Frauen bringen Innovation in den organisierten Sport

Ilse Ridder-Melchers, DOSB-Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung, möchte die Strukturen im Ehrenamt verändern, um mehr Frauen dafür zu gewinnen.

Ilse Ridder-Melchers, DOSB-Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung (vierte von rechts) warb beim Tourstopp am 29. Mai in Minden-Lübbecke dafür, dass Frauen das Sportabzeichen als Fitnesstest für sich nutzen. (Foto: LSB NRW)
Ilse Ridder-Melchers, DOSB-Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung (vierte von rechts) warb beim Tourstopp am 29. Mai in Minden-Lübbecke dafür, dass Frauen das Sportabzeichen als Fitnesstest für sich nutzen. (Foto: LSB NRW)

Die Veranstalter der Sportabzeichen-Tour in Minden-Lübbecke am 29. Mai hatten sich als inhaltlichen Schwerpunkt für das Thema „Gleichstellung im Sport“ entschieden. Die Idee kam nicht von ungefähr, denn der für den Veranstaltungsort zuständige Landessportbund NRW definiert Chancengleichheit von Frauen und Männern sogar als Kernaufgabe. Für den DOSB war Ilse Ridder-Melchers, die Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung vor Ort, um Frauen für das Sportabzeichen und Führungsaufgaben im organisierten Sport zu motivieren. 

Frau Ridder-Melchers, Sie selbst haben beim DOSB eine führende Funktion. Können Sie kurz umreißen, wie und warum Sie diese Position übernommen haben?

Ich war viele Jahre politisch aktiv, Mitglied im Düsseldorfer Landtag und unter anderem in der Landesregierung zuständig für Frauen und Gleichstellung. Außerdem war ich von Kindheit an Mitglied im Sportverein, später auch als Übungsleiterin tätig. Eine prägende Zeit, in der ich persönlich erfahren habe, was Sport gerade in der Kinder- und Jugendarbeit leistet und wie stark die soziale und integrative Kraft ist, die vom Sport ausgeht. Frauenförderung und Sport waren und sind zwei zentrale Arbeitsfelder für mich.

Im Jahr 2000 wurde ich dann gefragt, ob ich das Amt der Vizepräsidentin beim Deutschen Turnerbund übernehme und ich habe eigentlich spontan ja gesagt. Später haben die Frauen im Deutschen Sportbund, dem Vorläufer des DOSB, mich für das Amt als Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung vorgeschlagen, für das ich ja dann auch gewählt wurde. 

Mir macht mein Ehrenamt als Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung im DOSB viel Spaß, es bereichert mich, mitgestalten zu können. Sport ist gerade für Frauen wichtig, weit über den Gesundheits- und Fitnessaspekt hinaus: Sport verbessert das Selbstwertgefühl, stärkt das Selbstbewusstsein und schafft ein Gemeinschaftserlebnis, das es ermöglicht, wichtige Erfahrungen zu sammeln. Daher möchte ich, dass Frauen und Männer gleichberechtigt am Sport teilhaben und ihn gestalten.

Wenn man sich die Sportabzeichen-Statistik aus dem vergangenen Jahr ansieht fällt auf, dass wesentlich mehr Männer als Frauen sich für den Fitnessorden begeistern und das Deutsche Sportabzeichen ablegen. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Ja, es gibt diese Unterschiede - noch. Wenn wir uns die Statistiken für Nordrhein-Westfalen ansehen, dann haben z.B. im vergangenen Jahr 32.000 Männer und 20.000 Frauen das Deutsche Sportabzeichen abgelegt. Aber der Frauenanteil steigt, besonders mit Blick auf die jüngeren Frauen. Ich glaube, dies sind Nachwirkungen einer Zeit, in der die Frauen noch nicht so aktiv in den Sportvereinen waren wie heute. 

Wir wollten in Minden-Lübbecke gezielt Frauen ansprechen, das Deutsche Sportabzeichen als Fitnesstest für sich zu nutzen, um über diesen Schnuppertag vielleicht auch den Wiedereinstieg in den Sport zu schaffen. Viele Frauen haben bedingt durch Familie und Beruf eine Pause eingelegt. Nun gilt es, sie in die Sportvereine zurück zu holen.

Sind die Frauen im organisierten Sport in Deutschland unterrepräsentiert?

Zuerst einmal gibt es Erfreuliches zu berichten: heute sind über eine Million Mädchen und Frauen in Sportvereinen aktiv und sie sind in der Breite in der Spitze präsent, d.h. im Breiten- und Spitzensport! 

Im vergangenen Jahrzehnt, von 2000 bis 2010 haben wir über 400.000 neue Mitglieder gewonnen und das waren fast ausschließlich Frauen. Das heißt, Interesse und Potenzial sind vorhanden. Mein Ziel ist es, diese Entwicklung zu fördern. Es gibt keinen Grund, warum der Anteil der Frauen im organisierten Sport nicht auf über 50 Prozent steigen und den weiblichen Bevölkerungsanteil abbilden sollte. Denn Frauen haben genau soviel Spaß an Bewegung und Sport wie Männer. 

Aber was das Ehrenamt angeht, da sind die Frauen im Sport leider immer noch stark unterrepräsentiert – insbesondere in Führungspositionen.

Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?

Ein Problem ist sicher der zeitliche Aufwand, der für ein Ehrenamt einzuplanen ist. Aber auch die mangelnde Transparenz, wie Ämter im organisierten Sport vergeben werden oder die Tatsache, dass die Aufgabenbereiche nicht klar umrissen sind. Das alles sind Faktoren, die Frauen eher abschrecken. Da müssen wir besser werden. 

Ich denke da zum Beispiel an offene Verfahren bei der Rekrutierung von Ehrenamtlichen, Ausschreibung von Ehrenämtern oder Berufung von Wahlkommissionen, die gezielt auch geeignete Frauen suchen. Aufgabenbeschreibung und Amtszeitbegrenzung können hilfreich sein. Viele fürchten, dass ein Ehrenamt sie langfristig bindet. Frauen denken vielleicht eher als Männer in Lebensabschnitten und fürchten, dass sich ein Ehrenamt nicht mit ihren anderen Aufgaben und Interessen vereinbaren lässt. 

Weitere Möglichkeiten können Tandems sein, gerade bei Führungsaufgaben. Wir hören oft, dass der Vorsitz eines Sportvereins und erst recht eines Verbandes fast nicht nebenbei zu schaffen ist. Warum sollte man hier die Aufgaben nicht teilen? Wenn wir ernsthaft an weiblichen Führungspersonen interessiert sind, müssen wir Strukturen so ändern, dass sie für die Zielgruppe attraktiv sind. 

Außerdem sollten wir auch im Ehrenamt Techniken anwenden, die wir im modernen Management finden - also die Aufgaben gut strukturieren, Sitzungszeiten abstimmen und zeitlich begrenzen und Aufgaben delegieren. Warum nicht mal eine Telefonkonferenz ansetzen, um den zeitlichen Aufwand möglichst niedrig zu halten. Das sind Veränderungen, die Frauen entgegenkommen aber auch den Bedürfnissen der nachwachsenden Generation an Ehrenamtlichen. 

Warum ist es aus Ihrer Sicht dringend notwendig, dass der Deutsche Olympische Sportbund und seine Mitglieder sich damit beschäftigen, wie Frauen und Männer gleichberechtigt in alle Handlungsfelder des organisierten Sports einbezogen werden können?

Verschiedene Untersuchungen aus der Wirtschaft und dem Sport zeigen, dass mit einem hohen Frauenanteil in Vorständen und Aufsichtsräten auch der wirtschaftliche Erfolg steigt. Professor Breuer hat im Rahmen der Sportentwicklungsberichte nachgewiesen, dass Sportvereine mit mehr Frauen im Vorstand weniger Probleme mit Finanzen haben und auch beim Gewinnen von ÜbungsleiterInnen. Das heißt dort wo Frauen mitentscheiden und ihre Kompetenzen, ihr Wissen einbringen können, hat das konkrete positive Effekte. Das bringt Innovationen, wenn die gesamte Vielfalt der Bevölkerung mit einbezogen wird und ihre Wünsche, Ideen und Interessen berücksichtigt werden. Die Arbeit und die Angebote im Sport werden vielfältiger, bunter und zeitgemäßer.

Wie können Sportvereine oder Sportorganisationen Anreize schaffen, um gerade Frauen für Führungspositionen zu gewinnen?

Wie wir aus zahlreichen Befragungen wissen, wollen Frauen einschätzen können, was sie im Ehrenamt erwartet. Sie fordern klare Strukturen und konkret beschriebene Aufgabenbereiche, um Ehrenamt, Beruf und Familie/Privatleben erfolgreich koordinieren zu können. Auch die Tätigkeit im Ehrenamt muss übersichtlich, gut organisier- und planbar sein. Bedingung dafür, dass Frauen sich ehrenamtlich engagieren können, sind darüber hinaus auch eine verlässliche Kinderbetreuung und Ganztagsschulen.

Was würde sich aus Ihrer Sicht ändern, wenn mehr Frauen im organisierten Sport an höchster Stelle mitreden und mit entscheiden?

Das ist ein notwendiger Schritt, um den Auftrag zu erfüllen, den das Grundgesetz uns allen stellt, nämlich dass Chancengleichheit von Männern und Frauen auf allen Ebenen verwirklicht, d.h. wirklich gelebt wird. Wir können im organisierten Sport unseren Beitrag leisten und diesen Grundsatz Wirklichkeit werden lassen. Damit können wir im Sport auch Vorbildfunktionen für die gesamte Gesellschaft übernehmen.

Frau Ridder-Melchers, vielen Dank!

(Quelle: wirkhaus)


  • Ilse Ridder-Melchers, DOSB-Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung (vierte von rechts) warb beim Tourstopp am 29. Mai in Minden-Lübbecke dafür, dass Frauen das Sportabzeichen als Fitnesstest für sich nutzen. (Foto: LSB NRW)
    Ilse Ridder-Melchers, DOSB-Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung (vierte von rechts) warb beim Tourstopp am 29. Mai in Minden-Lübbecke dafür, dass Frauen das Sportabzeichen als Fitnesstest für sich nutzen. (Foto: LSB NRW)