DOSB-Journalistenpreis: Besessen vom „armen Sport“

Mit diesem Beitrag belegte Detlef Vetten (56) den 3. Platz im vom DOSB geförderten Berufswettbewerb des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS) zum Thema „Olympische Randgeschichten“.

Sebastian Brendel mit seiner Goldmedaille in London 2012. Foto: picture-alliance
Sebastian Brendel mit seiner Goldmedaille in London 2012. Foto: picture-alliance

Es war im Februar 2012. Ein unangenehmer Morgen. Grau, kalt, es hatte nass geschneit. Nun war die Luft über dem Templiner See klamm. Kein Morgen, an dem man den Hund vor die Tür jagte.

Die jungen Frauen und Männer trugen ihre Boote an die Anlegestelle, stiegen ein und paddelten los. Trainer in dicken Anoraks tuckerten hinterher und riefen Kommandos durchs Megaphon. Der Atem der jungen Menschen pulste stoßweise vor ihren Gesichtern. Mit gleichmäßigen Schlägen arbeiteten sie sich übers Wasser und verschwanden hinter der großen Eisenbahnbrücke.

Eine Stunde später kamen sie zurück. Müde hievten sie ihre Boote aus dem Wasser, schulterten sie und schleppten sie zu dem großen Schuppen des Olympiastützpunkts von Potsdam. Sie waren erschöpft und sahen unfroh aus. Dann taperten sie zu dem Gebäude, in dem die heißen Duschen waren.

Einer dieser Menschen war Sebastian Brendel. Ein Kerl, 1,92 groß, mit einem mächtigen Brustkasten und baumstarken Armen. Frisch gefönt bestieg er gegen elf seinen Mitteklasswagen und fuhr nach Hause.

Er würde zu Mittag essen, sich ein wenig aufs Ohr legen, aufstehen, seine Sporttasche greifen und wieder zum Leistungszentrum fahren. Krafttraining, eine anstrengende, oft stumpfsinnige, einsame Maloche…

Im August stand Brendel nach der Siegerehrung am Rand des Lake Dorney, wo er über 1000 Meter im Canadier-Rennen olympisches Gold gewonnen hatte und telefonierte mit Frau Romy und Tochter Hannah zuhause in Potsdam. Dabei fiel immer wieder das Wort „Danke!“

Brendel, Romy und Hannah hatten für sein Gold auf sehr viel verzichten müssen. 4000 Trainingskilometer im Wasser hatten sich in den vergangen acht Monaten summiert. Die mussten sein, um den Athleten auf diese knüppelharte Prüfung bei den Spielen vorzubereiten.

Ein 1000-Meter-Rennen im Canadier bedeutet:

Der Athlet legt beim Start alle Kraft in die ersten Schläge – da wird das Paddel mit 80 Kilo belastet. Er kommt in Fahrt – da wirken immer noch Kräfte von bis zu 60 Kilo. Er zieht durch, und das tut ab der der Hälfte der Strecke richtig weh.

240 Schläge vom Start bis ins Ziel, mindestens 120 davon bereiten Schmerzen.

Das ist wirklich nichts für Weicheier. Das tun sich nur Menschen an, die von ihrem Tun besessen sind. 

„Ich habe einen großen Traum, um diesen jedoch leben zu können, bedarf es mehr als nur sportlichen Ehrgeiz“, schreibt Brendel, der sich auch schon als Karate-Kämpfer und Fußballer versucht hat, auf seiner Homepage. „Du musst bereit sein dich jeden Tag zu quälen, auf Dinge zu verzichten und viel von der Familie getrennt zu sein. Hinzu kommt das Quentchen Glück.“ 

Nun war er am Ziel. Gold.

Und was blieb?

Eine Medaille, die in Ehren gehalten wird. Ein Eintrag in den Annalen der Spiele. 15.000 Euro Prämie.

Und sonst?

Sebastian Brendel – ein freundlicher, kluger, gut aussehender Mann – hat nicht viel mehr von seinem Olympiasieg. Er hat sich einfach einem Sport verschrieben, der nicht aus der Nische kommt. Einmal alle vier Jahre betreiben die Kanuten ihren Sport in aller Öffentlichkeit. Dann reisen sie mit ihren Booten von Olympia ab – und sind wieder für sich.

Sie taugen nicht für die Werbung, sie werden nicht ins Fernsehen eingeladen, sie tun sich schwer bei der Suche nach Sponsoren.

Sebastian Brendel zum Beispiel hat einen einzigen Unterstützer aus der Industrie. Das ist ein Energiedienstleister aus dem hessischen Eschborn. Und der kümmert sich nicht so recht um den Athleten. Nachdem Brendel Gold bei Olympia gewinnt, wird auch in Tagen drauf auf der Homepage des Unternehmens die Suchanfrage zum Begriff „Brendel“ keine Ergebnisse erbringen.

Sporthilfe bekommt der Potsdamer, doch die ernährt keine kleine Familie. Sachspenden gibt es. Zuschüsse zu den Reisen. Gottseidank ist Brendel einer von 25 Bedienstete der Bundespolizei, die der Deutschen Olympiamannschaft angehören.

Er weiß, dass er damit schon einmal abgesichert ist – und er ist dankbar. Es nützt ja nichts, sich zu grämen, dass man sich für eine „arme“ Disziplin entscheiden hat. Es bringt auch nichts, das eigene Training gegen das der – sagen wir mal – Fußballprofis aufzurechnen und zum Ergebnis zu kommen, dass da das System sehr ungerecht ist.

„Es gibt auf jeden Fall bessere Förderungssysteme. Wenn wir wollen, dass der deutsche Sport in den nächsten Jahren erfolgreich ist, müssen wir mehr investieren. In den meisten Sportarten geht das nicht mehr, dass du nicht Profi bist. Da muss was passieren.“

Das sagte er, als er nach dem Olympiagold ein gefragter Mann war. Höflich haben die Eintags-Bewunderer genickt. Ein paar Tage später hatten sie den Namen Brendel schon wieder vergessen.

Das neue Jahr steht ins Haus. Sebastian Brendel hat ein bisschen geschludert beim Essen – naja, Weihnachtsessen und so – nun wird er sich wieder am Riemen reißen. Auch in Potsdam. Der kalte Nebel wird wabern über dem Templiner See. Kein Wetter, bei dem man den Hund vor die Tür jagt. Aber Brendel wird das Boot schultern. Er kann nicht anders.

(Quelle: Detlef Vetten/Olympia-Buch „Stars und Spiele“)

Hinweis: Dieser Beitrag von Detlef Vetten (56) ist im Sommer 2012 im Olympia-Buch „Stars und Spiele“ erschienen. Damit gewann der Berliner den 3. Preis im vom DOSB geförderten Berufswettbewerb des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS) zum Thema „Olympische Randgeschichten“. Der Beitrag ist nicht zur Weiternutzung für Vereine und Verbände freigegeben.


  • Sebastian Brendel mit seiner Goldmedaille in London 2012. Foto: picture-alliance
    Sebastian Brendel mit seiner Goldmedaille in London 2012. Foto: picture-alliance