„Es geht nicht nur darum herauszufinden, wer wen gedopt hat“

Vier Fragen an Prof. Dorothee Alfermann, Präsidentin der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft und Vorsitzende des Projekt-Beirats „Doping in Deutschland“.

Dorothee Alfermann ist Vorsitzende des Projektbeirats "Doping in Deutschland". Foto: dvs
Dorothee Alfermann ist Vorsitzende des Projektbeirats "Doping in Deutschland". Foto: dvs

DOSB PRESSE: Wie bewertet die nationale Sportwissenschaft das vom Deutschen Olympischen Sportbund initiierte Projekt zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Doping-Geschichte in Ost- und Westdeutschland?

DOROTHEE ALFERMANN: Angesichts dieses gesamtdeutschen Ansatzes haben wir es hier mit einer wissenschaftlichen Pionierarbeit zu tun. Zugleich ist es ein Projekt, das sowohl in Bezug auf seine inhaltliche Problematik als auch hinsichtlich des öffentlichen Interesses und der finanziellen Ausstattung als herausragend bezeichnet werden kann. Ein Forschungsprojekt über einen Zeit-raum von drei Jahren mit einem Gesamtvolumen von rund 500.000 Euro ist für die Sportwissenschaft in Deutschland geradezu exorbitant, auch wenn sich diese Dimension im Vergleich mit anderen Wissenschaftszweigen sehr schnell relativiert. Die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft hatte 2007 in einer eigenen Resolution darauf hingewiesen, wie notwendig die Erforschung der Ursachen und Bedingungen des Dopings ist. Das schließt natürlich auch die Erfor-schung der Gesamtgeschichte des Dopings in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg ein, einschließlich der Phase nach der Wiedervereinigung. Wir sind sehr glücklich darüber, dass nun damit begonnen wurde.

DOSB PRESSE: Welche Erwartungen knüpfen Sie an das wissenschaftliche Werk, dessen erste Arbeitsergebnisse nach rund einem Jahr gerade öffentlich vorgestellt wurden?

ALFERMANN: Es geht nicht in erster Linie darum herauszufinden, wer wen gedopt hat und wer persönlich wie belastet ist. Solche Erkenntnisse können natürlich bei dem Projekt zu Tage gefördert werden, aber darauf liegt nicht das Hauptaugenmerk. Vielmehr geht es um historisch-ethische Betrachtungen und Bewertungen und darum, die Einstellungen von Staat und Politik zum Sport und zu leistungssteigernden Mitteln herauszuarbeiten. Es wird spannend sein zu sehen, wie sich die Einstellungen zu Doping und die ethischen Bewertungen von den Anfängen nach 1945, als es für dieses Phänomen noch nicht einmal eine Definition gab, jeweils verändert und entwickelt haben, und zwar bis zum heutigen Tage.

DOSB PRESSE: Das klingt nach einer Mammutaufgabe.

ALFERMANN: Nach ihrem Umfang ist das tatsächlich eine Riesenaufgabe, für die drei Jahre keineswegs ausreichen, um auf sämtliche Fragen erschöpfende Antworten zu geben. Danach werden sich selbstverständlich neue Fragestellungen auftun wie immer in der Wissenschaft, wenn man sich eines Themas gründlich annimmt. Ich persönlich halte es für wichtig, dass die Zeit bis 2012 zugleich genutzt wird, um möglichst viele Quellen zu erschließen und den vorhandenen und noch verfügbaren Materialbestand umfassend zu sichern, so dass auf dieser Grundlage weitergehenden Untersuchungen möglich sind. Dazu gehören ebenfalls zahlreiche Befragungen von Zeitzeugen, auch ein wichtiges Element der historischen Forschung. Ange-sichts der schwierigen Aufgabe war es wichtig, einen hochkarätig besetzten Projektbeirat mit 13 Personen zu berufen. Ihm gehören beispielsweise Experten aus dem Ausland wie Vertreter verschiedener Universitäten, von Doping-Kontroll-Laboren sowie der Nationalen Anti-Doping-Agentur an. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte ist mit im Boot. Somit kann umgehend ein Experte zu Rate gezogen werden, sobald der Bereich sensibler Personendaten berührt wird.

DOSB PRESSE: Das erste große Hearing in Leipzig ist vorüber. Für wie lange werden die Wissenschaftler nun wieder ins „stille Kämmerlein“ verschwinden?

ALFERMANN: Bei Projekten, die mit Drittmitteln finanziert werden, ist es üblich, dass nach einem Jahr die ersten Ergebnisse präsentiert werden. Als Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats lege ich Wert darauf, dass es im nächsten Jahr wieder ein Hearing geben wird. Dieses Thema steht in der Öffentlichkeit unter starker Beobachtung und deswegen ist es wichtig, regelmäßig zu informieren. Wir wollen keinesfalls den Eindruck erwecken, als handele es sich um eine Geheimforschung, und es gäbe irgendetwas zu verbergen.


  • Dorothee Alfermann ist Vorsitzende des Projektbeirats "Doping in Deutschland". Foto: dvs
    Dorothee Alfermann ist Vorsitzende des Projektbeirats "Doping in Deutschland". Foto: dvs