Ein Netz der Sicherheit aufbauen

Die Arbeitstagung der Jugendsekretäre der Deutschen Sportjugend beschäftigte sich mit der Prävention sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen im Sport.

Erwachsene müssen Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt schützen. Foto: picture-alliance
Erwachsene müssen Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt schützen. Foto: picture-alliance

Es gibt Situationen, die überfordern die Mehrheit der Verantwortlichen eines Sportvereins. Wenn Handlungsmuster fehlen und guter Rat schwer zu bekommen ist, verschaffen sich Ratlosigkeit und Unsicherheit Raum. Etwa, wenn diese Frage ansteht: Was machen wir bei einem Fall von sexueller Gewalt in den eigenen Reihen? Wer kennt sich damit aus? Wie konnte das bei uns passieren? Denn nicht nur die katholische Kirche und die Odenwaldschule haben ein Problem. Sexuelle Gewalt an Kindern ist ein Thema, das alle in der Kinder- und Jugendarbeit angeht und auch die Sportvereine betrifft. Missbraucht ein Betreuer Kinder, ist das ein Paukenschlag, der den ganzen Verein durchdringt. Eine Situation, die die meisten Vereinsverantwortlichen wohl überfordert – weil noch Unkenntnis herrscht und man zugleich die kritische Öffentlichkeit fürchtet.

Dieses Thema nimmt der Sport sehr ernst. Nachdem das Thema sexuelle Gewalt durch Übungsleiter im vergangenen Jahr durch aufgedeckte Fälle eine neue Dynamik bekommen hat, wird es bewusst wahrgenommen und steht bei der Deutschen Sportjugend (dsj) an erster Stelle der Tagesordnung. Zumindest bei der Arbeitstagung der Jugendsekretärinnen und Jugendsekretäre am 15. und 16. März im hessischen Gelnhausen.

Schließlich ist darüber zu reden die einzige Chance. Im Jahr 2010 haben DOSB und dsj ein Positionspapier erarbeitet. Darin werden die Mitgliedsverbände aufgefordert, in ihren Gremien "Maßnahmen zu beschließen, die sexualisierter Gewalt und Missbrauch an Kindern und Jugendlichen vorbeugen". Im Dezember 2010 folgte eine Erklärung, die auch "Selbstverpflichtungen des DOSB und seiner Mitgliedsorganisationen zum Umgang mit sexualisierter Gewalt" beinhaltet. Die Erklärung wurde einstimmig von allen Mitgliedsorganisationen getragen. „Eine sehr gute Grundlage“, findet dsj-Geschäftsführer Martin Schönwandt. "Allerdings kommt es nach außen oft nicht so gut rüber, welchen Wert eine solche Beschlussfassung hat." Dass es im organisierten Sport etwas mehr Zeit braucht, Entwicklungen auf den Weg zu bringen, führe zu "Spannungslagen": Dem Sport wird "Aussitzen" vorgeworfen.

Modellprojekt "PräTect"

Bei der dsj ist man der Überzeugung, die Komplexität der Thematik erfordere eine gewisse "Arbeitstiefe". Die Arbeitstagung der Jugendsekretäre sollte diesbezüglich einen weiteren Impuls geben. Deshalb war Beate Steinbach vom Bayerischen Jugendring, in dem auch die Bayerische Sportjugend aktiv involviert ist, eingeladen, die von einem bundesweiten Modellprojekt berichtete "PräTect… keine Täter in den eigenen Reihen!" gibt es seit Juli 2003. Die Ausgangslage ist für alle Jugendverbände die gleiche: Wie können wir sichere Orte garantieren?

"Täterinnen und Täter suchen genau solche Tätigkeitsfelder auf, um an Jungen und Mädchen heranzukommen und Vertrauensverhältnisse aufzubauen", so Beate Steinbach. "Der Vertrauensvorschuss im Ehrenamt wird missbraucht." Der wichtigste Grundsatz bei der Prävention und Intervention, sagt die Diplom-Pädagogin, sei die Erkenntnis, dass "in erster Linie die Erwachsenen dafür zuständig sind, Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt zu schützen." Heute dürfe der Fokus nicht mehr auf den Aufbau von Selbstbehauptung junger Menschen als Schutzmechanismus gelegt werden. "Kinder können sich nicht gegen ernst gemeinte Übergriffe schützen." Stattdessen müssten die Erwachsenen "ein Netz der Sicherheit aufbauen".

Schutz vor sexueller Gewalt ist eine Sache der Erwachsenen

Zuallererst gehe es darum, das Thema zu enttabuisieren. "Man muss darüber reden, was zum Beispiel auch bedeutet, dass man über Sex reden muss." Erst danach können strukturelle und pädagogische Methoden greifen, etwa die Integration des Themas in die Aus- und Fortbildung, etwa Leitlinien zum Vorgehen im Verdachtsfall oder die Etablierung von Beschwerdestrukturen. "Die Umsetzung geht nicht von jetzt auf gleich", hat Beate Steinbach erkannt, "es ist ein schwieriges, ein überforderndes Thema, und Prävention braucht einen langen Atem."

Der Schutz der Kinder und Jugendlichen vor sexueller Gewalt ist eine Sache der Erwachsenen, "und es gibt eine institutionelle Verantwortung", bekräftigte dsj-Geschäftsführer Schönwandt. Auch wenn die "Durchgriffsmöglichkeit" der Sportdachverbände bis hinunter auf die Vereinsebene natürlich in der Öffentlichkeit eher gesehen werde als sie in der Wirklichkeit vorhanden sei. Präventionskonzepte können auch Instrumente der Abschreckung sein. Schönwandt: "Wir müssen einen Weg finden zwischen Hysterie und Formalismus."


Autor: Oliver Kauer-Berk

Für Leitungs- und Fachkräfte bietet der Bayerische Jugendring über seine Fachberatungsstelle PräTect und in Zusammenarbeit mit dem Institut für Jugendarbeit Gauting von Dezember 2011 bis Oktober 2012 eine Qualifizierungsreihe mit dem Thema "Prävention sexueller Gewalt in der Jugendarbeit" an. Es geht dabei vorrangig um die Vermittlung eines praxisorientierten Handlungskonzepts, wie Schutzmaßnahmen in der Jugendarbeit strukturell und dauerhaft verankert werden können. Die Teilnahme in Gauting bei München kostet 2.450 Euro für 17 Tage Kurs mit Unterkunft sowie Verpflegung und endet mit der Zertifizierung zum "Qualitätsbeauftragten für Prävention sexueller Gewalt in der Jugendarbeit." Mehr Infos unter www.praetect.de .


  • Erwachsene müssen Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt schützen. Foto: picture-alliance
    Erwachsene müssen Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt schützen. Foto: picture-alliance