutsche Sportjugend (dsj) hat er das Programm der „Juniorbotschafter/innen für Dopingprävention“ entwickelt. Damit werden Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für die Dopingprävention im Nachwuchs-leistungssport gewonnen.

Das Thema Dopingprävention verbindet sich in besonderer Weise mit Ihrem Namen. Wie haben Sie es für sich entdeckt?

PROF. DR. GERHARD TREUTLEIN: Im eigenen Verein, dem USC Heidelberg, gab es seit 1966 Gerüchte. Heute weiß ich, dass sie fundiert waren, die Universitätssportvereine waren Vorreiter bei der Verbreitung des Anabolikadopings. 1969 erschien der Artikel meiner Vereinskollegin Brigitte Berendonk, der ersten Aktivensprecherin im DLV, mit dem Titel „Züchten wir Monstren?“. Sie beschrieb darin in der „Zeit“ die Dopingsituation Ende der 1960er Jahre und gab die richtigen Prognosen ab. Leider hat sich alles bestätigt. Entscheidend bei der Entwicklung meines Problembewusstseins waren Erlebnisse in den Jahren 1972 und 1974. Beim Vorolympischen Kongress 1972 war ich einem Workshop des DDR-Soziologen Günter Erbach, später Staatssekretär Sport der DDR. In seinem Eingangsstatement lobte er das Gesellschafts- und Sportsystem der DDR über den grünen Klee. Erbach führte die zunehmenden Medaillenerfolge der DDR seit den 1960er Jahren als Beweis für deren Qualität an. In der Diskussion wies ich auf die enormen Leistungssprünge vor allem im Kugelstoßen und Diskuswerfen der DDR-Frauen hin und stellte die Frage, ob das etwas mit Anabolikamissbrauch zu tun habe. Erbach beschimpfte mich wüst. Mir wurde klar: Ich hatte ein Tabu verletzt. In der Folge wurde ich von 1972 bis 1989 vom DDR-Geheimdienst beobachtet. 1974 gaben dann meine Kollegen Frank Pfetsch, Peter Beutel, Hans-Martin Stork und ich beim Bundesinstitut für Sportwissenschaft den Endbericht unseres Forschungsprojekts zu Ursachen von Leistungssteigerungen im Sport ab. Institutsdirektor und zugleich DLV-Präsident war damals August Kirsch. Ein Kapitel in unserem Bericht lautete „Doping und Hormonpräparate (Anabolika)“. Da Kirsch Zweifel anmeldete, ob diese Passage ausreichend wissenschaftlich fundiert sei, beauftragte er die Freiburger Spitzenmediziner Joseph Keul und Armin Klümper mit der Begutachtung. Sie fiel negativ aus. Heute wissen wir, warum: Ich hatte erneut das Tabu verletzt, das in Ost und West gleichermaßen galt: „Dope, lass dich nicht erwischen und schweige!“

Welche Merkmale machen Ihren Ansatz in der Dopingprävention aus?

Grundlage sind Forschungen zur Dopinggeschichte und zum Verhalten von Lehrern und Lehrerinnen und Trainern und Trainerinnen, französische Erfahrungen wie die von Patrick Magaloff und Patrick Laure sowie die Dopingbroschüre des französischen Antidopingbeauftragen Claude-Louis Gallien. Darüber hinaus die Beschäftigung mit dem Gesundheitsthema und die Erfahrungen und Kenntnisse als Professor für Sportpädagogik an der PH Heidelberg. Getreu dem Satz von Kurt Lewin – „Eine Forschung, die nur Bücher hervorbringt, genügt nicht!“ – und meinem Anspruch als Professor an einer Pädagogischen Hochschule habe ich mich nicht mit den Forschungsergebnissen begnügt, sondern mich um die Umsetzung bemüht. Hier fand ich in der dsj einen hervorragenden Partner. All das floss sowohl in das 2001 erschienene Buch „Doping: Von der Analyse zur Prävention“ als auch ab 2004 in die verschiedenen dsj-Materialien zur Dopingprävention ein. Auf dieser Basis entstanden Vorstellungen zur praktischen Umsetzung in Seminaren und Vorträgen. Die Generallinie dieser Präventionsarbeit lautet wie folgt: „Informieren als Grundlage, Reflektieren, Argumentieren und sinnvoll Entscheiden lernen sowie die Verantwortung für seine Entscheidungen übernehmen“. Wirksam ist dieser Ansatz vor allem dann, wenn eine interaktive Vorgehensweise im Zentrum steht. Die Weiterentwicklung war und ist geprägt durch das „Learning by doing“ und den dsj-Anspruch der Peer-Group-Education: Junge Sportlerinnen und Sportler sollen lernen, durch ihr Vorbild zu wirken und eine Antidopingposition argumentativ gut vertreten zu können. Dieses Projekt ist eine hervorragende Ergänzung der Präventionsarbeit, die die Nationale Anti Doping Agentur, die NADA), vor allem im Nachwuchs-Leistungssport und im Spitzensport leistet.

Was treibt Sie weiter an, und was bedeutet Ihnen die Verleihung des Ethik-preises?

In meiner Generation haben Medikamentenmissbrauch und Doping eine enorme Entwicklung genommen. Wir müssen Verantwortung für Entwicklung und Wohl nachfolgender Generationen und den Leistungssport übernehmen. Es war und ist nicht die böse Jugend von heute, die Negativentwicklungen vorangetrieben hat. Dopingmentalität bei den nachfolgenden Generationen entsteht nicht aus dem Nichts heraus. Da das Problembewusstsein hierfür in Sport und Gesellschaft nur gering entwickelt ist, gibt es leider nur wenige, die aktiv werden. Wir sind eine Reparaturgesellschaft. Erst wenn das Kind schon im Brunnen ist, entstehen zaghafte Versuche des Gegensteuerns. Angesichts des geringen Problembewusstseins benötigen die wenigen Akteure im Kampf gegen Doping ein hohes Maß an Frustrationstoleranz, denn Misserfolge sind wesentlich häufiger als Erfolge. Deshalb bedeutet mir die Verleihung des Ethikpreises sehr viel. Damit wird zum einen die Zusammenarbeit mit der dsj gewürdigt und zum anderen das Präventionsthema endlich einmal in großem Rahmen in die Öffentlichkeit gerückt. Ich hoffe, dass dies der erste von weiteren, größeren Schritten ist.

Wie gehen Sie damit um, dass Ihre Zusammenarbeit mit der dsj im wissenschaftlichen Bereich eher kritisch gesehen wird?

Damit habe ich kein Problem. In der dsj habe ich eine hervorragende Partnerin gefunden, einen Verband, der energisch kritische und neue Themen angeht, auch gegen Widerstände. Bei aller Würdigung hervorragender Bücher von Wissenschaftlern, zum Beispiel von Karl-Heinrich Bette und Uwe Schimank – ein theoretischer Ansatz kann für die praktische Arbeit nie ausreichend sein. Die Aufgabe von Pädagoginnen und Pädagogen besteht darin, sich Anregungen aus relevanten Wissenschaftsbereichen zu holen und in einen eigenen Ansatz einfließen zu lassen. Es gilt für mich der gleiche Satz wie in der Naturheilkunde: „Wer heilt, hat Recht“. Übertragen auf den Bereich der Prävention von Medikamentenmissbrauch und Doping kann das nur bedeuten: „Wer junge Leute dazu bringt, zum Schutz von anderen jungen Leuten aktiv zu werden, der liegt richtig!“ Die Aktivitäten der Juniorbotschafterinnen und -botschafter für Dopingprävention der dsj liefern dafür einen überzeugenden Beweis.

Ihre drei Wünsche für die Zukunft, um Präventionsaktivitäten noch wirkungsvoller gestalten zu können?

Wir brauchen zunächst eine wesentliche Entwicklung des Problembewusstseins in Vereinen sowie Landes- und Bundesverbänden. Nur dann wächst die Bereitschaft, Maßnahmen durchzuführen und Präventionsexperten einzusetzen. Und damit hängt die Ausbildung einer großen Zahl von Präventionsexpertinnen und -experten zusammen, wenn wir auch nur ansatz-weise auf dem Weg zu einer flächendeckenden Prävention vorankommen wollen. Entsprechende Anträge sind aber bisher abgelehnt worden. Wir benötigen des Weiteren eine solide finanziel-le und personelle Basis für die Dopingprävention – davon sind wir meilenweit entfernt. Und schließlich sollte das Thema „Medikamentenmissbrauch, Doping im Leistungssport sowie Alltagsdoping“ in ein Fach „Gesundheitserziehung“ in der Schule integriert werden. Anders als beispielsweise in der kanadischen Provinz Ontario gibt es das in den deutschen Bundesländern bisher so nicht.

Zur Dopingprävention liegen im Mediencenter der Deutschen Sportjugend unter www.dsj.de zahlreiche Publikationen zum kostenfreien Download vor – von der von einem Autorenteam um Professor Gerhard Treutlein verfassten Grundlagen-Broschüre „Sport ohne Doping!“ über einen Schulungsordner zur Durchführung von Präventionsveranstaltungen bis hin zu einer Arbeitsmedienmappe, die praxisbezogenes Wissen und vielfältige Fakten vermittelt.

(Quelle: DOSB-Presse, Ausgabe 37)

 


  • Gerhard Treutlein hat sich den Schutz von Jugendlichen vor Doping zur Lebensaufgabe gemacht. Foto: picture-alliance
    Gerhard Treutlein hat sich den Schutz von Jugendlichen vor Doping zur Lebensaufgabe gemacht. Foto: picture-alliance