In Hannover arbeiten die Vereine des Freiburger Kreises an Führungsstrukturen

Dieser Weg wird kein leichter sein. Das war den Vertretern von 64 der 165 deutschen Großvereine im Freiburger Kreis (FK) nach dem Frühjahrsseminar beim Turn-Klubb zu Hannover bewusst.

„Verein der Zukunft, passt unser heutiger Verein in die Zukunft“, die dreitägige Leistungs- und Strukturanalyse, zugleich Ideenwettbewerb, zeigte: viele der Großvereine stehen am Anfang eines Struktur- und Führungswechsels. Vorsitzende Silvia Glander (Ratingen): „Jeder unserer Vereine ist ganz unterschiedlich aufgestellt und sucht seinen eigenen Weg.“ Die FK-Regie möchte diesen  Prozess begleiten und mit Expertenwissen anreichern, wie jetzt in Hannover. 

Während ASC Göttingen (seit fünf Jahren) und Eintracht Dortmund (seit 20 Jahren) mit hauptamtlichen Vorständen und ehrenamtlichen Kontrollgremien den Wandel beispielhaft gemeistert haben, suchen andere, etwa TV Jahn Rheine, nach dem  zukunftsfähigen Strukturen-Mix: Mehr Hauptamt und ehrenamtliche Tradition. Vorsitzender Klaus-Dieter Remberg, seit 34 Jahren im Amt: „Es gibt nicht die ideale Struktur.“  Jochen Wolf, Moderator einer Talkrunde mit Vereinsvertretern in Hannover:  „Es gibt nicht die Lösung, sondern eine die passt.“ 

Jörg Schnitzerling, hauptamtlicher Vorstandsvorsitzender des  ASC Göttingen und leidenschaftlicher Botschafter für Veränderung, warb dafür, sich Zeit zu lassen und ohne Leidensdruck zu diskutieren. „Lösungen sind nur zu erzielen, wenn Köpfe da sind. Es waren gute sieben Jahre. Wir haben nie das Ziel aus den Augen verloren, wir haben nicht mit der Arbeit aufgehört.“ Alexander Kiel, Geschäftsführer von Eintracht  Dortmund, zählte die Vorteile auf:  Kurze, zeitsparende Entscheidungswege. Klare Organisationsstruktur. Zuverlässiger Arbeitgeber für die Hauptamtlichen. Sehr zukunftsfähige Struktur: „Das hat 40 Jahre gehalten und funktioniert jetzt auch noch bestens.“ 

Mix aus Haupt- und Ehrenamt

Wirtschaftswissenschaftlerin Dr. Particia Siebart (Uni Potsdam) blätterte in ihrer Studie zu Leistungsstrukturen von Nonprofit-Organisationen. Mitarbeitergewinnung gestaltet sich schwierig, wenn einmal die Qualität im Verein schwach ist.  Mix aus Haupt- und Ehrenamt, hier Effizienz und Fachkompetenz, dort Sympathie und Imageträger,  transparente Strukturen, Fachkompetenz,  Kontrollmechanismen (Zielvereinbarungen) heißen ihre Passworte. „Die Zusammenarbeit von haupt- und ehrenamtlicher Arbeit fördern und fordern. Aufgaben und Leistungen definieren und zuordnen.“ Ludwig Pott (AWO Bonn) beschrieb Reformprozesse am Beispiel der Arbeiterwohlfahrt (AWO).  Er  brach eine Lanze für bürgerschaftliches Engagement. Jeder dritte Deutsche arbeitet ehrenamtlich. Noch nie waren so viele Freiwillige unterwegs. „Der Sport liegt dabei an der Spitze.“ Allerdings ist nicht lebenslanges sondern Lebensphasen geprägtes Ehrenamt der Renner. Pott unterstrich, dass Freiwillige keinen Fortbildungs-Marathon brauchen, um sich zu qualifizieren. Können, Lebenserfahrung, Interessen und Geschick qualifizieren sie für viele Aufgaben. Dafür gelte es Hauptamtliche zu schulen, „dass sie qualifiziert sind mit Ehrenamtlichen zu arbeiten“. Professor Ansgar Thiel  (Uni Tübingen) bewegte die Frage: Wie lernfähig sind Sportvereine?  „Sportvereine  sind besonders häufig in der Abwehr von Innovation.“ Organisationales Lernen (Nutzung kollektiver Intelligenz), Abwehrlernen (Wird etwas richtig gemacht?) und Veränderungslernen (Oberflächen-/Tiefenstruktur) hat der Sportsoziologe erkannt. Dabei sind Operationen an der Oberfläche (Angebote) weniger schmerzhaft als in der Tiefe (Führung, Haupt/Ehrenamt): „Eine lange Phase heftiger Diskussion.“ Abwehrlernen bewertet Thiel als Entwicklungsstörung  und  „als wichtige Funktion, damit Vereine nicht zu Wirtschaftsunternehmen werden. Wachstum und Innovation sind gerade bei Vereinen nicht grundsätzlich als Erfolg anzusehen. Vereine müssen sich nicht verändern, wenn die Mitglieder das nicht wollen“. Damit warnt der Tübinger vor Versuchen, Vereine durch Politik und Sponsoren zu instrumentalisieren: „Rechtlich sind sie an die Interessen der Mitglieder gebunden.“ In zwei Studien dokumentierte er: Veränderungsprozesse sind extrem verlangsamt, informelle Kommunikationswege wenig transparent. „Es kommt bei weitem nicht jeder für ein Führungsamt in Frage.“ Oft ist bei dominanten  Vorständen im Verein  Innovationskraft gehemmt. Eine „Kultur des Verschleierns“ (Thiel) hält Einzug. „So etwas belastet natürlich die Lernfähigkeit.“ 

Vereine leben von Traditionen

72 Prozent der  Sportvereine sind demnach gering verberuflicht und weisen nicht fortschrittliche Angebotsstrukturen auf. Sie sind oberflächlich strukturiert und setzen auf Mitglieder-Wachstum,  was Verlust traditioneller Orientierung und wirtschaftlicher Sorgfalt zur Folge hat. Den Gegenentwurf bilden  fortschrittlich-traditionell bewusste Clubs. Dazu zählt Thiel Großvereine. Hier geht der Blick in die Tiefe,  bleiben Tradition, Kultur und Seele gewahrt, ist Hauptamtlichkeit erfolgreich. Fülle und Angebote nicht um jeden Preis. Qualität statt Quantität. Thiel: „Vereine werden in gewissen Teilen träge sein und sind nie vollständig zu professionalisieren.“ Zielgerichtetes Wachstum und strategische Planung nehmen Rücksicht auf Mitgliederinteressen, beschreiben Anforderungsprofile, minimieren  Risiken, bauen Ehrenamt in die Arbeit ein. Bindung durch Betreuung lautet Thiels Leitlinie, der die Abteilungen als eigentliche soziale Heimat der Mitglieder sieht. „Ich kann mir daher nicht vorstellen, Vereine so zu professionalisieren und zu vermarkten wie Wirtschaftsunternehmen. Vereine leben in Traditionen, Vereine leben von der Aktivität der Mitglieder.“ Vereinskultur (Seele), Traditionspflege und Gewinnung von sozialem Ehrenamt rechnet er zu den Kernaufgaben. 

Der Freiburger Kreis, die Arbeitsgemeinschaft größerer deutscher Sportvereine, zählt 165 Mitgliedsvereine (750.000 Mitgliedschaften. Geschäftsführerin Doris Büttner: „Damit sind etwa 98 Prozent der deutschen Großvereine laut DOSB-Statistik Mitglied.“ Bei der Mitgliederversammlung  wurden die stellvertretenden Vorsitzenden Horst Lienig (Stuttgart/Finanzen) und Wolfgang Heuckmann (Paderborn) wiedergewählt.  Lienig,  Steuer- und Finanzexperte, ist in den Seminaren ein Eckpfeiler unter den Referenten. Auch in Hannover bestritt er mit Rechtsanwalt und Beiratsmitglied Alexander Pfeiffer (Arheilgen),  dem früheren FK-Vorsitzenden, zwei Workshops zu Satzungs- und Strukturfragen. Heuckmann ist ein erfahrener Moderator und Sportpolitiker. Gern gesehener Gast bei FK-Seminaren ist Arbeitsrechtler Dr. Alexander Ostrowicz. Sein Workshop fand  großes Echo.